Braunschweig. Experten fordern den Einsatz von Bodentruppen. Die Türkei will keinen Alleingang.

Unser Leserin Elke Klug aus Schöningen fragt:

Wie ist es möglich, dass der IS weiter auf dem Vormarsch ist, obwohl sich einige Staaten bereit erklärt haben, allen voran die USA, den IS mit Luftangriffen zu bombardieren?

Die Antwort recherchierten Katrin Teschner und unsere Agenturen

Seit etwa 60 Tagen werfen die USA Bomben über Irak und später auch dem benachbarten Syrien ab. Und wenngleich der rasche Vormarsch des IS etwas verlangsamt wurde, ist die Operation alles andere als ein Erfolg. In der nordsyrischen Stadt Kobane droht ein Massaker der Dschihadisten an den belagerten Kurden.

Glaubt man Militärstrategen und den Analysten der Thinktanks in Washington, haben sich die Extremisten tatsächlich sehr schnell auf die Luftangriffe der USA und ihrer Verbündeten eingestellt.

Das US-Verteidigungsministerium befürchtet, dass die bisherigen Maßnahmen an ihre Grenzen stoßen. „Luftangriffe alleine werden die Stadt Kobane nicht retten“, sagte Pentagon-Sprecher John Kirby. Auch andere Städte würden wahrscheinlich noch unter die Kontrolle der Dschihadisten fallen. Im syrischen Bürgerkrieg fehle derzeit ein „williger, fähiger, effektiver Partner“, um es mit der IS-Miliz am Boden aufzunehmen.

Mangels Spezialtruppen auf syrischem Boden fehlen dem US-Militär wichtige Erkenntnisse, um IS-Anführer gezielt zu töten. Der IS passe sich an, indem Hauptquartiere geräumt, Truppen zerstreut und neue Möglichkeiten für Training und Nachschub gefunden würden, beschreibt Oberst Clint Hinote von der US-Luftwaffe in einem Beitrag für den „Council on Foreign Relations“ die Lage. Auch Pentagon-Sprecher Kirby sagt, die Extremisten hätten sich verteilt, versteckten sich in der Bevölkerung und kommunizierten anders. Für durchschlagende militärische Erfolge braucht es nach Einschätzung vieler Experten eine zumindest begrenzte Zahl von Bodentruppen, die Ziele identifizieren, markieren und damit die Luftangriffe präzise ausrichten. Diesen Job können Aufnahmen von Überwachungsflügen und Satellitenbilder einfach nicht ersetzen. Ein Einsatz von Bodentruppen ist jedoch so schnell nicht in Sicht.

Die Türkei ist nicht bereit, alleine mit Bodentruppen in den Kampf um Kobane einzugreifen. Ein solcher Schritt sei nicht realistisch, sagte Außenminister Mevlüt Cavusoglu nach einem Treffen mit dem Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg in Ankara.

Das internationale Bündnis gegen die Extremistengruppe IS müsse sich erst auf eine gemeinsame umfassende Strategie einigen: „Sobald es eine gemeinsame Entscheidung gibt, wird die Türkei nicht zögern, ihre Rolle zu spielen“, sagte Cavusoglu. Vorwürfe, die Türkei engagiere sich nicht ausreichend im Kampf gegen den IS, wies der Minister zurück: „Wir sind nie zurückhaltend gewesen.“

Kritiker werfen der Türkei dagegen vor, den IS zu unterstützen. „Es gibt viele Anzeichen dafür, dass Islamisten und die türkische Regierung Hand in Hand gegen die kurdische und christliche Bevölkerung in Nordsyrien arbeiten“, sagt Tilman Zülch von der Gesellschaft für bedrohte Völker in Göttingen. Hilfslieferungen an die notleidenden Einwohner und Flüchtlinge in Kobane dürften von der Türkei aus nur sporadisch passieren. In Nordsyrien gebe es inzwischen kaum noch Brot, geschweige denn Babynahrung oder ausreichend Medikamente. „Die humanitäre Lage der rund vier Millionen Kurden, Assyro-Aramäer und anderen Minderheiten wird immer schlechter.“

Der frühere US-Verteidigungsminister und CIA-Direktor Leon Panetta fordert nun auch die USA zu einem entschiedenen Vorgehen auf. Dazu gehörten auch Soldaten am Boden. Er fürchtet schon jetzt, dass die Bedrohung durch den IS sich ausbreiten könnte, etwa auf Nigeria, Somalia, Jemen und Libyen. „Ich denke, wir blicken so etwas wie einer Art 30-jährigem Krieg entgegen.“