Braunschweig. Innenministerium, Polizei und Muslime sind nach den Kölner Krawallen besorgt. In unserer Region gibt es offiziell 60 gewaltbereite Hooligans.

Unser Leser Jörg Reinecke aus Vechelde kritisiert die Berichterstattung in den Medien:

Jeden 1. Mai gibt es Ausschreitungen gewaltbereiter Linksextremisten, die verharmlosend als Autonome bezeichnet werden. Aber wehe, es gibt eine Demonstration gegen die Zustände, die unser Land kaputtmachen! Diese ideologische Einäugigkeit ist nicht mehr zu ertragen.

Zum Thema recherchierte Andre Dolle

Nach den Krawallen Tausender Hooligans und Neonazis am Sonntag in Köln nehmen auch die Sicherheitsbehörden in Niedersachsen die Hooliganszene stärker in den Blick.

Dietmar Schilff, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei in Niedersachsen, hält den Zusammenschluss von Hooligans und Neonazis für eine gefährliche Entwicklung. „Das ist eine neue Qualität der Gewalt“, sagte Schilff.

Den möglichen Einfluss von Rechtsextremisten auf die Hooliganszene wird der Verfassungsschutz in Niedersachsen beobachten. Das sagt Matthias Eichler, Sprecher des Innenministeriums.

Nach Einschätzung der Szenenkundigen Beamten (SKB) in der Polizeidirektion Braunschweig gibt es in der Anhängerschaft von Eintracht Braunschweig eine Hooliganszene, beim VfL Wolfsburg hingegen nicht. Insgesamt sind den SKB 160 Hooligans in Niedersachsen bekannt, davon 60 in Braunschweig sowie 100 in Hannover. Die Dunkelziffer dürfte natürlich weit höher liegen.

Das bedeutet aber nicht, dass in unserer Region bald „Kölner Verhältnisse“ herrschen. Im Gegenteil, heißt es aus dem Innenministerium. Eichler: „Eine Verbindung dieser Hooligans zur rechtsextremistischen Szene ist konkret nicht bekannt.“ Mehr noch: Die Zahl der Hooligans in Niedersachsen sinke. Sie seien in den zurückliegenden Jahren bei Fußballspielen nicht in Erscheinung getreten.

Diesen Eindruck bestätigt auch Fanforscher Gunter A. Pilz. Er sieht keine „Hooligan-Renaissance“ im Fußball. Eintracht Braunschweig habe schon einmal mehr mit gewaltbereiten Hooligans zu kämpfen gehabt. „Das ist bei weitem keine Masse bei der Eintracht“, so Pilz. Der Verein setze sich stark dafür ein, damit Fans sich gar nicht erst der Hooligan-Szene anschließen würden.

Bei Eintracht Braunschweig gibt es Hooligans, beim VfL nicht

Laut Pilz ist klar, wo Vereine und Polizei ansetzen müssten: „In den Stadien habe ich keine Angst. Außerhalb muss man hingegen sehr viel wachsamer sein.“ Den Hooligans gehe es laut Pilz darum, sich von der neueren Ultra-Bewegung abzusetzen. „Sie wollen alte Themen aufleben lassen: Männlichkeit, Aggressivität oder Sexismus“, so Pilz.

Robin Koppelmann, Sprecher des Fanrats von Eintracht Braunschweig, hält Szenen wie am Wochenende in Köln in Braunschweig für ausgeschlossen. „Es gibt keinerlei organisierte rechte Strukturen in der Eintracht-Szene.“ Es gebe auch viel weniger gewaltbereite „Fans“ wie etwa in den 80er und 90er Jahren. „Das haben die Derbys in der vergangenen Saison gegen Hannover und Wolfsburg weitestgehend gezeigt.“

Holger Ballwanz, Fanbetreuer beim VfL Wolfsburg, will die Verhältnisse in Köln und anderswo nicht bewerten. Er sagt: „Ich bin früh darüber, wie es beim VfL läuft. Wir haben keine Hooliganszene, sehr vereinzelt fallen Fans unangenehm auf.“

Mit seiner pauschalen Kritik behauptet unser Leser, dass solche Vorfälle mit Neonazis wie in Köln von den Medien, den Behörden und der Gesellschaft allgemein viel mehr beachtet würden als Ausschreitungen von Linksextremisten. Mit dieser Aussage haben wir den Verfassungsschutz in Niedersachsen konfrontiert. Sprecher Frank Rasche sagt: „Wir sind auf keinem Auge blind! Selbstverständlich werden alle Extremismus-Phänomene gleichbleibend und kontinuierlich vom Verfassungsschutz beobachtet.“ Das letzte Symposium des Verfassungsschutzes galt dem Linksextremismus. Jedoch ist der Linksextremismus offenbar leicht auf dem Rückzug. Rasche: „Das Potenzial des gewaltbereiten linksextremistischen Spektrums ist leicht auf 880 Personen in Niedersachsen gesunken.“

HOOLIGANS

Hooligans waren ausnahmslos fanatische Anhänger ihrer Vereine – bis sich Anfang der 80er Jahre die Fangemeinde spaltete. Die als Hooligans bezeichneten fielen mit Gewalt auf – Prügeleien mit gegnerischen Fans fanden auch abseits der Fußballstadien statt.

Laut Verfassungsschutzbericht 2013 gibt es „einzelfallbezogene Überschneidungen“ zwischen Rechtsextremisten und der Szene der Hooligans und Ultras sowie zwischen Rechtsextremisten und Rockergruppen.

Im Jahresbericht Fußball 2013/2014 der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) schätzt die Polizei 10 542 gewaltbereite und gewaltsuchende Anhänger in der ersten und zweiten Bundesliga (plus 1,2 Prozent im Vergleich zur vorhergehenden Saison). Das seien nicht nur Hooligans, sondern auch andere Gruppen.

Die Koordinationsstelle Fanprojekte erläutert, dass heute die Ultras die Hooligans als zentrale Gruppe in den Stadien abgelöst hätten und „viel liberaler“ seien.