Braunschweig. Leser befragen Hygiene-Experten zu den Gefahren der zunehmenden Resistenz von Bakterien gegen Antibiotika.

fragt Andrea Zelesnik aus Braunschweig. Sie ist Geschäftsführerin des Braunschweiger Vereins Pro Patient, der sich für die Rechte von Patienten einsetzt.

„Wie viele resistente Keime tauchen in unserer Region auf?“

Der resistente Klinik-Keim MRSA sorgte kürzlich für Schlagzeilen. Experten wie Professor Wilfried Bautsch, Leiter des Instituts für Krankenhaushygiene im Städtischen Klinikum Braunschweig, und die Leiterin des Braunschweiger Gesundheitsamts, Dr. Brigitte Buhr-Riehm, halten manche Sorgen zwar für begründet, warnen aber vor Übertreibungen. Johannes Kaufmann hat das Gespräch mit den beiden Experten des Hygienenetzwerks Südostniedersachsen mit Lesern unserer Zeitung aufgezeichnet.

Uwe Dahms: Warum wird in deutschen Krankenhäusern nicht wie in Holland vor Operationen bei allen Patienten ein Keim-Test gemacht?

Buhr-Riehm: Ein genereller Test lässt sich nur in solchen Häusern umsetzen, wo Operationen im Voraus geplant werden. Ein Maximalversorger wie das Klinikum hat überwiegend Notoperationen, die nicht geplant sind.

Bautsch: Meines Wissens werden auch in Holland keineswegs alle Patienten getestet. Es wird selektiert. Wichtig ist die Art der Operation. Die Hygienerichtlinien empfehlen eine Kosten-Nutzen-Rechnung und die Beschränkung auf Risikogruppen. Aber sie haben Recht: Als Hygienenetzwerk haben wir bereits erklärt, dass es wünschenswert wäre, vor der Aufnahme von Patienten für Hochrisiko-Operationen einen Test durchzuführen. Das betrifft zum Beispiel Implantate bei Hüfte, Knie und Herz.

Andrea Zelesnik: Aber warum wird bei uns nicht das Modell der Niederlande eingeführt?

Buhr-Riehm: Weil das System in den Niederlanden anders funktioniert. Die Krankenhäuser dort bieten nicht die gleiche zeitnahe stationäre Versorgung wie wir. Es gibt dort proportional viel weniger Krankenhausplätze. Wenn Sie in Holland ein künstliches Hüftgelenk benötigen, müssen sie lange warten. Unser System in Deutschland hat im europäischen Vergleich sehr viele Krankenhausbetten und kann deswegen in vielen Fällen schnelle Versorgung anbieten. Generelle Keim-Tests wie in Holland wären nur möglich, wenn das Bettenangebot entsprechend geschrumpft würde. Dann gäbe es fast nur noch elektive Operationen. Das ist eine Systemfrage.

Bautsch: Der häufig geführte Vergleich mit Holland geht überhaupt erst darauf zurück, dass so viele Holländer zur Behandlung nach Deutschland gekommen sind. Die wollten keine sieben Monate auf einen Bypass zu warten, weil dadurch das Risiko enorm steigt, während der Wartezeit an einem Herzinfarkt zu sterben. Bei der Nachsorge in Holland sind dann viele MRSA-Besiedlungen aufgefallen. Und die sehr positiven Daten aus Holland, beziehen sich auch nur auf MRSA. Bei anderen Keimen ist Holland keineswegs so viel besser als Deutschland.

Dahms: Letztlich läuft es darauf hinaus, dass die Krankenhäuser zu wenig Geld haben und sich nicht genug Personal leisten können.

Bautsch: Wir sind uns wohl alle einig, dass wir mehr Geld im Gesundheitssystem benötigen. Wir müssen aber mit den politischen Vorgaben leben: Es ist erklärtes politisches Ziel, dass Betten abgebaut werden, dass die Kosten sinken müssen. In der Summe haben die Krankenhäuser ein ernstes Finanzierungsproblem. Mehr Pflegepersonal ist wünschenswert und auch unter Gesichtspunkten der Hygiene sinnvoll. Aber wir können nur entscheiden, wie wir unter der herrschenden Situation Ressourcen am besten zuordnen können.

