Braunschweig. Gefährliche Keime haben in Pflegeheimen leichtes Spiel, wenn das Personal keine Zeit hat, die wichtigsten Regeln einzuhalten.

Hygiene in Pflegeheimen kann die Ausbreitung gefährlicher Keime wie des Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA) minimieren. Davon sind Professor Wilfried Bautsch vom Institut für Mikrobiologie, Immunologie und Krankenhaushygiene am Städtischen Klinikum Braunschweig und Rainer Schubert, Gesundheitsplaner der Stadt Braunschweig, überzeugt. Sie sind Mitglieder des Vorstands im Hygienenetzwerk Südostniedersachsen, das am 15. Juli eine Fortbildung für Altenpfleger zu Basishygiene in Pflegeheimen ausrichtet. Über dieses Thema sprachen sie mit unserem Redakteur Johannes Kaufmann.

Warum haben Sie diesen Schwerpunkt gewählt? Gibt es bei den Pflegern in Seniorenheimen einen besonderen Bedarf? Kann man da besonders viel erreichen?

„Wir müssen uns fragen, was uns Altenpflege wert ist und ob wir sie ausreichend honorieren.“
„Wir müssen uns fragen, was uns Altenpflege wert ist und ob wir sie ausreichend honorieren.“ © Rainer Schubert, Gesundheitsplaner der Stadt Braunschweig

Schubert: Letzteres. Wir haben ein ganzes Portfolio von Fortbildungen, das sich an alle Gesundheitsberufe richtet. Aber das Grundthema Basishygiene ist von ganz vielen Seiten bedroht: Personalnotstand, Pflegenotstand, Geld- und Zeitmangel. Basishygiene ist eigentlich ein Dauerbrenner und immer hochaktuell.

Bautsch: Außerdem kann das jeder sofort umsetzen. Während spezielle Hygiene wie Isolierungen, Aufnahme-Screenings nach Besiedlungen und umfangreiche Sanierungen erregerspezifisch, aufwendig und sehr teuer sind, gehört die Basishygiene zum Alltag.

Was macht Basishygiene denn aus?

„MRSA ist ein klassischer Besiedler alter Menschen. Mit steigendem Alter nimmt das Risiko zu.“
„MRSA ist ein klassischer Besiedler alter Menschen. Mit steigendem Alter nimmt das Risiko zu.“ © Wilfried Bautsch, Hygiene-Experte am Städtischen Klinikum Braunschweig

Bautsch: Wichtig ist zum Beispiel die korrekte Händedesinfektion oder die Frage, wie man kontaminierte Kleidung und Handschuhe richtig auszieht. Wer zum Beispiel mit dem rechten Handschuh unter den linken Handschuh fasst, um diesen auszuziehen, kontaminiert sich so die eigentlich geschützte linke Hand. Hinzu kommen Themen wie Flächendesinfektion und der Umgang mit Geschirr und Abfall. Es geht um grundlegende Abläufe im Kontakt mit Patienten.

Gehört all dies nicht zur Grundausbildung von Pflegekräften?

Schubert: Im Prinzip ja. Aber das Beispiel einer MRSA-Sanierung zeigt, wie komplex das ist, wenn man es richtig macht. Bei der von Gesundheitsingenieuren des Gesundheitsamtes konzipierten Sanierung wird ein Patient über fünf Tage fünfmal am ganzen Körper desinfiziert, von der Mundhöhle bis zu den Füßen. Pro Durchgang sind da etwa 50 Handgriffe notwendig, inklusive mehrerer Handschuh-Wechsel, dem Austausch der Bettbezüge und der Verwendung eines großen Stapels frischer Handtücher, und bei jedem Schritt kann man etwas falsch machen. Das muss man lernen und üben. Bei unserer Fortbildung zeigen wir einen Lehrfilm dazu, und wir schulen die Teilnehmer zur Hände- und Flächendesinfektion.

Bei einem so komplexen und zeitraubenden Verfahren stellt sich die Frage nach dem Personal. Können Pflegeheime das leisten?

