Wolfsburg . VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh kritisiert den VW-Markenvorstand heftig. Dieser wolle offenbar mit aller Gewalt die Zahl der Beschäftigten drücken.

Ein unsozialer Umgang mit Leiharbeitern, ein ungeschickter Zeitplan für die Einführung des neuen Golf, ein Marketing, das sein Ziel verfehlt: VW-Betriebsratschef hat derzeit viel zu bemängeln an der Entwicklung des Autobauers. Im Interview mit Andreas Schweiger erläutert Osterloh nicht nur seine Kritikpunkte, sondern auch die Strategie, mit der an der Aufklärung des Abgas-Betrugs weitergearbeitet werden soll.

Herr Osterloh, die Stimmung im Werk Wolfsburg ist nicht gut. Leiharbeiter müssen gehen.

Nicht nur in Wolfsburg, auch die Werke Braunschweig und Salzgitter sind betroffen. Das löst natürlich Frust aus. Die Kolleginnen und Kollegen kommen dann zu uns, weil sie wissen, dass wir uns um sie kümmern. Dabei ist für diese Entscheidung allein der Vorstand verantwortlich. Er spricht aber nicht mit den betroffenen Beschäftigten, sondern lädt die Sache bei uns ab. Das macht mich natürlich ärgerlich.

Wie viele Leiharbeiter müssen in Wolfsburg gehen?

Zum 30. April laufen die Verträge von mehr als 400 Leiharbeiterinnen und Leiharbeitern aus. Wir suchen gemeinsam mit der Autovision nach Möglichkeiten, sie an anderen Standorten zu beschäftigen. Zum Glück brauchen die Werke Hannover und Kassel zurzeit noch Beschäftigte. Und es gibt eine hohe Bereitschaft der Kolleginnen und Kollegen, dorthin zu wechseln. Allerdings wünsche ich mir mehr Dynamik vom Unternehmen.

In welcher Form?

Mit fallen sofort zwei Kritikpunkte ein: Auf der praktischen Seite kümmert sich das Unternehmen nicht darum, dass wechselwillige Leiharbeiter in gemeinsamen Schichten eingesetzt werden. Dann könnten sie nämlich leichter Fahrgemeinschaften bilden. Und auf einer übergeordneten Ebene: Im Zukunftspakt haben wir schon im November die Schaffung eines internen Arbeitsmarktes im Firmen-Intranet festgezurrt. Jetzt ist es Februar und wir erfahren, dass es für die Marke VW noch bis Mai dauern soll - für den gesamten Konzern sogar noch länger. Die Umsetzung dauert einfach viel zu lang.

Woran liegt das?

Ich glaube, dem Markenvorstand geht es nur darum, den Aktionären kurzfristig auf Biegen und Brechen gute Zahlen zu zeigen – die Belegschaft spielt bei diesem Vorgehen entgegen aller Vernunft keine Rolle. Ein Beispiel für dieses kurzsichtige Verhalten ist, dass wir deutliche Anzeichen haben, dass der Markenvorstand am liebsten alle Leiharbeitnehmer abmelden würde. Koste es, was es wolle. Der Markenvorstand will offenbar mit aller Gewalt die Zahl der Beschäftigten bei Volkswagen nach unten drücken. Gegen dieses unsoziale Vorgehen wird der Betriebsrat tun, was er kann. Und wir werden darauf achten, dass die Inhalte des Zukunftspaktes auch wie vereinbart eingehalten werden. Rendite und Beschäftigungssicherung sind bei Volkswagen nach wie vor gleichrangige Unternehmensziele. Das sollte auch ein Vorstand nie vergessen. Gegen intelligente Wege entlang der demografischen Kurve wehren wir uns dabei natürlich nicht.

Ist es nicht einfach so, dass Volkswagen im Moment nicht genug Autos verkauft?

Es war schon vor der Dieselkrise absehbar, dass sich das Absatzwachstum nicht so fortsetzen wird. Darauf hat der Betriebsrat schon Mitte 2015 hingewiesen. Jetzt verlieren wir sogar Marktanteile in Deutschland.

Was sind die Ursachen?

Uns in Wolfsburg tut vor allem der schwache Absatz beim Golf weh. Darum war es strategisch nicht klug, schon im Dezember den neuen Golf anzukündigen, wenn er erst im März zu den Händlern kommt. Wer den neuen Golf sehen will, kann das nicht, weil das Produkt noch nicht bei unseren VW-Partnern steht. Das hätte besser organisiert werden müssen. Wir würden auch besser dastehen, wenn wir mehr SUV hätten. Der Tiguan verkauft sich wie geschnitten Brot. Wahr ist aber auch: Das Markenimage leidet unter der Dieselkrise.

Was muss die Marke aus Ihrer Sicht unternehmen, um ihr Image zu verbessern?

Das ist eine Aufgabe für den Vorstand. Er schafft es nicht, für gute Nachrichten zu sorgen. Es geht völlig unter, dass unsere Produkte sehr gut sind. Das bestätigen unabhängige Tests. Warum trägt das Unternehmen diese guten Botschaften nicht viel stärker nach draußen? Wir müssen vielmehr in den Vordergrund stellen, was wir können: sehr gute Autos bauen.

Das überraschende Ausscheiden der Ethik-Chefin Christine Hohmann-Dennhardt und vor allem deren Millionen-Abfindung nach nur einem Jahr im Unternehmen sind dem Image auch nicht gerade zuträglich. Das bestätigen die Reaktionen unserer Leser.

