Cleveland. Die Dauerfehde zwischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan und dem Geistlichen Fethullah Gülen belastet das Verhältnis der Türkei zu Amerika

An der Mount Eaton Road in den idyllischen Poconos-Bergen von Pennsylvania haben sich die Anwohner inzwischen daran gewöhnt. Wenn 5000 Meilen entfernt in der Türkei das Staatsschiff schlingert, wird es vor dem Anwesen mit der Hausnummer 1875 im Städtchen Saylorsburg regelmäßig laut. Demonstranten mit türkischen Wurzeln, die oft Hunderte Kilometer weit anreisen, versammeln sich mit Fahnen und Transparenten vor dem Wachhäuschen mit elektrischer Schranke und fordern Fethullah Gülens Kopf. So auch an diesem Wochenende.

„Wir sind absolut zum Handeln bereit, wenn die rechtlichen Standards erfüllt sind.“
„Wir sind absolut zum Handeln bereit, wenn die rechtlichen Standards erfüllt sind.“ © John Kerry, Außenminister der Vereinigten Staaten

Nach dem gescheiterten Putsch in der Heimat ist das 125 000 Quadratmeter große Exil des von Legenden umrankten Sufi-Predigers noch stärker zur Zielscheibe der Getreuen seines Erzfeindes geworden: Recep Tayyip Erdogan. Der türkische Präsident wirft seinem ehemaligen Weggefährten seit Jahren vor, aus der Ferne Staatszersetzung zu betreiben. Der Putschversuch gehe auf das Konto Gülens, sagte Erdogan, und verglich ihn mit einem Krebsgeschwür.

Von US-Präsident Barack Obama verlangte er die Auslieferung des 75-Jährigen, der 1999 in die USA floh, um einem Prozess zu entgehen. Gülen lebt seither zurückgezogen in einem von millionenschweren Gönnern ausgestatteten Rückzugsort der Frömmigkeit. Hier gibt der von seinen Anhängern „Hocaefendi“ (verehrter Lehrer) genannte Religionsführer spirituelle Audienzen – wenn es seine Herz- und Zuckerkrankheit zulässt.

Die US-Regierung reagierte genervt auf die aggressive Rhetorik Erdogans. Der amerikanische Präsident rief den Nato-Partner zur Zurückhaltung und Befolgung der Gesetze auf.

Noch deutlicher wurde US-Außenminister John Kerry: Ein Auslieferungsersuchen der Türkei müsse mit „soliden Beweisen“ untermauert werden. „Wir sind absolut zum Handeln bereit, wenn die rechtlichen Standards erfüllt sind“, sagte Kerry. Ein formeller Antrag auf Auslieferung liege aber nicht vor.

Kerry wandte sich auch gegen Unterstellungen der Türkei, die USA seien in den Putsch involviert. Der Außenminister „machte deutlich, dass die Vereinigten Staaten bereit seien, die türkischen Behörden bei der Untersuchung zu unterstützen“. Aber öffentliche Andeutungen oder Behauptungen über jedwede Beteiligung der USA an dem gescheiterten Putschversuch seien völlig falsch und „schädlich für unsere bilateralen Beziehungen“, erklärte das US-Außenministerium.

Nach dem Putschversuch sah sich Gülen zu einem seiner raren Presse-Auftritte genötigt. Er wies alle Vorwürfe als „beleidigend“ und „erlogen“ zurück, warf Erdogan Hitler-Gebaren vor und deutete an, dass der Umsturzversuch von Erdogan eingefädelt gewesen sein könnte, um die Türkei in eine Präsidialdiktatur zu zwingen. Erdogan toleriere keine gesellschaftlichen Gruppen, „die er nicht völlig unter Kontrolle hat“.

Bisher gilt Gülen in Amerika, wo die Religionsfreiheit ein hohes Gut ist, als unproblematisch. Er genießt unbefristetes Aufenthaltsrecht. Die ehemaligen Außenminister James Baker und Madeleine Albright schätzen den Mann mit dem Schnäuzer als möglichen Wegbereiter für eine islamische Moderne. Erdogan geht allerdings auch in den USA gegen Gülen vor. Der Anwalt Richard Amsterdam, bezahlt von der türkischen Regierung, hat die Gülen-Bewegung in mehreren US-Bundesstaaten vor Gericht gebracht. Er spricht von einer „kriminellen Vereinigung“, die sich durch Spenden Wohlwollen erkaufe.

In seinem Fadenkreuz steht ein Eckpfeiler der Gülenisten: 160 akademisch anerkannte Privatschulen, in denen mit US-Unterstützung vorwiegend Lehrer aus der Türkei unterrichtet werden. Die Justiz hat Fälle von Visa-Betrug aufgedeckt. Einige Schulen wurden geschlossen. Anwalt Amsterdam behauptet, dort werde Nachwuchs indoktriniert, der später Schaltstellen im „Parallelstaat“ übernimmt, mit dem Gülen in der Türkei den Umsturz plane. Als Indiz führt der Anwalt an, dass Ermittlungen gegen hochrangige Politiker und Erdogans Söhne wegen Korruption von Gülen-getreuen Juristen betrieben worden seien. Normalerweise tritt in solchen Momenten Alp Aslandogan auf. Der Computerwissenschaftler ist in Amerika Gülens Sprachrohr. Als diese Zeitung in Gülens Reich 2013 zu Gast war, konterte der 49-Jährige die Vorwürfe mit einem Standardsatz, der auch heute wieder anklingt: „Alles Verschwörungstheorien. Erdogan dämonisiert Gülen, um von seinen Verfehlungen abzulenken.“