Bad Fallingbostel. Ein mechanisches Pumpsystem hält den Gifhorner Peter Schenkel am Leben. Es ist eine Lösung auf Zeit.

Peter Schenkels Leben hängt an einem Kabel. Jeden Abend schließt er es an eine Steckdose. Tagsüber trägt er einen schwarzen Gurt über der Schulter und zwei Akkus rechts und links, ein Gerät am Bauch steuert die Elektronik.

„Ein Patient an der MHH lebt schon mehr als neun Jahre mit einem Kunstherz.“
„Ein Patient an der MHH lebt schon mehr als neun Jahre mit einem Kunstherz.“ © Jan Schmitto, Kunstherz-Experte an der Medizinischen Hochschule Hannover

Er hat sich daran gewöhnt, dass sich viele Menschen umdrehen und ihn anstarren, wenn er spazieren geht. Er ist froh, überhaupt wieder spazieren gehen zu können, ohne völlig aus der Puste zu geraten. „Bevor ich den Gurt und die Kabel offen gezeigt habe, hat das Wochen, Monate gedauert“, sagt der 57-Jährige. So richtig daran gewöhnt hat er sich auch jetzt noch nicht.

Peter Schenkel sitzt in der Cafeteria der Klinik in Bad Fallingbostel und malt auf einem Zettel, wie die Maschine in seinem Körper funktioniert, wie das Kabel durch seinen Bauch verläuft und die Pumpe im Brustkorb arbeitet. Seit zwei Jahren lebt der Gifhorner mit einem Kunstherz. Er leidet unter einer Herzschwäche, sein Herz hat nur noch eine Leistung von 15 Prozent – zu wenig, um den Körper ausreichend mit Blut und Sauerstoff zu versorgen.

Kunstherzen ersetzen das kranke Herz nicht, sie unterstützen es. Es sind implantierbare, mechanische Pumpsysteme, die parallel zum kranken Herzen das Blut im Kreislauf weiterpumpen. Sie sollen nicht dauerhaft im Körper bleiben, sondern die Wartezeit bis zur Organtransplantation überbrücken. Auch Peter Schenkel steht auf der Warteliste für ein Spenderorgan. Es ist ein Leben auf Abruf.

Er weiß nicht mehr genau, wann das Leid anfing. 15 Jahre muss es her sein, damals arbeitet er noch als Redakteur bei unserer Zeitung. Stress, Zeitdruck, viele Termine auch am Wochenende – das gehört für ihn zum Alltag; es hat ihm nie etwas ausgemacht. Umso mehr wundert er sich, warum er eines Tages anfängt, morgens heftig zu schwitzen, warum er manchmal nach Luft ringen muss. „Ich schob das auf eine Erkältung, den Stress“, erinnert er sich. Doch dann bemerkt er nachts, dass sein Herz nicht mehr im Takt schlägt, er zittert und sein Puls rast.

Das erste Mal kommt er ins Krankenhaus nach Braunschweig, wo die Ärzte sein Herz wieder in einen Rhythmus bringen. Doch nach einer Woche geht es erneut los, wieder dieses Flattern und Zittern, wieder diese Atemnot. Wieder führen Ärzte durch die Speiseröhre ein Ultraschallkopf ein, um sein Herz zu untersuchen. Er bekommt Tabletten, fährt viel Fahrrad, versucht, Stress zu vermeiden, aber er hat immer weniger Kraft. „Irgendwann hatte ich so ein knackendes Gefühl, mir blieb von einer Sekunde zur anderen die Puste weg und ich wurde blau im Gesicht“, sagt Schenkel. „Ich habe höchstens noch 30 Meter vom Auto bis zum Haus geschafft.“ Der Radiologe schickt ihn nach Hamburg ins Krankenhaus. Dort hört er, dass er in Lebensgefahr schwebt, schwer herzkrank ist. „Ich konnte es erst kaum glauben.“

Peter Schenkel ist ein Mann, der von sich selbst sagt, mit beiden Beinen auf der Erde zu stehen, 1,87 Meter groß, 90 Kilo schwer. Krank – das werden nach seiner Erfahrung nur die anderen. Was bedeutet es, schwer herzkrank zu sein? Was sind die Ursachen? Er erhält keine Antwort auf seine Fragen, sondern wird wieder nach Hause geschickt.

Dort kann er nicht lange bleiben: Weil er sich in Hamburg den Norovirus eingefangen hat, kommt er wieder ins Krankenhaus, diesmal nach Gifhorn. Zwei Tage liegt er in der Notaufnahme, bis er keine Luft mehr bekommt – „es war so schlimm, dass ich fast erstickt wäre.“

Im Februar 2013 wird er mit Blaulicht in die Medizinische Hochschule Hannover (MHH) gebracht. Er erinnert sich noch, wie die Ärzte sagten: „Wir haben keine guten Nachrichten, Sie haben eine Herzinsuffizienz, Sie brauchen ein Kunstherz.“ Seine erste Antwort: „Nein.“ Er bekommt Panik, will nicht von einer Maschine abhängig sein. Doch die Ärzte und Pfleger reden ihm Mut zu. Es sei die einzige Lösung.

