Hamburg. Forscher aus Hamburg und Dresden haben ein Enzym entwickelt, das das Erbgut des HI-Virus aus der menschlichen DNA schneidet.

Unser Leser Martin Kämmer fragt:

Ist das das Verfahren welches Frau Charpentier entwickelt hat?

Die Antwort recherchierten Johannes Kaufmann und Cornelia Werner

Hamburger und Dresdner Forschern ist im Kampf gegen die HIV-Infektion möglicherweise ein entscheidender Schritt gelungen. Sie haben eine molekulare Schere entwickelt, mit der das Erbgut des Virus aus der infizierten menschlichen Zelle herausgeschnitten werden kann. Für eine ähnliche Technik wurde die Mikrobiologin Emmanuelle Charpentier berühmt, die bis vor wenigen Monaten am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig gearbeitet hat. Ihre Forschung gilt als nobelpreiswürdig – auch weil sie das Potenzial hat, Krankheiten wie HIV zu heilen.

Professor Charpentier entdeckte einen Mechanismus, mit dem Bakterien sich gegen den Angriff von Viren verteidigen: Das vom Virus in die Zelle eingeschleuste fremde Erbgut wird von diesem Mechanismus identifiziert und zerschnitten und damit unschädlich gemacht. Gemeinsam mit einer Kollegin veränderte Charpentier diesen Mechanismus so, dass das Schneidprotein Cas9 gezielt an eine bestimmte Stelle am Erbgut geführt werden kann, um es dort zu schneiden. Diese „Gen-Chirurgie“ ermöglicht es nicht nur, unerwünschte Gene wie die des HI-Virus zu entfernen, sondern auch andere Gene ins Erbgut einzufügen.

Die Crispr/Cas9 genannte Technik gilt als revolutionär, weil das komplexe Schneidprotein Cas9 immer gleich bleibt. Lediglich das wesentlich weniger komplexe Leit-Molekül, das das Protein an die richtige Stelle im Erbgut führt, muss für die spezifische Anwendung angepasst werden. Das macht Crispr/Cas9 sehr viel praktischer, schneller und günstiger als andere Verfahren zur Veränderung von Erbgut. Charpentier und ihre Kollegin veröffentlichten die Ergebnisse ihrer Forschung im Jahr 2012.

Einwicklung der Gen-Schere dauerte fast ein Jahrzehnt

Als Professor Joachim Haubner, Leiter der Abteilung „Antivirale Strategien“ am Hamburger Heinrich-Pette-Institut, Leibniz Institut für Experimentelle Virologie (HPI), 2007 die erste Studie zu seiner Gen-Schere gegen HIV veröffentlichte, gab es Crispr/Cas9 also noch nicht. Er musste stattdessen in einem aufwendigen und langwierigen Prozess ein maßgeschneidertes Enzym entwickeln, das gezielt das Erbgut des HI-Virus findet und aus dem menschlicher Zellen schneidet. Allerdings: „Eine Crispr/Cas9-Genschere wäre aber nicht so präzise gewesen“, erklärte Hauber gegenüber der Zeitung „Die Welt“. Mit der moderneren Methode könnten HI-Viren nicht so zielgenau aus dem Erbgut herausgeschnitten werden.

Zusammen mit Systembiologen der Medizinischen Fakultät der Technischen Universität Dresden hat Hauber die Ergebnisse seiner Arbeit nun in der Fachzeitschrift „Nature Biotechnology“ veröffentlicht. „Die Arbeit hat das Potenzial, die bisherige Therapie zu verändern und das erste Mal eine Heilung zu erzielen“, sagt Professor Hauber.

Die HIV-Infektion, die zur Immunschwächekrankheit Aids führen kann, ist weltweit ein großes Problem: 37 Millionen Menschen sind mit dem Virus infiziert. Jährlich kommen zwei Millionen Neuinfektionen hinzu. Bekannt sind zwei Arten von HI-Viren, HIV 1 und HIV 2. Die meisten HIV-Infizierten haben sich mit dem HI-Virus 1 angesteckt. Einen Impfstoff gegen die Infektion gibt es nicht. Die bisherige Therapie besteht darin, mithilfe von Medikamenten die Vermehrung des Virus zu unterdrücken. Damit lässt sich zwar die Krankheit in vielen Fällen gut behandeln, aber die Patienten müssen lebenslang Tabletten schlucken und leiden auch unter Nebenwirkungen.

Das Schwierige ist, das Virus aus den Zellen zu entfernen. Bisherige Versuche mit molekularen Scheren waren nur wenig effektiv oder hatten Nebenwirkungen. Wie Hauber erklärt, können die bisherigen Scheren nur ein Prozent des in die Zelle integrierten HIV-1-Erbguts erkennen.

An HIV-infizierten Mäusen ist die Wirkung bereits nachgewiesen

Die neue molekulare Schere, welche die Forscher in den vergangenen drei Jahren entwickelt haben, die sogenannte Designer-Rekombinase Brec1, kann über 90 Prozent des HIV-1-Erbgutes aus dem menschlichen Erbgut herausschneiden. Bei dem relevantesten Untertyp B sogar mehr als 94 Prozent. Das Enzym erkennt die beiden Enden des HIV-Erbgutes in der Zelle, trennt sie aus dem menschlichen Erbgut heraus und führt sie so zusammen, dass ein Ring entsteht. Dieser Ring wird dann in der Zelle abgebaut.