Schubert: In der Tat, eine solche Sanierung dauert fünf Tage und bindet jeden Tag zwei Pfleger für mindestens eine Dreiviertstunde. Wir brauchen mehr Geld für die Pflege. Und wir finden jetzt schon nicht genug Pflegekräfte. Der Beruf muss attraktiver werden, wollen wir nicht auf eine kleine Katastrophe zusteuern. 80 Prozent der Altenpfleger stehen nach fünf Jahren im Job nicht mehr zur Verfügung. Das hat viele Gründe: Gehalt, Arbeitsbedingungen, Vereinbarkeit mit der Familie, ständige Notruf-Verfügbarkeit bei Krankheitswellen. Und das Problem wird sich durch den demografischen Wandel noch verschärfen. Das ist ein wichtiges Thema für die Region, das wir nur gemeinsam angehen können.

Bautsch: Hygiene kostet Personalzeit. Das zeigt das Beispiel der MRSA-Sanierung. Es wird aber aus Kostengründen Personal abgebaut, und das führt nachweislich zu einer Zunahme von Hygienemängeln. Am Ende spart Hygiene zwar Geld, weil es weniger teuer zu behandelnde Infektionen gibt. Doch von einer MRSA-Sanierung im Altenheim profitiert vor allem das Krankenhaus und weniger das Altenheim, weil weniger MRSA ins Krankenhaus hineingetragen wird und es dort letztlich zu weniger Infektionen mit MRSA kommt.

Das klingt ziemlich düster. Ist das alles eine Frage des Geldes?

Schubert: Wir müssen uns fragen, was uns Altenpflege wert ist und ob wir sie entsprechend honorieren. Es muss viel investiert werden, in die Ausbildung, in die Heime, in die Bezahlung. Das kostet viel Geld. Am Ende müssen sich die Krankenkassen fragen, ob sie mit den aktuellen Kassensätzen für die Zukunft gerüstet sind.

In Deutschland sollen Krankenhausbetten abgebaut werden. Wäre das auch in Pflegeheimen denkbar, um mit weniger Betten gleichzeitig die Qualität zu erhöhen?

Schubert: Das ist ein interessanter Ansatz. Generell gilt ambulant vor stationär: besser zu Hause pflegen als im Heim. Häufig entspricht das dem Bedürfnis des Patienten, und es wäre eine Möglichkeit, das Problem des demografischen Wandels abzufedern.

Bautsch: Im internationalen Vergleich haben wir tatsächlich viele Krankenhausbetten je 1000 Einwohner. Man darf aber nicht nur diesen einen Parameter betrachten. Natürlich ginge es mit weniger Betten, aber dann müssten wir das Gesundheitssystem umbauen und die ambulante Versorgung stärken. Häufige Infekte bei alten Menschen in Pflegeheimen sind Durchfall-Erkrankungen. In Deutschland kommen die dann ins Krankenhaus, wenn sie eine Infusionstherapie brauchen. In den Niederlanden dürfen medizinische Hilfsberufe bei Durchfall eine Infusion geben. Einfach nur Betten abzubauen, führt dazu, dass wir wie im Januar hier in Braunschweig die Leute auf Flurbetten verteilen müssen. Und um bei den Niederlanden zu bleiben: Dort werden sie im Krankenhaus optimal versorgt. Sie kommen nur nicht so leicht rein. In Deutschland haben sie in zwei bis drei Wochen einen OP-Termin, wenn Sie eine schwere koronare Herzkrankheit haben und einen Bypass brauchen. In den Niederlanden warten Sie bis zu acht Monate.

Stimmt es, dass MRSA in Pflegeheimen besonders häufig vorkommt?

Bautsch: Ja. MRSA ist ein klassischer Besiedler alter Menschen, mit steigendem Alter nimmt das Risiko zu. Diese Bevölkerungsgruppe kommt besonders häufig ins Krankenhaus und bekommt häufig Antibiotika, was die Ausbreitung von MRSA begünstigt.