Dr. Jan Schmitto ist Kunstherz-Spezialist an der MHH, eines der weltweit führenden Zentren auf diesem Gebiet; er hat auch Peter Schenkel operiert. „Kunstherzen springen in Versorgungslücken“, sagt er. Im vorigen Jahr konnten bundesweit nur weniger als 300 Herzen transplantiert werden. Gemessen an dem Bedarf gab es viel zu wenig Spenderorgane. Demgegenüber seien bundesweit mehr als 1000 Kunstherzen implantiert worden, mehr als 100 allein an der MHH.

Ein bewährtes System ist das „Heartmate II“. Es besteht unter anderem aus einer Pumpe, die die Funktion des geschwächten linken Ventrikels übernimmt. Bis zu zehn Liter Blut pro Minute befördert das Gerät. Ursprünglich ist es zwar nur zur Überbrückung einer kurzen Zeitspanne gedacht. „Doch wir haben auch einen Patienten an der MHH, der schon seit mehr als neun Jahren damit lebt“, sagt Schmitto. „Das ist Europa-Rekord.“ Das System soll auch Peter Schenkel wieder ein halbwegs normales Leben ermöglichen. Die Operation übersteht er gut, die Pfleger und Ärzte kümmern sich intensiv um ihn, erklären ihm geduldig die Funktion der Geräte, setzen alles daran, dass er so schnell wie möglich mobil wird. Aber er nimmt das Kunstherz als einen Fremdkörper wahr. „Ich konnte mich einfach nicht damit anfreunden, es gehörte nicht zu mir“, sagt er.

Für Uwe Spratte, der an der Klinik in Fallingbostel als Diplom-Psychologe Patienten mit Kunstherzen und Transplantierte unterstützt, ist das eine typische Reaktion. „Viele sind erst einmal geschockt, sie haben kaum die Möglichkeit, sich bewusst für ein Kunstherz zu entscheiden, weil es oft sehr schnell gehen muss“, sagt er. Zu den körperlichen Beschwerden mischten sich dann häufig Todesangst, Entscheidungskonflikte, ein Gefühl der Hilflosigkeit. Jeden Tag würden die Kunstherz-Patienten beim Batterie-Wechsel wieder aufs Neue daran erinnert, dass sie von der Technik abhängig seien. „Wenn sie aber merken, dass sie wieder an Lebensqualität gewinnen, dann wird aus dem Feind eher ein Freund“, hat Spratte beobachtet.

Auch Peter Schenkel beginnt zu kämpfen. Noch im Krankenbett macht er Übungen, um die Muskeln aufzubauen. Seine Frau fährt ihn mit dem Rollstuhl durch das Krankenhaus, er geht die ersten Schritte, erst den Flur entlang, dann die Treppen herunter, über das Gelände. „Dann kam wieder der Lebensmut.“ Es ist der Anfang von etwas, das er die „Gewöhnungsphase“ nennt.

Nach einigen Wochen wird Peter Schenkel in der Klinik in Bad Fallingbostel verlegt, im Herbst 2013 darf er wieder nach Hause, nach Gifhorn. Er genießt die Zeit, die vertraute Umgebung und die Spaziergänge durch Wald und Wiesen. Doch dann entdeckt er am Bauch eine rote Stelle. Dort, wo das Kabel des Kunstherzens aus dem Körper tritt, hat sich eine Entzündung gebildet. Sofort muss er wieder in die Medizinische Hochschule, wo er an der Infektionsstelle operiert wird.

Die Austrittsstelle ist der größte Schwachpunkt des Systems. Hier können leicht Bakterien eindringen, was für Patienten mit einem ohnehin geschwächten Immunsystem gefährlich werden kann, wie Dr. Schmitto erklärt. Auch können sich Gerinnsel in der Pumpe bilden, daher ist das Thromboserisiko hoch.

Die Ärzte raten Schenkel, sich auf die Warteliste für eine Herztransplantation setzen zu lassen. „Doch ich war noch nicht bereit dazu“, sagt er. „Ich wollte mich nicht schon wieder einer großen Operation aussetzen.“ Ein Jahr lebt er nahezu beschwerdefrei. Doch in den Weihnachtstagen gehen die Probleme wieder los: Er schwitzt beim Treppensteigen, die Hände werden kalt, er bekommt ein rotes Gesicht und blaue Lippen. Wieder wird er mit dem Krankenwagen in die MHH gebracht. Die Ärzte überprüfen das Kunstherz, lesen die Daten aus, machen ein Echokardiogramm, doch wo das Problem liegt, bleibt unklar.

Anfang des Jahres ist Peter Schenkel auf die Warteliste für ein Spenderherz gekommen, diesmal hat er nicht gezögert. Seitdem darf er die Klinik in Fallingbostel nicht verlassen, jeden Tag kann der Anruf kommen, dass ein passendes Organ für ihn gefunden wurde.

Noch tut er sich schwer mit dem Gedanken, ein fremdes Herz annehmen zu müssen. „Viele sagen zwar: Der Spender wäre sowieso gestorben, er wollte seine Organe geben, damit andere leben können“, sagt er. „Aber Skrupel bleiben.“ Doch dann denkt er an die Dinge, die er wieder machen könnte, an die Freiheit, sich ohne Akkus und Kabel zu bewegen. Er träumt von einer Reise ans Meer, von Dünen, der Seeluft, dem Wind. „Ich würde stundenlang im Wasser stehen.“