Braunschweig. Sie wollen Flüchtlinge beeinflussen, sprechen sie im Umfeld der Unterkünfte gezielt an.

Unsere Leserin, die sich Vivienne La Cognata nennt, schreibt auf unseren Facebookseiten:

Wieso wird so etwas nicht verboten? Mir fehlen die Worte!

Zum Thema recherchierte Andre Dolle

„Die Landesregierung ist sich der Gefahr durch den Salafismus sehr bewusst.“
„Die Landesregierung ist sich der Gefahr durch den Salafismus sehr bewusst.“ © Boris Pistorius (SPD), Innenminister, kürzlich in einer Rede im Landtag

Auch in Niedersachsen nehmen Salafisten Asylunterkünfte in den Fokus. Sie wollen Flüchtlinge gezielt für ihre rückwärtsgewandte, extrem konservative islamistische Strömung gewinnen. Die Sicherheitsbehörden haben etwa 30 Anwerbeversuche gezählt, fünf davon in Braunschweig und Wolfsburg.

Das Landesinnenministerium spricht von Männern im Alter zwischen 20 und 30 Jahren, die meist in Kleingruppen im Umfeld der Flüchtlingsunterkünfte auftreten. Mehrheitlich gehören diese Personen einer salafistisch eingeschätzten Organisation oder Moschee an. Es handelt sich aber auch um Anhänger anderer islamistischer Organisationen wie der Muslimbruderschaft oder der Kalifatsstaatsbewegung.

Da von Salafisten aus Sicht des Verfassungsschutzes eine besondere Gefährdung für die Sicherheit ausgeht, wird die Szene beob-achtet. Der Salafismus ist in Deutschland aber nicht verboten. In keinem der bekannten Fälle liegen den Sicherheitsbehörden in Niedersachsen daher hinreichende Anhaltspunkte für den Anfangsverdacht einer Straftat vor. Oft bieten die Salafisten den Flüchtlingen erst einmal nur einen Platz zum Beten an. Die Anwerbung geschieht also subtil.

Salafisten sehen sich als Verfechter eines unverfälschten Islam. Jede Form von Modernisierung lehnen sie ab. Der Salafismus hat einen ausgeprägten Drang zur Missionierung. Dementsprechend treten sie auch in Niedersachsen meist mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen in Erscheinung, etwa mit Infoständen, oder sie verteilen den Koran. Das geschieht regelmäßig in Hannover, auch in der Braunschweiger Innenstadt. Hier erteilt die Stadtverwaltung der deutsch-sprachigen Muslimischen Gemeinschaft regelmäßig eine Genehmigung. Es war auch die Muslimische Gemeinschaft, die den bekannten Salafisten Pierre Vogel zum Jahreswechsel nach Braunschweig einlud. Er hielt an Silvester einen Vortrag und an Neujahr die Predigt.

In ganz Niedersachsen sind laut Innenministerium in diesem Jahr bisher 114 Koranverteilungen bekanntgeworden. Innenminister Boris Pistorius (SPD) hat eine klare Meinung dazu: „Hier wollen wir den Kommunen empfehlen, solche Koranverteilaktionen zukünftig zu verbieten. Einen entsprechenden Erlass lasse ich zurzeit prüfen.“ Das sagte Pistorius vergangene Woche im Landtag.

Das Land stockt den Staats- und den Verfassungsschutz auf

Ein Mitarbeiter einer Sicherheitsbehörde, der nicht genannt werden will, schätzt den Erfolg der Anwerbeversuche im Umfeld der Flüchtlingsunterkünfte nicht als sehr groß ein. „Die Mehrzahl der Flüchtlinge ist dafür nicht empfänglich“, sagt er. Viele kämen aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan, seien nach Deutschland gekommen, weil sie sich vor islamistischen Terrorgruppen in Sicherheit bringen wollten. Das deckt sich mit der Einschätzung des Innenministeriums. Demnach liegen der Polizei zumindest keine Hinweise auf erfolgreiche Anwerbeversuche von Flüchtlingen vor. Im Widerspruch dazu erklärt die Landesregierung aber, dass als extremistisch eingeschätzte Moscheen auch von Flüchtlingen besucht werden.

Die Landesregierung begegnet der zunehmenden Radikalisierung. Sie hat den polizeilichen Staatsschutz um 24 Stellen von 279 Beamten auf 303 Beamte erhöht. Außerdem erhielt der Landesverfassungsschutz in diesem Jahr zwölf weitere Stellen, kommendes Jahr sollen noch einmal sechs weiter Dienstposten hinzukommen. Zudem verstärkt das Land die Prävention. In den Flüchtlingsunterkünften liegen Broschüren über den Salafismus aus, Mitarbeiter werden geschult, sollen so sensibilisiert werden.

Sicherheitsbehörden halten salafistische Moscheen für ein Vorfeld der Radikalisierung. Hochburgen sind in Niedersachsen neben Braunschweig und Wolfsburg auch Hildesheim und Hannover. Mehr als 20 Wolfsburger sind in den vergangenen Jahren nach Syrien und den Irak ausgereist. Der Großteil hat sich der Terrormiliz IS angeschlossen. Zwei Rückkehrer wurden vom Oberlandesgericht Celle Ende 2015 zu Haftstrafen verurteilt. Für Aufsehen sorgte auch der Messerangriff der seinerzeit 15-jährigen Safia auf einen Bundespolizisten am Hauptbahnhof Hannover. All das führte dazu, dass sich derzeit ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss mit der Islamismus-Gefahr in Niedersachsen beschäftigt.