Braunschweig. Viele Fischbestände sind in gutem Zustand, sagen Experten des Thünen-Instituts.

Unser Leser Herbert Schick aus Wolfsburg fragt:

Gibt es heute noch Fischarten, die man kaufen kann, ohne auf die Dauer den natürlichen Fischbestand zu gefährden?

Die Antwort recherchierte Johannes Kaufmann

Folgt man dem aktuellen Fischratgeber, den Greenpeace im Dezember 2016 veröffentlichte, dann wird es beim bedenkenlosen Fischessen eng. Allein der Verzehr von Karpfen und Hering sei noch ruhigen Gewissens möglich, behaupten die Umweltschützer. Der WWF lässt immerhin auch noch die Sprotte auf ökologisch-korrekten Tellern zu und empfiehlt das blaue Nachhaltigkeitssiegel MSC (Marine Stewardship Council) als Orientierungshilfe beim Einkauf.

Auch Gerd Kraus, Leiter des Thünen-Instituts für Seefischerei in Hamburg, hält das MSC-Siegel für hilfreich. „Nachhaltiger Fisch-Einkauf ist unglaublich kompliziert. Für den Verbraucher sind die Fakten kaum zu überblicken. Da hilft ein solches Siegel.“ Sein Kollege Christopher Zimmermann vom Thünen-Institut für Ostseefischerei in Rostock weist die Kritik mancher Umweltverbände am MSC zurück: „Das Ziel ist nicht, einen Idealzustand festzulegen, sondern Anreize zur Weiterentwicklung nachhaltiger Fischerei zu geben.“ Darum werde das Siegel auf Zeit vergeben. Wer es behalten wolle, müsse zum Beispiel seine Fangmethoden so verbessern, dass sich der unerwünschte Beifang verringert.

„Nachhaltiger Fisch- Einkauf ist unglaublich kompliziert. Da hilft das MSC-Siegel.“
„Nachhaltiger Fisch- Einkauf ist unglaublich kompliziert. Da hilft das MSC-Siegel.“ © Gerd Kraus, Leiter des Thünen-Instituts für Seefischerei in Hamburg

Überfischung ist nicht gleich Überfischung

Die beiden Thünen-Forscher diskutierten am Dienstag im Haus der Wissenschaft in Braunschweig zum Thema „Thunfisch, ausverkauft?! – Überfischung, Aquakultur und die Rolle der Konsumenten“. In einem kurzen Vortrag wies Kraus auf die unterschiedlichen Bedeutungen des Begriffs Überfischung hin: „Von Wachstumsüberfischung spricht man, wenn Fische gefangen werden, bevor der Bestand sein volles Wachstumspotenzial entfalten konnte.“ Das habe vor allem wirtschaftliche und weniger biologische Folgen: Der Bestand verliere an wirtschaftlicher Produktivität.

Darüber hinaus gebe es noch die Rekrutierungsüberfischung und die Ökosystemüberfischung. Diese Begriffe bezeichnen Fangverhalten, das Ökosysteme im Meer beschädigt und Fischbestände potenziell stark dezimiert. „Dass eine Art wegen Überfischung ausgestorben wäre, hat es in den vergangenen 100 Jahren aber nicht gegeben“, stellte Kraus klar. Bei Überfischung in Europa gehe es zumeist um Wachstumsüberfischung, die keine biologische Bedrohung darstelle.

„Überfischung ist niemals gut, aber sie ist nicht zwangsläufig eine ökologische Katastrophe“, erklärte Kraus. Das Problem sei: Jeder benutze den Überfischungs-Begriff, der zu seinem Weltbild passe und dabei helfe, seine Botschaft zu verbreiten. Und bei Greenpeace sei das eben die simplifizierte Kritik an angeblich leergefischten Meeren.

In welchem Zustand sich die Fischbestände der Welt befinden, lässt sich am besten anhand der Daten der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) einschätzen. Laut den aktuellsten Zahlen (2013) ist etwa ein Drittel der globalen Fischbestände überfischt. „Etwa zehn Prozent befinden sich dabei außerhalb sicherer biologischer Grenzen“, erklärt Kraus.

Deutlich wird die unterschiedliche Auslegung derselben Fakten bei den 58 Prozent der Bestände, die laut FAO „fully exploited“, also vollständig verwertet werden. Greenpeace und andere Verbände machen daraus „bis an die Grenze genutzt“ – ein Grund zur Sorge. Aus wirtschaftlicher Perspektive handelt es sich jedoch um optimale Nutzung: maximaler Ertrag bei stabilen Beständen.

Doch welche Arten sind nun guten Gewissens zu kaufen? „Fast alle“, beantwortet Christopher Zimmermann die Frage unseres Lesers. Entscheidend seien nicht die Arten, sondern die Bestände. „Bei fast allen Arten gibt es Bestände in gutem und in schlechtem Zustand“, erklärt Zimmermann. Eine Ausnahme sei der europäische Aal, der zwar nicht aufgrund von Überfischung, aber wegen menschlicher Einflüsse auf seinen Lebensraum vom Aussterben bedroht sei.

In der Ostsee seien Thun- und Schwertfische überfischt. Ebenso der Dorsch, der jedoch als Kabeljau in der Barentssee oder im östlichen Beringmeer nachhaltig bewirtschaftet werde. „Auch den meisten europäischen Wildlachsbeständen geht es nicht gut, weil sie als Beifang dezimiert werden und Konkurrenz durch Lachse bekommen haben, die aus Aquakulturen entkommen sind“, sagt Zimmermann.

Und Thunfisch ist nicht gleich Thunfisch

Als gefährdete Art wird häufig der Thunfisch genannt. Das mache aber nicht jeden Thunfisch-Konsum zur Umweltsünde, erklärten die Experten, denn überfischt seien nur manche Thunfisch-Untergattungen. Am bekanntesten dürfte der majestätische Rote Thun sein, der bis zu viereinhalb Meter groß wird. Er gilt als stark gefährdet. Doch die verringerte Befischung scheint sich auszuwirken: „Die Bestände erholen sich gut“, sagt Zimmermann.

Der südliche Blauflossen-Thunfisch hingegen gilt als vom Aussterben bedroht. Dazu trägt die Thunfisch-Pizza aber nicht bei, denn Dosenthunfisch enthält Echten Bonito, eine Fischart, die wirtschaftlich zwar zu den Thunfischen gezählt wird, zoologisch aber näher mit den Makrelen verwandt ist. Und die Bestände des Echten Bonito, der 58 Prozent der weltweiten Thunfischfänge ausmacht, sind in gutem Zustand.

Die wiederholte Kritik der Experten an den Umweltverbänden wollte Moderator Henning Noske, Chef des Braunschweiger Lokalteils unserer Zeitung, aber nicht einfach so stehen lassen. Ihnen sei doch viel zu verdanken. „Dass die Verbände Druck auf Industrie und Handel machen, ist richtig und berechtigt“, betonte dann auch Christopher Zimmermann. „Aber irgendwann wird das kontraproduktiv. Dass die Meere leergefischt seien, lässt sich zwar gut kommunizieren, es ist aber weder wahr noch zielführend.“ Die großen Probleme sehen die Thünen-Forscher weniger in der Überfischung als in der Verschmutzung der Meere mit Plastik und der mangelnden Gerechtigkeit bei der Verteilung der Fischressourcen.