Braunschweig. Wolf-Michael Schmid, Ehrenpräsident der IHK Braunschweig, erwartet ein herausforderndes Jahr 2017.

Viele Herausforderungen, aber auch viele Chancen für die Wirtschaft in unserer Region erwartet Wolf-Michael Schmid, Unternehmer und Ehrenpräsident der Industrie- und Handelskammer Braunschweig. Das gilt längst nicht nur für VW. Im Gespräch mit Andreas Schweiger erläutert Schmid, warum der Optimismus überwiegt.

Herr Dr. Schmid, bringt der „Zukunftspakt“ die Marke VW wieder auf Kurs?

Diese Frage beantworte ich mit einem klaren und uneingeschränkten Ja! Vorstand und Betriebsrat haben intensiv um diesen Zukunftspakt gerungen. Umso mehr freue ich mich über das konstruktive Zusammenwirken von Management und Betriebsrat, das die Volkswagen AG schon immer ausgezeichnet hat. Und ich sehe hierin Chancen für die Zukunft.

„Ein Problembereich werden leider schlecht Qualifizierte, Langzeitarbeitslose und Flüchtlinge bleiben.“
„Ein Problembereich werden leider schlecht Qualifizierte, Langzeitarbeitslose und Flüchtlinge bleiben.“ © Wolf-Michael Schmid, Ehrenpräsident der IHK Braunschweig

Welche Chancen meinen Sie?

Es gibt naturgemäß in unserer Region – dies drückt sich nicht zuletzt auch in Leserbriefen in der Braunschweiger Zeitung aus – viele Menschen, die glauben, auf der Basis von sehr dünnem Halbwissen die Dinge bei VW und in den Märkten von Volkswagen besser beurteilen zu können. Ich vertraue jedoch uneingeschränkt auf das Know-how bei VW, auf die Kreativität der Entscheider. Ich sehe, dass auch externer Sachverstand von außen geholt wurde, um die drängendsten Probleme zu bewältigen und VW zukunftssicher aufzustellen – dies insbesondere auch mit Blick auf die E-Mobilität sowie als Mobilitätsdienstleister mit bisher noch kaum vorstellbaren übergreifenden Konzepten.

Wird VW das Tal im Abgas-Skandal in naher Zukunft durchschreiten?

Nach meiner Einschätzung hat VW die Talsohle verlassen, aber das Tal in Gänze noch längst nicht durchquert. Sehr viele juristische Fragen sind noch offen, die Summe der finanziellen Belastungen noch nicht abschätzbar. Aus meiner Sicht sind aber alle Probleme bekannt und werden jetzt schrittweise abgearbeitet. Der Weg aus dem Tal geht damit weiterhin noch steil bergauf, aber mit jedem Schritt wird eine Last abgearbeitet und die Zukunft wieder heller.

Wird VW im neuen Jahr erstarken?

Davon bin ich überzeugt! Bereits die letzten Zahlen – abgesehen vom US-amerikanischen Markt – sind doch sehr hoffnungsvoll. Zudem greift VW auf der Technikseite engagiert an. Ich war sehr beeindruckt von der Premiere des Elektro-Autos I.D. auf dem Autosalon in Paris. VW hat kein Designmodell mit weiter Marktferne vorgestellt, sondern ein Auto, mit dem VW in absehbarer Zukunft für den wachsenden Markt der E-Mobilität sehr gut gerüstet ist.

Wie entwickelt sich die Salzgitter AG im neuen Jahr?

Die aktuellen Meldungen aus dem Salzgitter-Konzern klangen sehr ermutigend. Die Strafzölle gegen Dumping-Importe aus China zeigen Wirkung, und die langjährigen Kunden schätzen die Qualität des Stahls aus Salzgitter mit ständigen Verbesserungen. Das Unternehmen ist hervorragend aufgestellt. Soweit die Politik, zum Beispiel die CO2-Politik der EU, hier keine neuen Stolpersteine aufbaut, wird sich die Salzgitter AG nach meiner festen Überzeugung im neuen Jahr weiter im Rahmen der Möglichkeiten gut entwickeln.

Sind Instrumente wie Strafzölle ausreichend, um im internationalen Stahlgeschäft für Wettbewerbsgleichheit zu sorgen?

