Gifhorn. Ein Gutachten nennt gute Ausbaugründe. Gegner zweifeln sie an.

Unser Leser Sören Böttcher meint auf unseren Facebookseiten:

Es ist ein Fluch, weil es ein höheres Verkehrsaufkommen nach sich zieht, und ein Segen, da Bürger unserer Region schneller in die norddeutschen Bundesländer kommen.

A39 Wolfsburg - Lüneburg

Das Thema recherchierte Christian Franz

Die größe autobahnfreie Lücke Deutschlands klafft in unserer Region. Zwischen der Autobahn 7 im Westen, der A 2 im Süden und der A 24 weit im Norden rollt der Verkehr allenfalls über Bundesstraßen. Und im Osten? Dort begegnet man irgendwo erneut der A 24, die ab Hamburg einen großen Bogen beschreibt, um nördlich von Potsdam auf die A 10 zu treffen. Verloren in dieser Lücke: Gifhorn, Uelzen, Lüneburg.

Das Ziel, das 105-Kilometer-Loch mit der Autobahn 39 zwischen Wolfsburg und Lüneburg zu stopfen, entzweit Gegner und Befürworter. Leser Böttcher bringt den Zwiespalt auf den Punkt.

Die Befürworter des 1,2-Milliarden-Euro-Projekts sind einen ungewöhnlichen Weg gegangen. Sie haben sich auf die Argumente der Gegner eingelassen und sie wissenschaftlich prüfen lassen. Herausgekommen ist ein 40-seitiges Gutachten des CIMA-Instituts für Regionalwirtschaft. Weil die Antwort im Sinne des Auftraggebers Wolfsburg AG ausfiel, gab es am Montag in Wittingen einen großen Bahnhof, um die „Guten Gründe für die A 39“ gewissermaßen mit Gütesiegel vorzustellen.

CIMA-Studienautor Fabian Böttcher hatte die Debattenbeiträge der Autobahngegner in 16 Thesen zusammengefasst und zu fünf Kernthemen gruppiert.

Gifhorns Landrat Andreas Ebel hob Böttchers Fazit zum Themenfeld Wohnen und Leben hervor: „Unser Südkreis hat die A 2 und die A 39. Das würden wir uns für den Nordkreis auch wünschen.“ Eine gute Verkehrsanbindung fördere die wirtschaftliche Entwicklung. Auch Wittingens Erster Stadtrat Peter Rothe sieht diesen Nutzen: „Wir gewinnen durch bessere Pendelmöglichkeiten als Wohn- und Wirtschaftsstandort.“ Der Bevölkerungsrückgang im Nordkreis, von den Demografie-Plagen Schrumpfung und Überalterung gepeinigt, lasse sich so umkehren. Dass das funktioniert, sieht Wob-AG-Chef Krause schon durch den kleinen Lückenschluss der A 39 bei Braunschweig bewiesen: „Seitdem boomt es im nördlichen Kreis Wolfenbüttel. „Da sinken die Immobilienpreise nicht, da steigen sie, weil die Leute dort leben wollen.“

Böttcher beleuchtete weitere Streitpunkte: Für Wirtschaft und Arbeit bringe die A 39 neue Beschäftigungschancen in den florierenden Strecken Polen-Wolfsburg und Hamburg.

Kritik an Wirtschaftlichkeit und Finanzierung nannte Böttcher ungerechtfertigt – „der belegte Kosten-Nutzen-Faktor größer als eins ist immer wirtschaftlich“. Thomas Krause zufolge gehen bereits eingetretene Kostensteigerungen nicht zuletzt auf Rücksichtnahme auf örtliche Interessen zurück.

Zum Thema Verkehrslast sagte Böttcher, ohne die neuen Kapazitäten der A 39 werde das bestehende Straßennetz bald überlastet: „Der Verkehr wächst weiter.“ Ein Ausbau der Bundesstraße 4, häufig als Alternative aufgeführt, schaffe die nötigen Kapazitäten nicht. Wichtig nannte Böttcher zudem, dass die A 39 Binnenhäfen anbinde. Dann funktioniere im Güterverkehr der Wechsel zwischen Bahn, Schiff und Auto.

Selbst die von Autobahngegnern gefürchteten Natureingriffe hält Böttcher für beherrschbar: „Die entscheidende Frage ist, ob man sie verringern kann?“ Und ja, die vorgesehenen Schutz- und Ausgleichsprojekte seien umfassend. Sogar Umwege mache die A 39 zugunsten der Natur, betonte Landrat Ebel: „Für bessere Umweltverträglichkeit ist die Strecke 25 Kilometer länger.“ Über diese inhaltlichen Argumente hinaus verfehlt das Gutachten seine strategische Wirkung nicht. Was sollen Autobahngegner noch vorbringen, wenn Befürworter ihre Argumente nicht einfach abtun, sondern aufgreifen?

Nicht von ungefähr schäumte Karin Loock, die Vertreterin der rührigen Bürgerinitiative Boldecker Land, die sich im Kreis Gifhorn gegen die A 39 engagiert. Geradezu verzweifelt warnte Loock, die nur durch Zufall Wind von dem PR-Coup der Landräte bekommen hatte, vor einem Verkehrskollaps nördlich von Wolfsburg, vor Lärm in den Dörfern und dem schlechtesten Wirtschaftlichkeitsfaktor aller Autobahnprojekte. Das Gutachten geißelte sie als „Lehrbeispiel für Lobbyismus in Deutschland“. Tatsächlich kommt das Papier wie gerufen für den Parlamentarischen Abend der Industrie- und Handelskammer Lüneburg-Wolfsburg zur Infrastruktur diesen Donnerstag in Berlin. Außerdem wird in den nächsten Wochen im Bundestag der Entwurf des Bundesverkehrswegeplans vorgelegt, der maßgeblich die Chancen des A-39-Projekts bestimmt. Das Konzept sollte allerdings ursprünglich bereits im Herbst vorliegen.