Salzgitter. Das Dschungelcamp ist beliebt, zumindest laut den Einschaltquoten. Wir saßen mit Camp-Bekennern auf der Fernsehcouch.

Unser Leser Franz Albert aus Wolfenbüttel bemerkt:

Schon Friedrich Schiller schrieb im „Lied von der Glocke“: „Da werden Weiber zu Hyänen und treiben mit Entsetzen Scherz“. Die Dschungelcamp-Zuschauer sind meist schadenfroh und weiden sich daran...

Zum Thema recherchierte Anna-Maria Deutschmann

„Für mich bedeutet die Sendung schlicht und einfach Gehirnentspannung nach einem anstrengenden Uni-Tag!“
„Für mich bedeutet die Sendung schlicht und einfach Gehirnentspannung nach einem anstrengenden Uni-Tag!“ © Marco Vree (22), Student

Dschungelcamp? Ich? Nein, um Gottes willen!

Das ist die übliche Antwort, wenn man jemanden fragt, ob er die RTL-Show „Ich bin ein Star – holt mich hier raus!“ verfolgt. Es steht also fest: Kaum jemand guckt die seit nun zehn Jahren existierende Show, alle finden sie unmöglich, jeder rümpft die Nase.

Und die Quoten? Wie lassen sich Traumquoten von achteinhalb Millionen Zuschauern und dieser sensationelle Marktanteil von 34,6 Prozent erklären? Hat unser Leser, der vor allem Schadenfreude als entscheidenden Antrieb ins Spiel bringt, Recht?

Schauen wir doch mal vorbei, zwar nicht im Dschungelcamp, sondern abends auf der Couch einer Wohnung in Salzgitter.

Die Laune ist gut, die Pizza duftet, wir machen es uns gemütlich. Wir, das sind – von der Autorin abgesehen – Marco Vree, Theresa Hoffmann und Laura Zech. Die drei haben Abitur und sind überhaupt alles andere als auf den Kopf gefallen. Was reizt sie an den abendlichen Ekelprüfungen?

„Für mich bedeutet die Sendung schlicht und einfach Gehirnentspannung nach einem anstrengenden Uni-Tag,“ sagt Marco Vree. „Stundenlang befasst man sich mit ernsten Themen, dann kann man abends ruhig mal mit leichtem Humor abschalten. Geistig abbauen werde ich dadurch nicht – es ist halt einfach Comedy, die sich ja nicht einmal selbst ernst nimmt!“

Darum geht’s in dieser Sendung

Doch erst einmal eine kleine Einführung ins Dschungeldickicht, für diejenigen, welche die „Reality-Show“ tatsächlich nicht kennen: Bei der Sendung „Ich bin ein Star – holt mich hier raus!“ leben zehn bis elf mehr oder weniger bekannte deutsche Prominente zwei Wochen lang in einem australischen Camp, wo sie sich zum Teil unappetitlichen Prüfungen mit hohem Ungeziefer-Anteil stellen müssen. Die Zuschauer dürfen bestimmen, wer die nächste Prüfung bestreitet und wer im Camp bleibt. So verlassen die Kandidaten nacheinander das Lager, und nur die Publikumslieblinge bleiben übrig. Ziel der Teilnehmer ist es, so lange wie möglich im Camp zu bleiben, um am Ende Dschungelkönig beziehungsweise -königin zu werden. Ist das ein wirklich unschlagbar fesselndes Konzept?

So zackig, so zickig

Zurück also auf die Couch: Die Pizza ist angeschnitten, Füße hoch, es geht los. 22.15 Uhr, die Anfangsmusik erklingt, die australische Sonne geht im Zeitraffer auf, die Kamera überfliegt in der Vogelperspektive den Dschungel. Und schon werden die Zuschauer in zackigen Kurzvideos über die zickigsten Neuigkeiten aus dem Camp unterrichtet: Wutausbrüche, Streit zwischen Camp-Bewohnern, ein Model, das bei der Dschungelprüfung streikt, ein emotionaler Moderator, der sich wegen seiner Gereiztheit ins Aus schießt. Ein Schlagerstar aus vergangenen Zeiten, der das Camp mit dem Ausruf „Ich bin ein Star – holt mich hier raus!“ freiwillig als Erster verlässt, die überschwappenden Reaktionen der Boulevardpresse... All das ist der alltägliche Wahnsinn im Camp, gleich zu Anfang auf den Punkt gebracht und ironisch kommentiert – wir bleiben dran.