Hier ein deutliches Nein. Strafzölle beheben ein akutes Problem, lösen jedoch nicht das übergreifende Problem der Wettbewerbsverzerrungen im globalen Markt zu Lasten der deutschen Stahlhersteller und damit auch zu Lasten der Salzgitter AG. Glücklicherweise ist es insbesondere Wirtschaftsminister Gabriel gelungen, neue Sonderlasten für die Stahlindustrie im Bereich der Eigenerzeugung von Strom zu verhindern. Auch dies ist ein wichtiger Mosaikstein, reicht aber nicht aus.

Was ist erforderlich?

Wir müssen in Deutschland sehr achtsam sein, die Rahmenbedingungen für unsere Industrie, die überwiegend im globalen Wettbewerb steht, nicht zu verschlechtern. Hier liegt die Wirklichkeit leider weit entfernt von Sonntagsreden der Wirtschaftspolitiker auch in Brüssel. Ich kann nicht erkennen, welche positiven Impulse in den vergangenen drei Jahren aus Brüssel für die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie und damit auch der deutschen Industrie im weltweiten Kontext gesetzt wurden. Um einem möglichen Missverständnis vorzubeugen: Ich möchte keineswegs industrielles Wachstum und Umweltschutz gegeneinander ausspielen. Aber niemand kann mir erklären, was es dem Weltklima hilft, wenn wir die Stahlproduktion unter sehr guten ökologischen Bedingungen in Deutschland zurückfahren und der Stahl dafür an anderen Standorten der Welt unter weitaus ungünstigeren Umweltbedingungen produziert wird.

Erwarten Sie eine Entlastung bei den Energiekosten? Sie werden von Unternehmen als Standortnachteil für Deutschland bezeichnet.

Das Strompreisniveau in Deutschland bereitet mir besonders große Sorgen. Ich würde mich freuen, wenn die Politik in Deutschland sich dazu durchringen könnte, das Strompreisniveau für die energieintensiven Industrien von marktfernen staatlichen Sonderlasten zu befreien. Hierzu ein Beispiel: Eine für unsere Region und die ganze Autoproduktion in Deutschland sehr segensreiche Batteriezellen-Fertigung, etwa in Salzgitter, wäre wirtschaftlich viel günstiger darstellbar, wenn die Produktionsanlage den Strom an den Strombörsen ohne Sonderlasten einkaufen könnte.

Wie wird sich der Mittelstand in unserer Region entwickeln?

Er hat sich in den vergangenen Jahren als außerordentlich robust erwiesen. Er konnte flexibel auf die aktuellen Anforderungen des Marktes reagieren, und ich bin daher ausgesprochen optimistisch.

Welche Chancen gibt es für den Mittelstand?

Je nach Branche gibt es unterschiedliche Entwicklungen. Chancen bietet die Digitalisierung ebenso wie die E-Mobilität. Auch im IT-Sektor sehe ich unsere Region gut aufgestellt. Ein erhebliches Potenzial liegt in der Zusammenarbeit der mittelständischen Wirtschaft mit wissenschaftlichen Einrichtungen der Region. Nicht zuletzt zeigt der Technologietransferpreis der Industrie- und Handelskammer Braunschweig, dass es erfolgreiche Unternehmensgründungen aus der Wissenschaft gibt, die das mittelständische Potenzial unseres Wirtschaftsraums stärken.

Welche Risiken sehen Sie für den Mittelstand?

Keine spezifischen, die mittelständische Wirtschaft ist genauso wie Großunternehmen in die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen eingebunden. Risiken sehen die Familienunternehmen mit Blick auf die wirtschaftspolitischen Programme der Parteien, die wir zu den Bundestagswahlen im nächsten Herbst erwarten. Vor diesem Hintergrund bleibt zu hoffen, dass die Priorität auf Entlastung zum Beispiel im Bereich der Bürokratie, aber auch bei den finanziellen Lasten gelegt wird – und weniger bei den Wählern die Hoffnung geweckt wird, dass mit Steuererhöhungen ein wesentlicher Fortschritt in Deutschland erreicht werden könnte.

Wie entwickelt sich der Arbeitsmarkt in unserer Region?

