Braunschweig. Der Freiburger Islamwissenschaftler Abdel-Hakim Ourghi sieht im Koran keinen eindeutigen Beleg dafür, dass Frauen Burka oder Nikab tragen müssen.

Unsere Leserin Elisabeth Wolf aus Braunschweig fragt:

Was ist im Koran die religionsgesetzliche Grundlage für die Verschleierung von Frauen?

Die Antwort recherchierte Dirk Breyvogel

Der Islamwissenschaftler, Abdel-Hakim Ourghi, Leiter des Fachbereichs der Islamischen Theologie und Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Freiburg, hält die kanonischen Quellen und die Tradition der Propheten im Koran für zu schwach, um daraus eine Vollverschleierungspflicht für Frauen abzuleiten. „Es ist eine Interpretation gewisser Strömungen im Islam, um die Unterdrückung der Frauen durch die Männer auch in der Gegenwart fortzusetzen.“ Er nennt das einen „Pakt“ zwischen denen, die unterdrücken und denen, die bereits unterdrückt werden. „Die Vollverschleierung ist ein Import eines konservativen Islams aus den Golfstaaten, wie etwa in Saudi-Arabien.“

„Die Vollverschleierung ist ein Import eines konservativen Islams aus den Golfstaaten.“
„Die Vollverschleierung ist ein Import eines konservativen Islams aus den Golfstaaten.“ © Dr. Abdel-Hakim Ourghi, Pädagogische Hochschule Freiburg

Mit Blick auf die Frage der Leserin sagt Ourghi: Es gebe eine Stelle im Koran, bei der das Thema der Bedeckung des Körpers der Frau eine Rolle spielen würde. Die Sure 33, Vers 59. Aber auch hier sei die Definition unklar und der Interpretationsspielraum groß. „Es geht um ein Ereignis in Medina im 7. Jahrhundert. Im Koran steht geschrieben, dass Gott seinem Propheten Mohammed befohlen habe, seine Frau, seine Töchter und die Ehefrauen der Gläubigen sollten sich bedecken. Was bedeckt werden soll, wird nicht festgelegt. Aus historischen Quellen wissen wir, dass sich zu dieser Zeit nicht einmal die Sklavinnen bedecken oder verschleiern mussten“, erklärt der Islamwissenschaftler.

Es sei daher unmöglich, das im Koran Niedergeschriebene losgelöst von der historischen Entstehungssituation zu sehen. „Wenn sich Muslime heutzutage in Europa bedecken – in welcher Form auch immer – ist das immer auch als ein Zeichen nach außen zu verstehen. Es geht darum, sich von den westlichen Werten und Normen auch optisch und abzusetzen.“ Unverschleierte Muslime seien heute einem ungeheuren Druck anderer Muslime ausgesetzt, es ihnen nachzumachen und beispielsweise ein Kopftuch zu tragen.

In Niedersachsen wird seit Wochen über die Vollverschleierung einer Schülerin aus dem Kreis Osnabrück diskutiert. Es geht um die Frage: Darf das 16-jährige Mädchen den Nikab, den sie seit drei Jahren in der Schule trägt, weitertragen? Insbesondere die oppositionelle CDU im Landtag hält die Diskussion für gerechtfertigt und droht Ministerin Frauke Heiligenstadt (SPD) mit einer Klage, da diese seit Jahren diesen Zustand dulde. Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) schaltete sich in dieser Woche in die Debatte ein. Er sprach sich generell gegen Vollverschleierungen aus. Den Fall in Belm hält Weil aber für einen Sonderfall, der den schulischen Frieden bislang nicht gestört habe.

Der Vorsitzende des Landesschülerrats in Niedersachsen, Timo le Plat, findet dagegen klare Worte zum Umgang mit der muslimischen Schülerin. Er sieht in den Aussagen der CDU im Vorfeld anstehender Landtagswahlen politisches Kalkül. „Wir haben schon im November einen Beschluss gefasst, der besagt, dass das Mädchen nicht in den Mittelpunkt politischer Diskussion gerückt werden darf.“ Dabei gehe es gar nicht darum, wie man den Fall politisch bewerte. „Aber niemand hat es verdient, auf diese Art und Weise der Öffentlichkeit ausgesetzt zu werden.“ Der Schülersprecher zeigte sich über die Entscheidung der CDU-Fraktion in Belm erfreut, einen Eilantrag zurückzuziehen. Dieser sah vor, den parteilosen Bürgermeister der Gemeinde dazu zu drängen, bei der Landesregierung auf die Durchsetzung des Verschleierungsverbotes zu pochen. „Es ist das richtige Signal. Das Thema ist es nicht wert, ständig mit dem Zeigefinger in Richtung Osnabrück und auf das Mädchen zu zeigen.“