Kann die Basishygiene in Pflege- und Altenheimen gegen die Ausbreitung von MRSA helfen?

Bautsch: Basishygiene kann die Verbreitung über klassische Übertragungswege minimieren. Wir hoffen, dass der Keim dann seltener wird. Danach sieht es übrigens aus: Die MRSA-Rate in Deutschland ist rückläufig. In Niedersachsen hatten wir 2009/10 den Höhepunkt. Damals stellten sich 25 Prozent der analysierten Proben von Staphylococcus aureus als MRSA heraus. Heute sind es weniger als 19 Prozent.

Lässt sich abschätzen, welchen Anteil die Hygiene bei der Bekämpfung multiresistenter Keime hat?

Bautsch: Resistenzen werden durch Antibiotika-Therapie begünstigt. Dort muss man ansetzen: Schätzungsweise könnte man etwa ein Drittel weniger Antibiotika geben, ohne die medizinische Versorgung zu verschlechtern. Das zeigt der europäische Vergleich. Da liegt Deutschland zwar im unteren Drittel, aber die Niederlande und die Schweiz verbrauchen pro Kopf etwa 30 Prozent weniger. Die Hygiene zielt auf die Ausbreitung der Keime, denn die springen nicht durch die Luft. Selbst bei einem bereits mit MRSA besiedelten Patienten muss der Keim für eine Infektion erst noch irgendwie von der Nase in die Wunde kommen. Das sollte Hygiene möglichst verhindern.

Schubert: Das ist auch eine Frage des Gesundheitsmanagements. Die Entscheidung, die Antibiotika-Gaben zu reduzieren, muss in den verschiedenen Sektoren der Gesundheitsversorgung auch leitliniengestützt umgesetzt werden, in Krankenhäusern, bei niedergelassenen Ärzten, in Pflegeheimen und zuletzt auch in der Tierhaltung. Das ist eine Herausforderung, die regional kaum zu lösen ist, weil da Ausbildungsgänge, Therapien, Zuständigkeiten und das Verhalten von Patienten betroffen sind. Deswegen konzentrieren wir uns aktuell auf den einen Punkt, den wir alle gemeinsam direkt beeinflussen können, nämlich die Basishygiene in den Pflegeheimen.

Unser Leser Jörg Pape fordert: Jeder Patient sollte bei Ankunft im Krankenhaus auf gefährliche Keime untersucht werden.

Bautsch: Das ist wünschenswert. Da das aber erhebliche Kosten verursacht, sollte das Screening vom Risiko abhängig gemacht werden. Bei bestimmten Indikationen wie etwa dem Einsetzen künstlicher Hüft- und Kniegelenke prüfen wir vorher auf MRSA. Ausgenommen sind natürlich Notfälle, denn da kann man nicht auf Testergebnisse warten.

Eine weitere Forderung: Besucher sollten beim Betreten des Krankenhauses Handschuhe anziehen.

TAGUNG BASISHYGIENISCHE MASSNAHMEN IN DER ALTENPFLEGE

Das Hygienenetzwerk Südostniedersachsen ist ein Zusammenschluss der medizinischen Akteure der Region zwischen Goslar, Helmstedt und Gifhorn. Mitglieder sind die Gesundheitsämter, Krankenhäuser, Rettungsdienste, niedergelassene Ärzte und der gesamte Bereich der Altenpflege. Der freiwillige Zusammenschluss wird von einem Verein koordiniert, dem auch die Kommunen angehören.

Die Fortbildung des Hygienenetzwerks am 15. Juli im Weiterbildungszentrum des Städtischen Klinikums Braunschweig richtet sich an Pflegekräfte aus der Region in der Altenpflege. Sie umfasst zwei Fachvorträge und Workshopsmit praktischen Übungen zur Hände- und Flächendesinfektion.

Anmeldung per Mail bei andreas.ahrens@braunschweig.de oder telefonisch unter: 05 31/470 70 10.