Istanbul. Kanzlerin Merkel kritisiert die „Säuberungen“ scharf.

Nach dem Putschversuch in der Türkei fordert die islamisch-konservative Regierung von Deutschland die Auslieferung türkischer Gülen-Anhänger. Damit droht neuer Streit zwischen Ankara und Berlin.

„Die Sorge ist, dass sehr hart vorgegangen wird, und dieses Prinzip der Verhältnismäßigkeit nicht immer im Zentrum steht.“
„Die Sorge ist, dass sehr hart vorgegangen wird, und dieses Prinzip der Verhältnismäßigkeit nicht immer im Zentrum steht.“ © Angela Merkel (CDU), Bundeskanzlerin, zu den Maßnahmen Erdogans

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ermahnte Erdogan am Donnerstag zu mehr Zurückhaltung im Umgang mit Gegnern. Sie zeigte sich besorgt über die jüngsten Entwicklungen in der Türkei, in der seit Donnerstag vergangener Woche der Ausnahmezustand gilt. In einem Rechtsstaat müsse der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit „unter allen Umständen“ gewahrt werden, sagte Merkel. „Die Sorge besteht darin, dass sehr hart vorgegangen wird, und dieses Prinzip der Verhältnismäßigkeit nicht immer im Zentrum steht.“ Gerade angesichts von mehr als drei Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln in Deutschland habe die Bundesregierung daran jedoch „allergrößtes Interesse“. Die Eröffnung neuer Kapitel in den Beitrittsverhandlungen zwischen EU und Türkei schloss Merkel aus.

Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu sagte dem Sender CNN Türk: „Wie Sie wissen, sind Richter und Staatsanwälte (der Gülen-Bewegung) nach Deutschland geflohen. Und Deutschland hat die Aufgabe, sie auszuliefern.“ Schon vor dem Putschversuch habe es Auslieferungsforderungen der Türkei an die Bundesrepublik gegeben, „aber von nun an werden wir uns diesen Themen auf einer anderen Ebene widmen. Sie müssen sie ausliefern.“ Die Gülen-nahe Stiftung Dialog und Bildung in Berlin nannte die Forderung „absurd“.

Mit der Forderung der Türkei nach einer Auslieferung von mutmaßlichen Gülen-Anhängern droht nach dem Konflikt um die Völkermord-Resolution des Bundestages zu den Massakern an den Armeniern vor 100 Jahren neuer Streit zwischen der Ankara und Berlin. Bereits die Resolution vom 2. Juni hatte zu einem schweren Zerwürfnis geführt.

Der deutsche Botschafter in Ankara, Martin Erdmann, bekommt seit diesem Bundestagsbeschluss keine Termine im Außenministerium oder in anderen Regierungsstellen mehr, wie die Deutsche Presse-Agentur erfuhr. Anfragen würden nicht beantwortet. Deutsche Diplomaten unterhalb der Botschafterebene erhielten zwar gelegentlich noch Termine. Minister Cavusoglu müsse aber jedes Treffen billigen. dpa