Ich sehe keine größeren Probleme. Es gibt nach wie vor eine sehr gute Nachfrage nach Fachkräften. Das Angebot an Ausbildungsplätzen übersteigt in Summe die Nachfrage, und damit sind in den vergangenen Jahren die Chancen für junge Leute in unserer Region auf einen guten Ausbildungsplatz gestiegen. Dieser Trend wird sich fortsetzen. Ein Problembereich werden leider schlecht Qualifizierte, Langzeitarbeitslose und Flüchtlinge bleiben.

Wie wird die Digitalisierung die Wirtschaft verändern?

Revolutionäre Entwicklungen sehe ich nicht, sondern vielmehr ständige Fortschritte. Auch mit Unterstützung spezialisierter Dienstleister werden sich nicht nur produzierende Unternehmen immer intensiver fragen, welche konkreten Anwendungsfälle der Digitalisierung bekannt sind und welche technischen Lösungen sich anbieten. Die IHK Braunschweig hat gemeinsam mit den Arbeitgeberverbänden Region Braunschweig und Harz hierzu den Arbeitskreis „Wirtschaft 4.0“ ins Leben gerufen. Zudem können wir auch bei der Digitalisierung auf die bewährte Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Einrichtungen der Region bauen.

Unser Leser Jens Hachenz befürchtet, dass durch die Digitalisierung Massenarbeitslosigkeit droht. Teilen Sie die Sorge?

Nein, die Gefahr sehe ich nicht. Einerseits werden neue Berufsbilder entstehen, andererseits wird uns der demografische Wandel große Probleme bereiten, wenn es um die Besetzung von Arbeitsplätzen geht.

Wie wirkt sich der Austritt Großbritanniens auf die Unternehmen in unserer Region aus?

Bisher hat die britische Regierung den Austritt aus der EU noch nicht erklärt. Ich bin also noch gar nicht sicher, ob der Brexit kommt. Insofern schauen wir hier alle wirklich in die Glaskugel. Einen Effekt gibt es allerdings bereits, und zwar die Wechselkursveränderungen. Deutsche Produkte sind in Großbritannien um 10 Prozent teurer geworden.

Hat die Politik des neuen US-Präsidenten Trump Auswirkungen auf die Wirtschaft in unserer Region?

Auf welche Art auch immer: Präsident Trump wird sein Wahlkampfmotto „Make America great again – America first“ nach seinen Vorstellungen umsetzen. Auch wenn es widersprüchlich klingt: Dieser Kurs bietet durchaus Chancen für die Wirtschaft in Deutschland und in unserer Region – zum Beispiel, wenn die USA tatsächlich Milliarden in den Ausbau der Infrastruktur investieren. Inwieweit die deutsche Wirtschaft tatsächlich profitieren kann, hängt maßgeblich davon ab, wie die Handelsbeziehungen zwischen den USA und Deutschland ausgestaltet werden. In einigen Punkten könnten wir uns von den USA sogar etwas abschauen.

Was meinen Sie?

Die Absicht Trumps, den Unternehmenssteuersatz von 35 Prozent auf 25 Prozent zu senken, ist ein nicht uninteressantes Modell für uns. Das gilt auch für den Plan, die Bundeserbschaftssteuer in den USA abzuschaffen.

Unser Leser Henrich Wilckens fragt: Wird sich China weiter in Deutschland einkaufen –auch bei uns?

Es wird sicher immer wieder Zukäufe aus China geben, ich sehe darin aber kein Problem. Wir sind eine Volkswirtschaft, die voll auf die internationalen Märkte setzt. Deshalb können wir auswärtiges Kapital nicht aussperren.

Welche Überraschung sehen Sie voraus?

Könnte man eine Überraschung voraussehen, wäre es ja keine Überraschung mehr. Ich sehe aber große Probleme in der europäischen Zusammenarbeit und hier insbesondere im Finanzsektor. Wir werden einen mehr oder minder ausgeprägten „Crash“ auf den Finanzmärkten erleben – die Überraschung wird für mich darin bestehen, ob dieser von Staaten wie Italien oder Frankreich oder durch für mich derzeit noch nicht absehbare andere Faktoren ausgelöst wird.