Zelesnik: Wie viele resistente Keime tauchen in unserer Region auf?

Buhr-Riehm: Es gibt eine Meldepflicht, aber das hilft nur bedingt weiter. Bei MRSA ist nur der Nachweis in Blutkulturen und Hirnwasser meldepflichtig. Reine Besiedlungen von Haut und Schleimhaut mit dem MRSA werden damit nicht erfasst. Wir als Meldestelle hatten 21 Meldungen 2013, 34 im Jahr 2014 und in diesem Jahr bisher 3. Das gibt aber kein Bild der Belastung in der Region ab. Aus dem Austausch im Hygienenetzwerk weiß ich aber, dass Braunschweig innerhalb der Region nicht heraussticht.

Bautsch: Um alle Patienten mit MRSA zu identifizieren, müsste man auch alle Patienten testen. Im Altenheim werden die Bewohner vom Hausarzt versorgt, und dem bezahlt keiner einen anlasslosen Test bei Besiedlung der Nase. Wir sind also in Teilen blind.

In Niedersachsen ist die Datenlage zu MRSA vergleichsweise gut. Dabei korreliert die Keim-Belastung mit dem Durchschnittsalter der Bevölkerung: Je älter die Menschen, desto eher sind sie mit MRSA besiedelt. Deswegen sind die MRSA-Raten in der Region Hannover relativ hoch. Und zweitens gibt es einen Zusammenhang mit der Schweinezucht. Es gibt einen Schweine-MRSA. Deswegen gibt es hohe Raten im ‚Schweinegürtel’, an der Grenze zu den Niederlanden. Hier in der Region sind das nur Einzelfälle. Viel wichtiger als MRSA sind in meinen Augen aber ganz andere Bakterien. Die heißen 3-MRGN oder 4-MRGN. Das ist eine gemischte Gruppe von Bakterien, die gegen drei oder alle vier der Gruppen von Intensiv-Antibiotika resistent sind. Und bei 4-MRGN gibt es dann ein ernstes therapeutisches Problem. Da gibt es noch ein bis zwei Reserve-Antibiotika, aber dann sind wir am Ende der Fahnenstange.

Can Ünal: Im Norden Europas wird die Gabe von Antibiotika restriktiv gehandhabt, in Südeuropa ziemlich freigiebig. Wo steht Deutschland?

Bautsch: Die Entstehung von Resistenzen wird durch den Einsatz von Antibiotika stark gefördert. Deutschland steht im Vergleich recht gut da. Allerdings verbrauchen wir immer noch ein Drittel mehr Antibiotika als die Niederlande oder die Schweiz.

Ünal: Ist das eine Frage der Einstellung? Ändert sich da etwas in Deutschland?

Bautsch: Etwa 30 Prozent der eingesetzten Antibiotika könnten eingespart werden, ohne dass es zu einer durchschnittlichen Verschlechterung der Gesundheit der Bevölkerung käme. Problematisch ist, dass ein Patient seinen Arzt erfolgreich verklagen kann, wenn er kein Antibiotikum bekommt, obwohl er eine bakterielle Infektion hat. Ärzte können also bestraft werden, wenn sie ein Antibiotikum nicht verschreiben. Den umgekehrten Fall kenne ich aber nicht. Ärzte stehen daher unter dem Druck, im Zweifelsfall lieber ein Antibiotikum zu geben. Ein großer Missbrauch wird bei Bronchitis betrieben. Ich kenne nur einen einzigen bakteriellen Erreger, der Bronchitis hervorruft. Ansonsten ist sie eigentlich immer viral verursacht. Trotzdem wird sie oft mit einem in diesem Fall völlig wirkungslosen Antibiotikum behandelt.

Buhr-Riehm: Das Landesgesundheitsamt hat zum Einsatz von Antibiotika eine Broschüre herausgegeben. Da sind die gängigsten Infektionen aufgeführt und wie sie zu behandelt sind. Dieses Thema erfordert viel Expertenwissen. Seit einiger Zeit laufen bundesweit Ausbildungen zur verantwortungsvollen Antibiotika-Gabe.

Zelesnik: Wie werden diese Ausbildungen von Ärzten angenommen?

