Wolfsburg. Der VW-Betriebsrat verlangt vom Vorstand für alle Standorte der Region eine Perspektive.

Angesichts der Diskussionen um einen massiven Stellenabbau bei der Marke VW wächst die Unruhe in der Belegschaft. Für diesen Donnerstag hat der Betriebsrat daher eine zusätzliche Betriebsratsversammlung im Wolfsburger Stammwerk anberaumt. Gesamtbetriebsratschef Bernd Osterloh möchte die Mitarbeiter über die Verhandlungen mit dem Vorstand zum sogenannten Zukunftspakt informieren. Vorab beantwortete Osterloh schriftlich Fragen von Christina Lohner und Andre Dolle.

Herr Osterloh, der Konzern steht vor einem historischen Umbau. Welche Sorgen treiben die Mitarbeiter zurzeit um, wie ist die Stimmung – und können Sie sie beruhigen?

Natürlich machen sich viele der Kolleginnen und Kollegen Sorgen. Damit sie nicht auf Spekulationen angewiesen sind, sondern Fakten aus erster Hand bekommen, machen wir am Donnerstag die zusätzliche Betriebsversammlung. Unsere wichtigste Botschaft an die Belegschaft: Die Stammarbeitsplätze sind sicher, das ist eine rote Linie für uns.

Wie viele Stellen werden in welchem Zeitraum abgebaut werden – zum einen, um Effizienz und Produktivität zu steigern, zum anderen infolge des Konzernumbaus hin zu mehr Elektroautos?

Über diese Themen sprechen wir auch in den Verhandlungen zum Zukunftspakt. Und da haben wir noch keine Einigkeit. Das ist wie immer: Das Unternehmen möchte mehr Stellen entfallen lassen, wir weniger. Für uns als Betriebsrat gilt unverrückbar der Grundsatz: Es geht nicht um pauschalen Stellenabbau, sondern um Transformation. In bestimmten Bereichen werden künftig durch den Wandel zur E-Mobilität Aufgaben entfallen, gleichzeitig werden wir aber einen Aufbau in anderen Bereichen erleben. Ganz wichtig ist, dass wir den Umbau entlang der demografischen Kurve gestalten. Wir haben im Unternehmen viele Kolleginnen und Kollegen, die in den 60er Jahren geboren wurden, die sogenannten Baby Boomer. Wenn wir diesen Kollegen mit Hilfe der Altersteilzeit einen früheren Übergang in den Ruhestand möglich machen, können wir die Belegschaft ohne Probleme anpassen. Über zehn Jahre könnten das pro Jahr 1.500 bis 2.500 Kolleginnen und Kollegen sein. Letzteres ist aber die maximale Obergrenze und die werden wir sicherlich nicht erreichen.

Wo und wie lässt sich aus Ihrer Sicht konkret sparen?

Wir müssen die Veränderungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette vornehmen. Das beginnt in der Entwicklung. Wenn wir in der frühen Phase des Entwicklungsprozesses intensiver arbeiten und die Kostenvorgaben für die Produkte einhalten, dann steckt darin ein Riesen-Potenzial. Wir müssen außerdem die Variantenvielfalt weiter reduzieren. Wir haben Teile mit Einbauraten unter drei Prozent. Die müssen aber entwickelt werden, sie müssen produziert oder eingekauft werden, die Logistik muss bezahlt werden. Das verursacht hohe Kosten. Und der Kunde würde augenscheinlich nichts vermissen. Für diese Fragen haben wir eine eigene Arbeitsgruppe im Zukunftspakt, die „Value Engineering“ heißt. Da macht der Kollege Jörg Teichmann, den Herr Dr. Herbert Diess zu Volkswagen geholt hat, einen hervorragenden Job. Wir erwarten, dass die Erkenntnisse der Arbeitsgruppe jetzt in unsere Regelprozesse implementiert werden. Damit werden wir nachhaltig dreistellige Millionenbeträge einsparen.

Wird an der Höhe der Gehälter gerüttelt oder werden mehr Leiharbeiter eingesetzt werden?

Es wird mit uns keine Veränderungen am Tarifvertrag geben. Auch wenn der Vorstand das gerne würde. Unsere Kollegen werden wir nicht für die Versäumnisse anderer zahlen lassen.

Wie viele Stellen werden wo genau nach Ihrer Einschätzung neu entstehen?