Für solche Reaktionen habe ich absolutes Verständnis. Es passt nicht ins Bild: Leiharbeiter werden vom Vorstand abgemeldet und gleichzeitig geht ein Vorstandsmitglied mit Millionen aus der Tür. Auch mir gefällt das überhaupt nicht. Wir Arbeitnehmer werden künftig noch stärker darauf pochen, dass Top-Personalien selbst bei allem Handlungsdruck nachhaltig sein müssen. Und was man bei dem Thema Geld auch nicht vergessen darf: Bei Volkswagen werden Vorstandsverträge nach den Regeln des Corporate Governance Kodex gestaltet. Daran müssen sich hierzulande alle Unternehmen halten, auch wenn eine Spitzenkraft ungeplant schon nach einem Jahr geht. Wenn dann ein Vertrag steht, muss er auch eingehalten werden – das gilt für Tarifverträge, aber eben auch für Vorstände.

Muss die Vorstandsvergütung überarbeitet werden?

Erst einmal: Auf Drängen der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat hat es in der Vergangenheit bereits Veränderungen gegeben. Zum Beispiel bei den Ruhegehältern der Vorstände. Die hatten nach ihrem altersbedingten Ausscheiden früher ein Ruhegehalt bekommen, das bis zu 70 Prozent ihrer Grundbezüge als Vorstand entspricht. Das ist für die neuen Vorstandsmitglieder seit 2015 vorbei und jetzt deutlich niedriger, die Rentenzusage orientiert sich inzwischen an der Systematik für Führungskräfte. Da haben wir uns durchgesetzt, auch wenn das seinerzeit nicht jedem auf der Kapitalseite gefallen hat. Jetzt aber zu Ihrer Frage: Ja, auch wir halten eine erneute Anpassung der Vorstandsvergütung für richtig. Diese Sicht teilen wir mit dem Land Niedersachsen. Und daran arbeiten wir. Dabei muss das neue System deutlich anspruchsvollere Ziele setzen. Die Debatte um Vorstandsgehälter schadet Volkswagen. Deshalb braucht es auch aus Sicht der Arbeitnehmer jetzt ein klares Signal.

Es ist zu hören, dass Frau Hohmann-Dennhardt fachliche Defizite hatte.

An so etwas beteilige ich mich nicht. Wir haben mit Christine Hohmann-Dennhardt beim Thema Integrität gut zusammengearbeitet. Wir haben die Integritätskampagne gemeinsam auf den Weg gebracht. Auf einer Betriebsversammlung. Hiltrud Werner, die Nachfolgerin von Frau Hohmann-Dennhardt, hat die volle Unterstützung der Arbeitnehmerseite. Sie arbeitet sehr strukturiert und bringt eine hohe soziale Kompetenz mit. Weil Frau Werner bisher als Leiterin der Konzernrevision tätig war, hat sie ein großes Fachwissen. Sie hat eine klare Vorstellung von der Unternehmenskultur und spricht Missstände offen an. Da hatten wir schon in der Vergangenheit gute Gespräche. Gemeinsam mit ihr werden wir das Thema Integrität weiter vorantreiben. Das Thema Kulturwandel werden wir gleichzeitig weiter mit Personalvorstand Karlheinz Blessing bearbeiten. Dabei geht es auch sehr stark um das Thema Führungskultur. Erst diese Woche hat Dr. Blessing bei der Berufung von Führungskräften in den Oberen Management Kreis wieder deutlich gemacht, wie wichtig uns das Thema bei Volkswagen ist. Es hat in seiner Rede einen zentralen Platz eingenommen.

Die Suche nach den Verantwortlichen für den Abgas-Betrug ist noch nicht abgeschlossen. Rechnen Sie mit weiteren Ergebnissen?

Wir werden als Aufsichtsrat auch weiterhin dafür sorgen, dass aufgeklärt wird. Die Frage, was das Unternehmen veröffentlicht und was nicht, ist nicht zuletzt eine juristische. Das werden wir weiter diskutieren. Der Aufsichtsrat befasst sich seit Monaten ebenso wie der Diesel-Ausschuss immer wieder mit der Frage, ob er möglicherweise Schadensersatz gegen Einzelpersonen geltend machen muss. Hierzu wird der Aufsichtsrat durch die Kanzlei Gleiss Lutz beraten. Prof. Wulf Goette, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof a.D., begleitet und plausibilisiert die Ergebnisse von Gleiss Lutz. Und selbstverständlich werden alle relevanten Tatsachen permanent hinterfragt und juristisch bewertet. Wir sind da schon deshalb relativ kleinlich, weil keiner von uns Lust hat, dafür in Haftung genommen zu werden. Gehen Sie davon aus, dass wir ohne Ansehen von Personen die notwendigen Schritte einleiten werden, wenn die entsprechenden Einschätzungen der Juristen vorliegen.

Entsteht nicht dennoch der Eindruck, dass nach fast eineinhalb Jahren die Konsequenzen ausbleiben?

Es darf nicht vergessen werden, dass der damalige Vorstandsvorsitzende Martin Winterkorn nach Bekanntwerden der Manipulationen zurückgetreten ist. Außerdem wurden Mitarbeiter beurlaubt oder ihnen wurde gekündigt. Und die Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat hat früh veranlasst, dass die Kanzlei Jones Day die VW-internen Ermittlungen führt. Ihre Ergebnisse sind ein Baustein für den Vergleich, der jetzt in den USA geschlossen wurde. Aber natürlich, die Aufklärung muss weitergehen. Auch unsere Kollegen erwarten das. Darüber haben wir gerade erst wieder in einem internen Chat mit der Belegschaft diskutiert. Glauben Sie mir, die Menschen bei Volkswagen hat das tief getroffen. Dieser Mist hat doch uns alle und unsere Produkte in Misskredit gebracht. Dabei sind unsere Fahrzeuge nach wie vor top. Und unsere Kolleginnen und Kollegen leisten eine tolle Arbeit.