Buhr-Riehm: Beim Braunschweiger Studieninstitut finden im Auftrag des Hygienenetzwerks Südostniedersachsen dreimal im Jahr Fortbildungen zur Ausbildung hygienebeauftragter Ärzte statt. Diese Kurse sind ausgebucht. Es gibt Fortbildungen der Ärztekammer und des Gesundheitsamts. Wir sind also am Ball. Auch bei der Begehung von Medizineinrichtungen und Praxen greifen wir das Thema Hygiene auf.

Zelesnik: Kündigen Sie solche Begehungen an?

Buhr-Riehm: Im Krankenhaus fast immer. Wir kennen die Häuser seit Jahren und wissen, wie es da läuft. Und wir wollen eine positive Kooperation. Wir sind eine Beratungsinstitution, kein Überwachungssystem. Auch in den Praxen melden wir uns an, es sei denn, wir erfahren, dass ein überraschender Besuch sinnvoll wäre. Das ist extrem selten. Wir sehen die Ärzte und Pfleger als Partner.

Zelesnik: Wie können Patienten und Angehörige sich informieren?

Buhr-Riehm: Wir haben beim Hygienenetzwerk einen Flyer entworfen, der zum Beispiel über Sanierungen bei Besiedelung der Haut mit dem MRSA informiert. Das sind desinfizierende Waschungen über fünf Tage hinweg, die den Keim eliminieren sollen. Dazu haben wir eine Anleitung für Pfleger für eine schrittweise Sanierung herausgegeben. Auch das erfordert Fachwissen.

Bautsch: In der Praxis gibt es Defizite in der Information der Patienten. Deswegen haben wir uns auf das angesprochene Informationsblatt geeinigt. Da steht auch, dass MRSA-Patienten sich im Gegensatz zum Krankenhaus im privaten Umfeld normalerweise nicht einschränken müssen. Doch auch wenn Patienten aufgeklärt werden, kann es immer zu Fehlwahrnehmungen kommen: Wer nach der Diagnose unter Schock steht, verarbeitet Informationen nicht immer richtig. Wir haben gerade zusammen mit dem Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung ein Projekt durchgeführt. Da zeigte sich, dass bei vielen MRSA-Patienten in der Nachsorge falsche Vorstellungen vorherrschen und sich viele alleingelassen fühlen und zu eigenen Maßnahmen griffen. Das ging so weit, dass einige Patienten ihre Partner nicht mehr in den Arm nahmen. Ich empfehle das Gegenteil: Nehmen Sie sich in den Arm und küssen Sie sich!

Kaufmann: Wie ernst ist das Problem der resistenten Keime allgemein und in der Region?

Bautsch: Die Warnungen sind begründet. Es gibt Regionen in der Welt und in Europa, wo 4-MRGN weit verbreitet sind. Dort ist die Wunderwaffe Antibiotika stumpf geworden. Unsere Bemühungen zielen darauf, dass wir nicht in diese Situation kommen. Bei uns sind solche Fälle sehr selten. Aber bei Ausbrüchen wie aktuell in Kiel kann sich das schnell ändern.

Buhr-Riehm: Hier in der Region sind wir noch gut handlungsfähig. Aber angesichts der Entwicklungen der vergangenen Jahre ist es besonders wichtig, die Bevölkerung zu informieren. Dazu gehört, dass man als Patient von seinem Arzt keine Antibiotika einfordert.

Zelesnik: Was wäre nötig, um die Situation zu verbessern? Was würden Sie sich wünschen?

Bautsch: Wünschenswert ist, dass fachkundiges Personal ausreichend Zeit hat, Patient und Angehörige ausreichend zu informieren. Doch an der Zeit mangelt es. Wir versuchen, durch Veranstaltungen wie diese Gesprächsrunde auf das Problem aufmerksam zu machen. Wir organisieren Patientenforen und geben Informationsblätter heraus. Mein Wunsch wäre eine Hotline für Patienten.

KLINIK-KEIME

Das Hygienenetzwerk Südostniedersachsen bietet unter www.hygienenezwerk.de unter anderem eine Broschüre über MRSA zum Download an.

Weitere Informationen zu Antibiotikaresistenz bieten die Internetseiten des Landesgesundheitsamts unter www.nlga-niedersachsen.de und des Robert-Koch-Instituts unter www.rki.de.