Dafür, dass die Schere auch an ihren Bestimmungsort gelangt, sorgt eine Genfähre. Sie besteht aus einem Virus, das gentechnisch so verändert ist, dass es ungefährlich ist. Diese Genfähre verfügt über eine weitere Besonderheit. „Sie enthält einen Schalter, der auf HIV anspricht“, erklärt Hauber. Das bedeutet, Brec1 wird nur dann produziert, wenn die Zelle wirklich mit dem Virus infiziert ist.

Dass diese neue Methode funktioniert, haben die Forscher bisher an Zellen von HIV-positiven Patienten und an HIV-infizierten Mäusen nachgewiesen. So haben sie Mäusen blutbildende menschliche Stammzellen injiziert und die Tiere dann mit dem HI-Virus infiziert. Eine Gruppe der Tiere wurde mit der molekularen Schere behandelt, die andere erhielt keine Therapie. Im Vergleich über einen Zeitraum von 20 Wochen nach der Infektion zeigte sich, dass bei den unbehandelten Tieren die Zahl der nachgewiesenen Viren anstieg. Bei den Tieren, die mit der molekularen Schere behandelt wurden, sank die Zahl der Viren unter die Nachweisgrenze.

Im nächsten Schritt wollen die Wissenschaftler jetzt eine erste Studie mit HIV-Patienten starten. Für die Therapie wird den Patienten ein Wachstumsfaktor verabreicht, der dafür sorgt, dass möglichst viele Stammzellen aus dem Knochenmark in das Blut wandern. Dann wird dem Patienten Blut abgenommen. „Daraus werden die blutbildenden Stammzellen isoliert, in die dann die Genfähren mit der molekularen Schere eingeführt werden“, sagt Hauber. Im nächsten Schritt erhält der Patient sein eigenes Blut wieder zurück. „Das hat den Vorteil, dass keine Abstoßungsreaktionen zu befürchten sind“, sagt der Wissenschaftler. Die Stammzellen wandern dann zurück ins Knochenmark und bilden dort neue Zellen, in deren Erbgut auch der Bauplan für die molekulare Schere enthalten ist sowie der Schalter, der bei Anwesenheit von HI-Viren die Produktion von Brec1 auslöst.

In Hamburg soll eine kleine Studie mit zehn Patienten beginnen

„Die erzielten Ergebnisse stellen die Grundlage für erste klinische Studien zur Heilung von HIV-Patienten dar, die in absehbarer Zeit in Hamburg durchgeführt werden sollen“, sagt Hauber. Zunächst soll eine kleine Studie mit zehn Patienten beginnen.

„Wir hoffen, dass wir dieses Jahr noch starten können“, sagt Dr. Jan Chemnitz, Wissenschaftler in der Abteilung „Antivirale Strategien“ des HPI. Zunächst müssen für diese Studie noch Investoren gefunden werden, denn sie wird ungefähr 15 Millionen Euro kosten. „Allein die Genfähren kosten schon fünf Millionen Euro. Es gibt nur zwei Firmen in Europa, die so etwas produzieren“, sagt Dr. Ilona Hauber, ebenfalls Wissenschaftlerin in der Abteilung „Antivirale Strategien“.

HIV UND AIDS

Das HI-Virus (Humanes Immundefizienz-Virus) wurde 1983 zum ersten Mal beschrieben. Seitdem hat es sich zu einer Pandemie entwickelt, die zu Infektionen überall auf der Welt geführt hat. Das Virus löst nach einer meist langjährigen Latenzphase die Immunkrankheit Aids aus. Gegenwärtig sind etwa 37 Millionen Menschen mit dem Virus infiziert. Jährlich kommen zwei Millionen Neuinfektionen hinzu. In einigen afrikanischen Staaten ist jeder vierte 15- bis 49-Jährige infiziert. Übertragen wird das Virus über den Austausch von Körperflüssigkeiten wie Blut und beim Geschlechtsverkehr.

Aids (Acquired Immune Deficiency Syndrome) wurde 1981 als eigene Krankheit erkannt. Nach Schätzungen der UN-Organisation UNAIDS sind bisher etwa 39 Millionen Menschen daran gestorben. Die Krankheit schwächt das Immunsystem, indem das Virus Zellen der Immunabwehr zerstört. In der Folge kommt es zu sogenannten opportunistischen Infektionen mit Erregern, gegen die sich der Körper nicht mehr ausreichend wehren kann.

Die Therapie besteht aus der Einnahme verschiedener antiviraler Medikamente. Damit kann die Viruslast im Blut unter die Nachweisgrenze gesenkt werden, was dem Immunsystem die Chance gibt, sich zu erholen. Da das Virus aber sein Erbgut in menschliche Körperzellen einbaut, wo die Medikamente nicht wirken, kann die Krankheit auf diese Weise nicht geheilt werden. Unter den Infizierten haben nur etwa 15 Millionen Zugang zu den nötigen Medikamenten. jok