Salzgitter. Umweltministerin Hendricks kommt nach Salzgitter, um Vertrauen für das Endlager zu schaffen. Doch die Fronten sind verhärtet.

Unser Leser Eckart Sander aus Salzgitter meint:

Ich habe die Demo gesehen. Ein Protest bis zur letzten Minute ist berechtigt, aber sinnlos.

Zum Thema recherchierte Andre Dolle

Kurz bevor die Ministerin die Kulturscheune in Salzgitter betritt, deutet Braunschweigs Oberbürgermeister Ulrich Markurth auf ein Banner in der Halle hin. Darauf steht: „Mit aller Macht gegen den Schacht.“ Gemeint ist das geplante Atommüll-Endlager Schacht Konrad in Salzgitter. Auf dem Banner, das an Wahlplakate aus den 50er Jahren erinnert, stehen schemenhaft zwei Männer. Im schwarzen Hintergrund ist der Förderturm von Schacht Konrad zu sehen. Flammen schlagen hoch. „Mensch, ihr seid ja drastisch hier!“, sagt Markurth zu seinem Amtskollegen Frank Klingebiel aus Salzgitter. „Wir sind Industriestadt, was denkst du denn?“, erwidert der.

Diese Entschlossenheit spiegelt sich auch in den Gesichtern der etwa 700 Demonstranten wider. Bunt gemischt sind sie: Landfrauen sind dabei, Rentner und viele, viele Mitarbeiter der in Salzgitter ansässigen Unternehmen wie MAN, VW oder der Salzgitter AG. Viele der Demonstranten sind jung, sie tragen Warnwesten, blasen in Trillerpfeifen. Das Landvolk hat Traktoren vor der Halle postiert. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) ist mit dem erklärten Ziel nach Salzgitter gekommen, Vertrauen zurückzugewinnen. Doch sie scheut den Gang durch die Menge, wählt den Hintereingang. Das bringt ihr den Spott des Redners der IG Metall vor der Halle ein: „Das versteht die Ministerin also davon, sich zu stellen“, ruft er.

Nur ein kleiner Teil der Demonstranten schafft es in die Halle. Der Rest verfolgt die Übertragung davor. Trotz der Kälte harren die Menschen bei Tee, Kaffee und Tomatensuppe aus.

Als Klingebiel zu Beginn der Diskussion die langjährigen Konrad-Gegner Ursula Schönberger (AG Schacht Konrad), Ulrich Löhr (Landvolk Braunschweiger Land) und Wolfgang Räschke (IG Metall) vorstellt, brandet Beifall auf. Hendricks wird noch viele Buh-Rufe und Pfiffe erhalten.

Klingebiel liest aus dem „Appell der Region“ vor, unterzeichnet von Vertretern von 19 Kommunen zwischen Harz und Heide ist dieser. Die Kommunen fordern, dass das Endlager mit seinen Plänen, die zum Teil aus den 80er Jahren stammen, neu bewertet wird. Eine Erweiterung lehnen sie ab. „Die Region steht zusammen“, ruft der OB der Ministerin entgegen.

Hendricks geht ans Rednerpult, erhält die Gelegenheit, sich zu rechtfertigen. Sie spricht von größtmöglicher Ehrlichkeit und muss zugeben, dass sie eine Erweiterung des einzigen genehmigten Atommüll-Endlagers in Deutschland nicht ausschließen kann. Sie widerspricht damit dem Präsidenten des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS), Wolfram König. Dieser hatte unserer Zeitung erst kürzlich erklärt, dass eine Erweiterung nicht mehr in der Diskussion sei.

Sie wünsche sich die Erweiterung nicht. Der Müll aus der Asse und aus Gronau solle besser gleich mit im noch zu findenden Endlager für hoch radioaktiven Atommüll eingelagert werden. „Wenn ich mich auf eine Prozentzahl in der Erweiterungs-Frage festlegen müsste, wären das 98 Prozent. Ich weiß, das ist schwierig für Sie, ich muss aber ehrlich sein. Wir wissen es jetzt noch nicht.“ Die Entscheidung könne sich bis 2031 hinziehen. Das wäre eine 15-jährige Hängepartie. Dabei soll Konrad bereits 2022 in Betrieb gehen.

Hendricks betont, dass die Zeit dränge, die 60 Zwischenlager in Deutschland seien voll. Und: „Es liegen keine Erkenntnisse vor, die die Sicherheit von Konrad infrage stellen.“ Gleichwohl werde das BfS eine Sicherheitsanalyse vornehmen. Dann sagt die Ministerin Sätze, auf die sie oder nachfolgende Minister noch festgenagelt werden könnten: „Wo es nötig ist, werden wir nachrüsten. Zeigt die Sicherheitsanalyse, dass das nicht möglich ist, werden wir die Endlagerung nicht starten.“

In der Diskussion schießen sich Klingebiel, Schönberger, Löhr, Räschke sowie Oberbürgermeister und Landräte aus der Region auf Hendricks ein. Die bleibt aber standfest. „Konrad ist planfestgestellt“, sagt die Ministerin. „Das wird auch so kommen.“

Löhr vom Landvolk sagt mit Blick auf die zum Teil veralteten Konrad-Pläne: „Wenn ich heute mit einer 30 Jahre alten Baugenehmigung zu meiner Landrätin laufen würde, würde ich nur ein müdes Lächeln ernten.“ Und Räschke von der IG Metall ergänzt: „Uns ist klar, dass die Zwischenlagerstandorte in Deutschland ihren Atommüll so schnell wie möglich loswerden wollen. Größtmögliche Sicherheit und mangelnde Zeit schließen sich aber aus.“

Braunschweigs OB Markurth, der sich schon seit 35 Jahren beruflich mit Schacht Konrad beschäftigt, sagt ziemlich deutlich: „Wir sind bei der Asse schon verarscht worden. Das sitzt immer noch tief. Wir haben einen eindringlichen Wunsch: Guckt noch mal, ob es nicht ein besseres Endlager gibt. Diese Region darf nicht alles abbekommen.“ Wolfsburgs OB Klaus Mohrs ergänzt: „Die Menschen hier mussten schon zu viel schlucken.“ Nach dem Endlager für hoch radioaktiven Atommüll wird nun bundesweit gesucht, die Öffentlichkeit wird beteiligt. Schacht Konrad war eine politische Entscheidung.

Wolfenbüttels Bürgermeister Thomas Pink fühlt sich an die Asse und an Vorgänge aus den 70er und 80er Jahren erinnert. Er spricht von „Heftpflasterpolitik“, die Technik ändere sich, bei Konrad setze man hingegen auf veraltete Maßstäbe. „Hier werden Heftpflaster auf eine Wunde geklebt, die nicht heilt.“

Hendricks lässt Vergleiche zur maroden Asse nicht zu. Es handele sich hier um zwei völlig unterschiedliche Bergwerke. „Dieser Vergleich tut der Region nicht gut. Das sorgt unnötig für ein diffuses Sicherheitsgefühl.“

Am Ende pfeifen die Menschen, Hendricks hat sie nicht überzeugt. „Ihre Aussagen enttäuschen mich“, sagt Klingebiel zur Ministerin. „Vertrauen schaffen Sie nur, wenn Sie eine ergebnisoffene Standort-Suche starten.“