Goslar. Der 55. Verkehrsgerichtstag in Goslar diskutiert unter anderem über mehr Sicherheit im Radverkehr.

Unsere Leserin Claudia Wilkes aus Braunschweig fragt:

Wer traut sich, die Radfahrer zu verpflichten, die Verkehrsregeln zu lernen?

Die Antwort recherchierte Dirk Breyvogel

Burkhard Stork ist Lobbyist, ein leidenschaftlicher. Stork vertritt als Bundesgeschäftsführer des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) 160 000 Mitglieder. Er erkennt in der Frage der Leserin deutlich das Misstrauen, das gegenüber Radfahrern herrscht. „Radfahrer sind Teilnehmer des Straßenverkehrs. Sie haben sich selbstverständlich an Regeln zu halten, damit das Miteinander auf unseren Straßen klappt“, sagt Stork. Allerdings, so betont er auf dem 55. Verkehrsgerichtstag in Goslar, seien die Unfallverursacher zu 75 Prozent KFZ-Halter.

Neben Stork diskutierten auf dem Podium des Arbeitskreises IV noch der Unfallforscher Jörg Ortlepp und der Leiter der Fahrradstaffel der Polizei in Berlin, Sascha Ziegler, über die Sicherheit im Radverkehr. Dabei sollten drei Fragen in der Diskussion eine besondere Rolle spielen: Radfahrer – Opfer oder Täter? Welche typischen Unfallkonstellationen gibt es? Und: Wie können veränderte Infrastruktur in den Städten und neue Fahrzeugtechnik helfen, für mehr Sicherheit zu sorgen?

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Wissenschaftler Ortlepp, Leiter Verkehrsinfrastruktur Unfallforschung beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft, macht klar, warum das nötig ist. „Jeden Tag stirbt in Deutschland ein Radfahrer im Straßenverkehr. Im Jahr 2015 waren das 383. Und auch die Prognosen für 2016 lassen keinen signifikanten Abwärtstrend erkennen, verrät er. 90 Prozent aller Unfälle passieren innerorts. Ortlepp hofft deshalb, dass am heutigen Freitag der Verkehrsgerichtstag seinen Empfehlungen folgen wird. Diese sehen unter anderem vor, Neufahrzeuge mit einem Notbremsassistenten, der Radfahrer erkennen kann, und LKW mit einem Abbiegeassistenten auszustatten. Er fordert bundesweit einheitliche Standards, wenn es um die „ERA“ geht, die Empfehlungen für Radverkehrsanlagen. Er hält auch höhere Bußgelder für zulässig. Autofahrer, die Fahrradstreifen für Radfahrer zuparken würden, sollten höher belangt werden. ADFC-Mann Stork stimmt zu, geht aber noch einen Schritt weiter. „Wir brauchen mehr Platz in den Städten. Wir müssen wie in Wien oder anderen europäischen Städten die Parkstreifen Schritt für Schritt abschaffen.“ Dafür fehle der Politik aber bislang der Mut.

Fahrradunfälle in Deutschland.jpg

Unfallforscher Ortlepp schreibt aber auch den Radfahrern etwas ins Stammbuch. Kaum jemand wüsste, wie man Fahrradstraßen richtig benutzt, sagt er und fordert Weiterbildungskurse. „Immer mehr ältere Teilnehmer benutzen Pedelecs oder E-Bikes. Hier gibt es Bedarf an Fahrtraining. Und wir müssen mehr Training für Kinder und Zuwanderer anbieten.“ Die Zahlen stützen seine Aussagen. Die meisten verunglückten Radfahrer befinden sich in der Altersgruppe zwischen 10 und 15 Jahre oder sind älter als 75 Jahre.

Verkehrsgerichtstag Goslar - Sicherheit für Radfahrer

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    Polizeihauptkommissar Sascha Ziegler erläutert, was die eingesetzte Fahrradstaffel der Berliner Polizei täglich erlebt. Er hält aber nichts von den Kategorien „Gut“ oder „Böse“, wenn es um die Situation auf den Straßen der Hauptstadt geht. „Wir haben in Berlin seit Jahren ein wachsendes Aufkommen an Fahrradfahrern. Die Menschen versuchen auf diese Weise, das lange Warten in Staus zu vermeiden“, sagt er. Den Vorteil einer Fahrradstaffel beschreibt er wie folgt: Im Gegensatz zur normalen Streife habe man viel mehr „Berührungssituationen“, wie er den Kontakt zu Verkehrsteilnehmern nennt. „Am Tag ahnden wir zwischen 40 und 50 Mal Vergehen oder weisen auf ein Fehlverhalten hin“, beschreibt der Polizist seinen Alltag.

    Ziegler plädiert dafür, dass für Radfahrer dieselbe 0,5-Promille-Alkoholgrenze gelten solle wie für Autofahrer. Mitunter reiche auch die Gesetzeslage nicht aus, wenn es um das Tragen von Kopfhörern im Straßenverkehr gehe. „Es gibt hier kein Verbot, sondern nur die Empfehlung in einer angemessenen Lautstärke zu hören.“