Kabul. Der Bund macht Ernst mit der Abschiebung ausreisepflichtiger Migranten. 34 Afghanen wurden in ihre Heimat zurückgebracht.

Unser Leser Heinz Eickelen fragt:

Warum wird der Fokus nicht zuerst auf die straffälligen Asylbewerber und Ausländer gelegt? Eine Straftat – Diebstahl oder Einbruch – sollte umgehend zu Ausweisung und Einreiseverbot führen...

Die Antwort recherchierten Willi Germund, Christian Unger und Alexander Kohnen

„Herzlich Willkommen in der Heimat“, dieser Satz war alles, was dem Kommandeur am Flughafen in der afghanischen Hauptstadt Kabul am Donnerstagmorgen einfiel, als der Soldat plötzlich den unerwarteten Landsleuten gegenüberstand. So erzählt es der 24 Jahre alte Maitullah Azizi. Er war einer von 34 Afghanen, die von deutschen Polizisten aus der aus Frankfurt gelandeten Chartermaschine in die Kälte von Kabul eskortiert worden waren. Azizi wurde aus Deutschland abgeschoben.

„Afghanistan ist ein großes Land. Dort gibt es unsichere und sichere Gebiete.“
„Afghanistan ist ein großes Land. Dort gibt es unsichere und sichere Gebiete.“ © Thomas de Maizière (CDU), Bundesinnenminister, im Februar

Abschiebung – schon mit diesem Wort betritt man politisch sofort das Spannungsfeld zwischen den „Endlich!“-Rufen der einen und den sorgenvollen Warnungen der anderen. Auch unsere Leserfrage hat in dieser Hinsicht eine klare Tendenz – wobei in puncto Straffälligkeit die Kritik recht schnell entkräftet ist. Ein Drittel der jetzt abgeschobenen Afghanen soll in Deutschland straffällig geworden sein, unter anderem wegen Diebstahl, Raub, Betäubungsmitteldelikten, sogar wegen Vergewaltigung und Totschlag. Sie wurden laut Innenministerium teilweise aus der Haft abgeschoben.

Maitullah Azizi hat natürlich eine andere Perspektive. „Ich bin so wütend“, sagt der junge Mann. Vergeblich hatte er Jahre in Frankfurt um seine Anerkennung als politisch Verfolgter gekämpft. „Gestern war ich noch in Deutschland, jetzt stehe ich hier am Flughafen von Kabul, und meine Familie weiß nicht einmal, dass ich da bin.“

„Solange es Zweifel an der Sicherheit gibt, bleiben Abschiebungen problematisch.“
„Solange es Zweifel an der Sicherheit gibt, bleiben Abschiebungen problematisch.“ © Heinrich Bedford-Strohm, EKD-Ratsvorsitzender

Laut Bundesinnenministerium (BMI) organisierte die europäische Grenzschutzagentur Frontex den Abschiebeflug, 93 Bundespolizisten waren mit an Bord, mehr als zwei Beamte pro Flüchtling, „speziell qualifiziert“ für diese Transporte, wie es heißt. Zudem ein Dolmetscher und „medizinisches Personal“.

Frontex trage die Kosten für den Flug, so das Innenministerium. 350.000 Euro allein für den Charterflieger. Eigentlich sollten 50 Personen abgeschoben werden, doch manche tauchten unter, bei anderen stoppten Gerichte den Rückflug. Die 34 abgeschobenen Männer lebten in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Hamburg, Hessen, Bayern und dem Saarland. Am Mittwoch holten Polizisten sie in Wohnungen oder staatlichen Einrichtungen ab. Dies geschieht ohne Ankündigung, da Flüchtlinge auch in der Vergangenheit untergetaucht waren.

„Thomas de Maizière offenbart damit, wie viel Angst er vor AfD und Co. hat.“
„Thomas de Maizière offenbart damit, wie viel Angst er vor AfD und Co. hat.“ © Cem Özdemir, Vorsitzender der Grünen

Auswärtiges Amt warnt

vor Reisen nach Afghanistan

Ihr Antrag auf Asyl sei abgelehnt worden, so das BMI. Für die Behörden sind die Abschiebeflüge heikel, da in der Vergangenheit Piloten den Transport abgelehnt hatten – zu unsicher war die Sicherheitslage mit den Migranten an Bord. Das galt nur bei Linienflügen, in denen auch Passagiere dabei waren. Häufig spielen sich am Flughafen dramatische Szenen ab, die Menschen bekommen Wut oder Panik. „Wir wurden wie Gefangene behandelt. Für jeden von uns waren zwei bis drei Polizisten abgestellt“, erzählt einer der Afghanen, der seinen Namen nicht nennen wollte, „selbst wenn wir zur Toilette wollten, gingen sie mit uns.“

Keiner der abgelehnten Asylsuchenden gehört zu den Geflüchteten, die 2015 kamen. Die Afghanen lebten schon Jahre in Deutschland, viele sprechen sehr gut Deutsch. So wie der 20 Jahre alte Payam A., der 2011 noch als Teenager nach Deutschland reiste, die Mittlere Reife abgeschlossen hat – mit der Note 1,8. Das geht aus dem Eilantrag seiner Anwältin gegen die Abschiebung hervor. Sein Asylantrag wurde 2014 abgelehnt. A. besucht derzeit die Fachoberschule, möchte studieren. Am Mittwoch brachte die Polizei auch ihn zum Abschiebeflug. In letzter Minute kippte der Verwaltungsgerichtshof in Bayern die Entscheidung. Der Fall wird neu verhandelt.