Das gilt auch für die Couch in Salzgitter. „Streit, Skandale, Gesprächsthemen, die unter die Gürtellinie zielen – es ist pures Entertainment“, sagt Laura Zech. „Nie sind die Promis greifbarer und ungeschminkter als beim Dschungelcamp. Und wenn es dann noch skurrile Persönlichkeiten wie Olivia Jones sind, dann liegt man oft lachend am Boden. Es passiert immer wieder etwas Verrücktes!“

Schon geht es weiter. Das Moderatoren-Team Sonja Zietlow/Daniel Hartwich spaziert über eine Seilbrücke. Die Höhe ist schwindelerregend. Neutrale Berichterstattung? Iwo! „Allein schon die gehässigen Kommentare der Moderatoren sind das Einschalten wert“, meint Theresa Hoffmann dazu. „Sie bringen die skurrilen Camp-Geschichten mit gelungenem Wortwitz und einer ordentlichen Ladung an Schadenfreude rüber. Oft sprechen sie genau das aus, was wir alle denken: Die sind doch nicht mehr normal und blamieren sich gerade von Kopf bis Fuß, ohne es zu merken.“

Larissa und die Pulsadern

Ach, apropos blamieren: Larissa Marolt, 21-jährige Österreicherin, ist soeben voll dabei. Nachdem sie die Nerven ihrer Camp-Kollegen in den vergangenen Tagen bereits arg strapaziert hat, verkündet sie nun nach einem tollpatschigen Sturz aus der Hängematte voller Panik, dass sie einen Arzt brauche, weil sie sich ihr Handgelenk gebrochen und fast (!) die Pulsader aufgeschlitzt hätte.

„Es ist jedes Mal das Gleiche: Zicke, Heulsuse und Außenseiterin sind in einer Person vereint, die die anderen auf die Palme bringt“, sagt Laura Zech. „Für uns Zuschauer ist das natürlich sehr amüsant, wenn sie sich anzicken und gegeneinander aufbringen – köstlich!“

Doch nun wird es ernst: In der nächsten Dschungel-Prüfung müssen Melanie Müller und Larissa Marolt einige fragwürdige Drinks trinken. Melanie ist tapfer, Larissa streikt. Spätestens bei der pürierten Emu-Leber wird klar: Sie wird nichts davon trinken. „Natürlich sind die Prüfungen immer ziemlich eklig, da schüttelt es einen auch mal, aber am Ende überwiegt dann doch der Lachfaktor, wenn man den Promis dabei zusieht, wie sie leiden,“ sagt Laura Zech, während die Kandidatin würgt, weil sie am Glas der pürierten Leber gerochen hat. Da lacht Marco Vree: „Es ist wie bei den Pannenshows: Jemandem passiert etwas Peinliches, und alle lachen. Nur mit dem kleinen Unterschied, dass die Promis sich dort freiwillig blamieren.“

Dampf und Krampf

Nun ist die Prüfung vorbei. Larissa versucht, sich zu rechtfertigen. Melanie ist genervt und lässt bei den restlichen Camp-Bewohnern Dampf ab. Die sind alles andere als erfreut, denn je weniger Sterne in der Prüfung erkämpft werden, desto weniger Essen bekommen sie täglich. Larissa möchte sich aufopfern: „Ich habe es mir heute nicht verdient – ihr könnt mein Essen haben!“ Tja, so ist das. Und dass ein sowieso schon viel zu dünnes Model auf ihr Essen verzichten möchte, ist schon wieder ein Lacher bei den drei Zuschauern. „Jeder versucht krampfhaft, sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen – es ist einfach nur herrlich, dabei zuzuschauen“, sagt Theresa Hoffmann.

Der Salzgitteraner Hausbesuch hat das Vorurteil durchaus bestätigt. Natürlich hat unser Leser nicht Unrecht, natürlich ist Schadenfreude die wesentliche Zutat. Aber eben nicht die einzige. Die Mischung macht’s – das Rezept scheint perfekt. Besser als alles andere, was man mit Emu-Leber anstellen könnte.