Braunschweig. Die WHO hat ein experimentelles Mittel gegen die Krankheit zugelassen. Einem am Dienstag gestorbenen Spanier konnte es nicht mehr helfen.

Unser Leser Helmut Käss aus Braunschweig findet:

Bei Viruserkrankungen geht es ums Überleben. Wenn die Therapie nicht tötet, sollte man sie versuchen.

Das Thema recherchierte Johannes Kaufmann mit unseren Agenturen

Mehr als 1000 Tote – angesichts der schockierenden Opferzahlen aus Afrika scheint die Forderung unseres Lesers berechtigt. Was haben die Betroffenen schon zu verlieren? Doch da das Ebola-Fieber bei 50 bis 90 Prozent der Erkrankten tödlich verläuft, setzt man zumindest die 10 bis 50 Prozent der Patienten, die nicht sterben würden, dem Risiko einer experimentellen Therapie aus.

Denn für das nicht zugelassene Medikament „ZMapp“, das am Dienstag nach Konsultationen mit Medizin-Ethikern von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) freigegeben wurde, ist noch nicht einmal die Wirksamkeit beim Menschen ermittelt – ebensowenig wie die möglichen Nebenwirkungen, erklärt Professor Thomas Pietschmann, Leiter des Instituts für Experimentelle Virologie am Twincore in Hannover. Das Twincore ist eine gemeinsame Einrichtung für angewandte Infektionsforschung der Medizinischen Hochschule Hannover und des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung in Braunschweig.

Ebola in Westafrika

„Der Zulassungsprozess für neue Medikamente dauert sehr lange“, so der Virologe. Von der Entdeckung eines potenziellen Wirkstoffs bis zum fertigen Medikament vergingen rund 15 Jahre. Auf Tierstudien folgten zunächst klinische Studien der Phase 1 mit wenigen Patienten zur Ermittlung von Nebenwirkungen. In Phase 2 würde dann an einer kleinen Zahl von Probanden geprüft, ob das Mittel wirkt. Und anschließend folgten Studien mit vielen Patienten. „ZMapp“ sei noch nicht einmal in Phase 1. „Bislang wurde die Wirkung in Primaten nachgewiesen“, so Pietschmann.

„Das Mittel ist nur sehr begrenzt verfügbar. Es muss also entschieden werden, wer das Medikament bekommt und wer nicht.“
„Das Mittel ist nur sehr begrenzt verfügbar. Es muss also entschieden werden, wer das Medikament bekommt und wer nicht.“ © Thomas Pietschmann, Virologe am Twincore in Hannover.

Und auch auf ein weiteres ethisches Problem weist der Virologe hin: „Das Mittel ist nur sehr begrenzt verfügbar. Es muss also entschieden werden, wer das Medikament bekommt und wer nicht.“ Die limitierte Menge des Wirkstoffs sei dem Forschungsprozess geschuldet. Es sei ökonomisch unsinnig, große Mengen zu produzieren, wenn noch nicht einmal feststehe, dass das Medikament überhaupt zugelassen wird.

Dass bislang nur Ärzte und Pfleger den Impfstoff bekamen, erklärt Pietschmann damit, dass diese eine existenzielle Bedeutung für die Aufrechterhaltung der Versorgungslogistik und der Quarantäne der Patienten spielten. Gleichzeitig seien sie durch den Kontakt zu den Erkrankten besonders gefährdet.

Als natürliches Reservoir des Ebola-Virus gelten Flughunde und Fledermäuse. Zu Epidemien kann es kommen, wenn Menschen mit deren Exkrementen oder Fleisch in Kontakt kommen – zum Beispiel über den Verzehr von sogenanntem Bushmeat, Wildfleisch von Tieren aus dem Urwald oder der Savanne.

„Die Übertragung durch die Luft ist nicht möglich“, sagt Pietschmann und erklärt: „Das Virus wird bei engem Kontakt zwischen Menschen über die Körperflüssigkeiten übertragen.“ Das geschehe zum Beispiel bei der Pflege von Infizierten. Das Virus verteile sich mit dem Blut im ganzen Körper, zerstöre Zellen und mache schließlich die Blutgefäße durchlässig. Die Folge sind innere Blutungen, Schock und zuletzt tödliches Multi-Organversagen.

Bei den nun freigegebenen Medikamenten handelt es sich um passive Impfstoffe. Pietschmann: „Sie enthalten Antikörper gegen das Virus. Deswegen wirken sie sofort.“ Das unterscheide sie von aktiven Impfstoffen, die das Immunsystem dazu bringen, selbst Antikörper zu bilden.

Einem der drei mit „ZMapp“ behandelten Patienten konnte das Medikament allerdings nicht helfen. Am Dienstag verstarb in Madrid der spanische Missionar und Krankenpfleger Miguel Pajares. Die beiden anderen Patienten, zwei US-amerikanische Ärzte, befinden sich auf dem Weg der Besserung. Am Dienstag erklärte die Regierung Liberias, das Mittel noch in dieser Woche zwei erkrankten Ärzten verabreichen zu wollen.

Sollte sich das Medikament tatsächlich als wirksam erweisen, hält Thomas Pietschmann eine Beschleunigung des Zulassungsprozesses für möglich. Die gewonnenen Daten könnten unter Umständen für das klinische Zulassungsverfahren herangezogen werden. Im Normalverfahren vergehen ansonsten mehrere Jahre von der klinischen Phase 1 bis zur Marktreife.

Doch womöglich kann Ebola schon früher geheilt werden. Der Virologe Leslie Lobel von der Ben-Gurion-Universität des Negev in Israel erforscht seit 12 Jahren das Immunsystem von Menschen aus Uganda, die eine Erkrankung mit Ebola überlebt haben. Er sei überzeugt, in drei bis fünf Jahren einen „Cocktail“ aus Impfstoff und Medikament herstellen zu können, so Lobel gegenüber der „Times of Israel“.

Professor Pietschmann vom Twincore hält diesen Zeitrahmen für optimistisch, aber möglich. Lobels Kritik, dass die Welt die Überwachung und Erforschung von Infektionskrankheiten vernachlässigt habe, will er allerdings nicht teilen. Es habe in den letzten Jahren durchaus Erfolge im Kampf gegen Viren gegeben. So seien 2011 erste Medikamente gegen Hepatitis C zugelassen worden. Das Beispiel zeige aber auch, wie lange die Entwicklung solcher Medikamente brauche. Das Virus war 1989 entdeckt worden.

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