Braunschweig. Es gibt viele Programme für Rechtsextremisten, die der Szene den Rücken kehren wollen. Doch der Erfolg ist schwer messbar.

Unser Leser Harald Werner schreibt auf unserer Facebook-Seite::

Bei gewaltbereiten Organisationen muss man mit dem Schlimmsten rechnen. Wer da raus will, braucht Hilfe.

Zu dem Thema recherchierte Katrin Teschner

Als einer der bekanntesten Rechtsextremisten vor zwei Jahren der Szene den Rücken kehrte, war der Medienrummel um ihn groß. Andreas Molau, gebürtiger Braunschweiger, galt einst als wichtiger NPD-Stratege und ist heute quasi ein Musterbeispiel dafür, dass ein Ausstieg selbst nach fast 30 Jahren in einer von Hass und Feindbildern geprägten Szene gelingt. Behilflich dabei war ihm der niedersächsische Verfassungsschutz – mit seinem Aussteigerprogramm „Aktion Neustart“.

Seit 2010 ist 20 ehemaligen Rechtsextremisten durch dieses Programm der Ausstieg gelungen. In einigen Fällen waren zunächst Beratungsgespräche mit Eltern, Lehrern oder Arbeitgebern vorausgegangen; 20 Extremisten hat der Verfassungsschutz direkt angesprochen, allerdings nicht immer mit Erfolg. „Dennoch zeigten die Zahlen, dass das System funktioniert“, sagt der Sprecher der Behörde, Frank Rasche.

Neben dem Verfassungsschutz bietet auch das niedersächsische Justizministerium ein Aussteigerprogramm an, das sich an straffällig gewordene Mitglieder der rechten Szene richtet. Seit 2001 haben sich den Angaben zufolge 174 Interessierte bei der „Aussteigerhilfe Rechts“ gemeldet, 60 sind erfolgreich ausgestiegen.

Die Programme arbeiten eng mit zivilgesellschaftlichen Einrichtungen zusammen – eine ist die Arbeitsstelle Rechtsextremismus und Gewalt (Arug) in Braunschweig. Sie hat zwar kein eigenständiges Aussteigerprogramm, dennoch finden Ausstiegswillige hier Ansprechpartner, sie können sich beraten lassen, an Hilfsprojekten teilnehmen oder an andere Stellen weitervermittelt werden. Obwohl das Land Niedersachsen immer wieder die Bedeutung solcher Einrichtungen hervorhebt, müssen sich diese von Förderperiode zu Förderperiode hangeln. Das Sonderprogramm „Ausstieg zum Einstieg“ des Bundesarbeitsministeriums, von dem auch die Arug profitierte, ist Ende vorigen Jahres quasi ausgelaufen, vom Familienministerium gibt es für dieses Jahr ein Überbrückungsgeld, das die Bundesländer an die Projekte auszahlen sollen. Wie ein weiterführendes neues Bundesprogramm aussehen wird, ist allerdings noch offen. Auch der Arug sind nach Angaben ihres Leiters Reinhard Koch Mittel für 2014 in Aussicht gestellt worden. „Wir sollen unter anderem weitere Schnittstellen mit staatlichen Programmen ausloten“, sagt er. Vor einigen Wochen hat sich darüber hinaus die Bundesarbeitsgemeinschaft „Ausstieg zum Einstieg“ gegründet, Koch ist einer von drei Sprechern. In dieser Runde soll auch untersucht werden, ob sich Kooperationen von staatlichen und zivilgesellschaftlichen Hilfen wie in Niedersachsen auf andere Bundesländer übertragen lassen. Bislang ist es schwer, einen Überblick über die vielen Programme in Deutschland zu bekommen. „Deshalb wird es eine wichtige Aufgabe sein, Standards zu entwickeln“, sagt Koch. Bislang sind die Ansätze der Programme sehr unterschiedlich. Das fängt bei den Fragen an: Wer ist gefährdet? Wer ist ausgestiegen? Gilt schon jemand, der zwei Jahre straffrei bleibt als Aussteiger oder muss das jemand sein, der nachweislich alle Kontakte zur Szene kappt?

„Wir müssen eine Vergleichbarkeit haben“, ist Koch überzeugt. „Sonst ist der Erfolg von Programmen schwer messbar.“ In einem neu gegründeten Nordverbund, der die Länder Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern umfasst, soll die Arug zudem Träger beraten, wie man Ausstiegsprogramme sinnvoll aufbaut.

Wie wichtig der Austausch mit anderen Hilfsprojekten ist, zeigt die Erfahrung vieler Ausstiegswilliger. „Ein Ausstieg ist schwer – aber der Wiedereinstieg in die Gesellschaft ist noch viel schwerer“, sagte Ex-NPD-Kader Molau im vorigen Jahr in einem „Zeit“-Interview. „Egal mit wem ich spreche, egal wo ich versuche, irgendwelche Schritte in ein normales Leben zu machen: Überall erlebe ich eine Mischung aus Skepsis und Angst.“ Medien gegenüber gibt er sich inzwischen sehr zurückhaltend. „Viele Aussteiger wollen nicht ständig mit ihrer Vergangenheit in Verbindung gebracht werden“, weiß Verfassungsschutz-Sprecher Rasche. „Sie wollen vor allem nach vorne schauen.“