Auch das besprechen wir im Zukunftspakt. Fakt ist: Wir fordern beispielsweise, dass gerade am Konzernsitz Wolfsburg neue Stellen im Bereich Digitalisierung und Mobilitätsdienstleistungen entstehen sollen. Und im Bereich IT. Wir wollen, dass Wolfsburg zum Silicon Valley des VW-Konzerns wird – was nicht bedeutet, dass wir nicht unsere Labs im Valley, in München oder Berlin weiterentwickeln werden. Auch dieses Know-how und diese Standorte brauchen wir. Aber wir erwarten hier auch am Konzernsitz eine Offensive. Da ist auch Wolfsburgs Oberbürgermeister Klaus Mohrs bereit, flexibel mit Volkswagen darüber zu sprechen, wie die Stadt das durch Flächen, Infrastruktur oder weitere Maßnahmen unterstützen kann. Jetzt muss sich der Vorstand bewegen und hier konkrete Zusagen machen. Das ist aber nur ein Beispiel. Auch an anderen Standorten werden Zukunftsfelder angesiedelt werden.

Wie viele Mitarbeiter werden sich für neue Tätigkeiten weiter- oder neu qualifizieren? Und was kommt auf sie zu?

Für eine Zahl ist es zu früh. Klar ist aber: Es wird sicherlich in einigen Bereichen Veränderungen geben. Das bedeutet Weiterbildung, neue Aufgaben oder auch den Einsatz in neuen Bereichen. Dafür erarbeiten wir in der Arbeitsgruppe „Personelle Grundsatzfragen“ Qualifizierungskonzepte. Wir erwarten hier insbesondere vom Personalbereich, dass er individuell auf die Kolleginnen und Kollegen eingeht, die betroffen sind. Und wir als Betriebsrat werden da besonders genau hinschauen.

Wie laufen die Verhandlungen zum Zukunftspakt, wo gibt es noch Unstimmigkeiten mit dem Konzern? Niemand will, dass VW in Wolfsburg, Salzgitter oder Braunschweig Stellen abbaut. Nur: Der Betriebsrat entscheidet nicht alleine. VW-Markenvorstand Diess scheint ein harte Verhandlungspartner zu sein. Oder täuscht der Eindruck?

Wir sind uns einig über das Ziel, nämlich Volkswagen zukunftsfest zu machen. Wir streiten aber hart in der Sache, also über den Weg dorthin. Der Vorstand hätte seine Spar- und Kürzungsplänen sicher gerne ungehindert durchgezogen. Unsere Aufgabe ist es, die Interessen der Kolleginnen und Kollegen dabei zu schützen, und das gelingt uns bisher. Klar ist auch: Wenn wir keine harten, mit Investitionen hinterlegten Produktzusagen bekommen, dann kann der Zukunftspakt auch noch scheitern. Wir haben noch keine zufriedenstellenden Antworten zur Fertigung von Batterien. Und auch die Werkbelegung für die fahrzeugbauenden Standorte steht noch aus.

Können Sie schon mehr zu den Standorten in der Region sagen, was deren künftige Ausrichtung angeht?

Alle Werke müssen eine Zukunftsperspektive bekommen. Nur dann gibt es einen Zukunftspakt mit uns. Aber es wäre aktuell nicht hilfreich, wenn wir über Zwischenstände öffentlich sprechen. Das schürt nur wieder neue Spekulationen, die unsere Kolleginnen und Kollegen verunsichern.

Wann wird der Zukunftspakt stehen?

Das kann jetzt noch keiner sagen. Wie gesagt: Er kann auch noch scheitern. Aber beide Seiten, Vorstand wie wir, ringen ernsthaft um Lösungen.

Was macht Sie so sicher, dass der Stellenabbau wie von Ihnen prognostiziert verläuft?

Wir legen mit dem Vorstand jetzt einen Fahrplan für die Transformation hin zu steigenden Anteilen von E-Mobilität fest. 2025 wird der Anteil der verkauften E-Fahrzeuge bei etwa 25 Prozent liegen. Und Volkswagen wird da an der Spitze der Automobilindustrie liegen. Das bedeutet, dass wir keine Veränderungen von heute auf morgen haben werden. Das wird ein Umbauprozess sein, der über Jahre andauert. Und wir werden diesen eng begleiten, damit unsere Kolleginnen und Kollegen dabei nicht auf der Strecke bleiben. Wir werden dafür in den nächsten Jahren hart arbeiten müssen. Und als IG Metall sind wir der Garant, dass das nicht wie bei anderen Unternehmen unkontrolliert abläuft. Der Zukunftspakt ist ein detaillierter Fahrplan, der dafür sorgt, dass E-Mobilität und Digitalisierung mit der Belegschaft gestaltet werden. Nicht gegen sie.