Braunschweig. Zwischen den Posten in Vorstand und Aufsichtsrat ist eine Karenzzeit von zwei Jahren vorgesehen.

VW-Finanzvorstand Hans Dieter Pötsch soll Chef des Aufsichtsrats der Volkswagen AG werden – des Gremiums also, das die Arbeit des Vorstands kontrolliert. Das ist ohne eine Karenzzeit von zwei Jahren eigentlich verboten. Doch der Automobilbauer nutzt eine Ausnahme im Gesetz.

„Man kann fragen, ob es sinnvoll ist, dass die eigene Geschäftstätigkeit kontrolliert wird.“
Horst Call, Professor für Arbeits- und Wirtschaftsrecht, Ostfalia-Hochschule

Mitglied des Aufsichtsrats darf nach dem deutschen Aktienrecht nicht werden, wer „in den letzten zwei Jahren Vorstandsmitglied derselben börsennotierten Gesellschaft war“. Denn wer direkt wechselt, überprüft die Folgen des eigenen Handelns und kann dadurch in Interessenkonflikte geraten. Die Regelung bietet allerdings eine Hintertür: „Es sei denn, seine Wahl erfolgt auf Vorschlag von Aktionären, die mehr als 25 Prozent der Stimmrechte an der Gesellschaft halten.“ Größter Einzelaktionär bei VW ist die Porsche SE mit knapp 32 Prozent der Anteile und fast 51 Prozent der Stimmrechte. Die Mehrheit der Aktien an der Holding halten die Familien Piëch und Porsche, die Voraussetzung ist damit erfüllt. Pötsch offiziell vorgeschlagen haben die Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat der Porsche SE. Das Präsidium und der Nominierungsausschuss des VW-Aufsichtsrats unterstützten den Vorschlag, den bisherigen Finanzvorstand bei einer außerordentlichen Hauptversammlung im November in den Aufsichtsrat zu wählen.

„Rechtlich ist das möglich“, betont Horst Call, Professor für Arbeits- und Wirtschaftsrecht an der Ostfalia-Hochschule. „Das Gesetz will grundsätzlich aber etwas anderes.“ Der „Deutsche Corporate Governance Kodex“, in dem sich die Wirtschaft selbst Regeln für eine gute Unternehmensführung auferlegt, geht deshalb noch weiter: „In letzterem Fall soll der Wechsel in den Aufsichtsratsvorsitz eine der Hauptversammlung zu begründende Ausnahme sein“, heißt es weiter.

„Man kann fragen, ob es sinnvoll ist, dass die eigene Geschäftstätigkeit kontrolliert wird“, sagt Call. Das lasse sich kritisch sehen, zumal Pötsch Finanzvorstand der Porsche SE bleiben soll. Die Argumentation sei oft, dass ein Konzern andernfalls Fachwissen verlieren würde. „Die Frage ist aber, ob sich wirklich niemand anderes finden lassen würde“, merkt Call an.

Bis vor einigen Jahren waren solche Wechsel vom Vorstand in den Aufsichtsrat durchaus üblich, wie Call berichtet: Anfang des Jahrtausends fand er beispielsweise bei Thyssen-Krupp, der Allianz und Deutschen Bank oder BASF ebenso statt wie bei SAP. Auch Ferdinand Piëch war Vorstandsvorsitzender, bevor er 2002 Aufsichtsratschef wurde.

Ein besonders delikater Fall rief schließlich aber die Politik auf den Plan: Heinrich von Pierer sollte als Aufsichtsratsvorsitzender von Siemens eine Korruptionsaffäre aufklären, die in seine Zeit als Vorstandschef fiel. Seit 2009 schreibt das Aktiengesetz nun zwei Jahre Karenzzeit vor – und entfaltet durchaus seine Wirkung. Josef Ackermann etwa fand unter den Deutsche-Bank-Aktionären nicht die nötigen 25 Prozent für den Posten an der Spitze des Aufsichtsrats. Werner Wenning, Chef-Aufseher bei Bayer, musste zwei Jahre warten, bis er 2012 seinen neuen Job antrat. „Das hat auch zu Frust unter Vorstandsvorsitzenden geführt“, erzählt Call.

In der Kritik seien die Wechsel immer gewesen, erinnert sich der Professor. Die meisten Unternehmen beziehungsweise Aktionäre nutzten die Ausnahme, die das Gesetz vorsieht, deshalb nicht. Auch in der Hauptversammlung von Volkswagen dürfte es dazu möglicherweise kritische Fragen geben.