Azizi (24) aber ist zurück in Afghanistan. „Ich liebe meine Heimat, ich liebe Afghanistan“, sagt er, „aber ich habe keine Ahnung, wie es weitergehen soll. Es gibt keine Arbeit, die Lage ist noch gefährlicher für uns als damals, als ich nach Deutschland geflohen bin.“ Bei mehr als 200.000 Menschen lehnte der Bund den Asylantrag ab – sie sind „ausreisepflichtig“, 12.500 von ihnen sind Afghanen. 2016 wurde weniger als der Hälfte der Afghanen Asyl in Deutschland gewährt. Mehrere Zehntausend Personen reisten aus Deutschland freiwillig zurück - auf den Balkan, nach Marokko, auch 3200 nach Afghanistan. Mehr als 20.000 Menschen wurden 2016 mit Zwang abgeschoben, ein Rekordwert.

Doch scheitern geplante Abschiebungen auch deshalb, weil Menschen untertauchen, sie erkranken oder der Reisepass fehlt. Vor allem die Abschiebungen nach Afghanistan sind umstritten. Die Sicherheitslage hat sich in weiten Teilen des Landes deutlich verschlechtert. Das Auswärtige Amt spricht eine Reisewarnung für Deutsche aus. „Vor Reisen nach Afghanistan wird dringend gewarnt“, heißt es.

Nach Ende des Nato-Kampfeinsatzes 2014 konnten die afghanischen Sicherheitskräfte die Kontrolle über das Land nie vollends zurückgewinnen. Im Gegenteil: 2015 wurden 3545 Zivilisten laut Uno durch Anschläge und Gefechte der Konfliktparteien getötet – ein Höchststand seit 2009. Taliban, aber auch Gruppen des „Islamischen Staates“ breiten sich in Teilen des Landes aus. Kürzlich verübten Terroristen einen Anschlag auf das deutsche Konsulat in Mazar-i-Sharif, mehrere Menschen starben.

Schleswig-Holstein und Niedersachsen machen nicht mit

Laut Bundesregierung gilt die gefährliche Lage nicht für alle Regionen Afghanistans. Natürlich sei die Sicherheitslage im Land kompliziert, so Innenminister Thomas de Maizière im Februar in Kabul. „Aber Afghanistan ist ein großes Land. Dort gibt es unsichere und sichere Gebiete.“ Das würden auch Berichte des Auswärtigen Amtes belegen, sagt Staatssekretär Ole Schröder dieser Redaktion. Beide kritisieren die beiden Bundesländer, die sich nicht an den Abschiebungen nach Afghanistan beteiligen. „Die SPD-geführte Landesregierung verweigert sich erneut der Verantwortung, den Rechtsstaat auch durchzusetzen“, sagt Schröder. Im Oktober wurde mit Afghanistan ein Rücknahmeabkommen vereinbart, das Abschiebungen erleichtern soll. Dessen Umsetzung liegt bei den Ländern. Niedersachsen und Schleswig-Holstein machen nicht mit. In der Union ist man sich einig, dass diese Abschiebungen richtig sind. „Wenn wir weiterhin Menschen in Not bei uns aufnehmen wollen, dann sind konsequente Rückführungen die andere Seite dieser Medaille“, sagt der CDU-Innenexperte Ansgar Heveling. Es werde jeder Einzelfall geprüft, wie es das Asylgesetz in Deutschland vorschreibt.

Scharfe Kritik kommt von Linken und Grünen. „Der Bundestag beschließt die Verlängerung des Bundeswehrmandats in Afghanistan, Regierungsmitglieder reisen in Schutzwesten durch Afghanistan, die Taliban sind wieder auf dem Vormarsch – und Innenminister de Maizière will mit der Sammelabschiebung ein Zeichen setzen, dass er durchgreift“, sagt Grünen-Chef Cem Özdemir dieser Redaktion. „Er offenbart damit, wie viel Angst er vor AfD und Co. hat.“ Den Preis dafür würden nun die Menschen zahlen, deren Zukunft alles andere als sicher sei. Kritik kam auch von der evangelischen Kirche. Heinrich Bedford-Strohm, EKD-Ratsvorsitzender, meint, solange es Zweifel an der Sicherheit gebe, „bleiben Abschiebungen problematisch“.