Braunschweig. Interview mit der niedersächsische Verfassungsschutz-Präsidentin Maren Brandenburger. Sie warnt vor einer neuen Flexibilität der rechtsextremen Szene.

Maik Bischoff: Anfang des Monats hat es ja in Wolfsburg einen großen Neonazi-Aufmarsch gegeben. Wer tritt da so auf? Welche Bewegungen gibt es in der Szene?

Es hat uns nicht überrascht, dass mit 570 Teilnehmern aus der rechtsextremistischen Szene weniger in Wolfsburg dabei waren als von den Veranstaltern vorhergesagt. Die Zahl der Teilnehmer bei solchen Veranstaltungen ist seit Jahren stabil.

Was wir aber neu beobachten: Es hat offenbar eine enge Zusammenarbeit der Szene im Vorfeld gegeben. Neonazis und freie Aktivisten haben partiell mit Mitgliedern der NPD und auch mit der Partei „Die Rechte“ für den Aufmarsch mobilisiert. Auch haben sich niedersächsische NPD-Mitglieder an der Veranstaltung beteiligt, obwohl die beiden Parteien in Konkurrenz zueinander stehen und die NPD nicht mit der Partei „Die Rechte“ zusammen auftreten wollte. Es scheint in Niedersachsen einen Schulterschluss gegeben zu haben. Das Aufeinanderzugehen der Szene werden wir künftig verstärkt beobachten müssen.

Bischoff: Wie sieht das mit der Zahl der Gewaltbereiten aus?

Die Auseinandersetzungen nehmen an Schärfe zu. In der Neonazi-Szene gibt es offenbar viele junge Leute, die Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele nicht mehr ausschließen.

Bischoff: Welche Entwicklungen hin zu neuen Organisationsformen gibt es?

Wenn man sich die Entwicklung der Partei „Die Rechte“ anschaut, kann man eine Umstrukturierung in der Szene feststellen. In Nordrhein-Westfalen sind in der Partei Mitglieder von gewalttätigen Organisationen untergekommen, die im vergangenen Jahr verboten worden waren. Das ist in Niedersachsen etwas anders – im Landesverband der Partei „Die Rechte“ sitzen eher enttäuschte NPD-Funktionäre oder einzelne Neonazis – aber diese stammen nicht aus gewaltbereiten Szenen.

Felix Bodendiek: Wenn sich nun die Versprengten oder verschiedene Fraktionen innerhalb der rechtsextremen Szene sammeln – ist das nicht für den Verfassungsschutz ein Vorteil, weil die Szene dann leichter zu beobachten ist?

Uns beunruhigt die Entwicklung trotzdem, weil wir sehen, wie flexibel die Szene ist. Bundesweit diskutieren wir über ein NPD-Verbotsverfahren – in der Hoffnung, dass wir die NPD-Dachorganisation und damit einen wesentlichen Teil der Szene schwächen können. Ich halte das für ein wichtiges Signal. Aber wir befürchten, dass sich die Partei „Die Rechte“ im Zuge eines Verbotsverfahrens zu einer Art Auffangbecken entwickeln könnte. Allerdings verfügt die Partei derzeit nicht in allen Bundesländern über einen durchgängig strukturierten Apparat. Die Entwicklung in Nordrhein-Westfalen zeigt jedenfalls, dass wir mit Repression allein den Rechtsextremismus nicht besiegen können.

Im Moment sind die beiden Parteien zwar eher Konkurrenten. Aber Kampagnenthemen wie Islamfeindlichkeit oder Überfremdung einen die Szene – es treffen sich NPD-Mitglieder, Mitglieder der Partei „Die Rechte“, gewaltbereite Neonazis und leider auch Personen, die wir bislang nicht dem Rechtsextremismus zugerechnet haben. Die Themen stoßen auch in breiteren Teilen der Bevölkerung auf offene Ohren. Offenbar gibt es ein Gefühl der Bedrohung, das sich die Szene zu Nutzen macht. Auch wächst die Bereitschaft, sich spontan und ohne sich in feste Strukturen einzubinden an Themen zu beteiligen. Im Internet lassen sich schnell Unterstützer finden.

Tobias Bresch: Das erste NPD-Verbotsverfahren war gescheitert, weil V-Leute des Verfassungsschutzes selbst aktiv in der Szene waren. Ich habe nicht den Eindruck, dass sich das inzwischen geändert hat...

Eines vorweg: V-Leute sind unverzichtbar für den Verfassungsschutz. Sie sind Informanten aus der Szene, die wir in der Szene werben. Natürlich bezahlen wir sie auch, das ist kein Geheimnis – sonst würde ein V-Mann wahrscheinlich gar nicht für uns arbeiten. Aber es sind nicht die Riesen-Summen, von denen oft die Rede war. Die Bezahlung liegt bei uns unter dem Sozialhilfesatz, es kann also keiner allein davon leben.

Nach dem ersten NPD-Verbotsverfahren 2003 hat sich der Umgang mit V-Leuten komplett geändert. Aus den Führungsgremien waren V-Leute abgezogen worden, inzwischen gibt es eine bundesweite Absprache über den Einsatz von V-Leuten.

Wir brauchen allerdings auch einheitliche Vorgaben, wie die Ämter ihre Quellen führen sollen. Wer ist überhaupt geeignet? Wo kommen sie her? Wer war schon straffällig? Wir müssen bundesweit einheitliche Kriterien festlegen – auch für diejenigen, die diese Quellen führen.

Es dürfen nicht wieder so schreckliche Versäumnisse wie bei den Ermittlungen um die NSU-Morde passieren.

Bodendiek: Tauschen Sie sich auch mit der Polizei über den Einsatz von V-Leuten aus?

Wir sprechen uns genau mit der Polizei ab, wer wo welche V-Leute einsetzt. Auch wenn das Bundesamt für Verfassungsschutz V-Leute auf niedersächsischem Territorium führt, wissen wir das. Dennoch brauchen wir auch eine zentrale V-Leute-Datei, in der alle Länder ihre Informationen einspeisen. Auf der Innenminister-Konferenz ist das noch mal festgelegt worden. Nur so können wir sicherstellen, dass uns keine Informationen verloren gehen.

Bresch: Es gibt ja auch noch andere Organisationen mit extremen Tendenzen. Der Dachverband der deutschen Burschenschaften macht gerade einen Ruck nach Rechts – viele Mitgliederbünde sind deshalb dabei, auszutreten. Wie sehen Sie da die Entwicklung?

In einigen Bundesländern gibt es Burschenschaftsstrukturen, die Verfassungsschutzbehörden als rechtsextremistisch bezeichnen, das ist in Niedersachsen nicht der Fall. Andere bewegen sich in einer Grauzone zwischen Rechspopulismus und Rechtsextremismus. Es gibt aber auch burschenschaftliche Organsisationen, die überhaupt nichts mit Rechtsextremismus zu tun haben, auch wenn es einigen so erscheinen mag. Wir müssen da sehr genau differenzieren.

Bodendiek: Wann ist die Legitimation da, um jemanden beobachten zu können?

Wann bezeichnen wir etwas als extremistisch? Im Gesetz ist es so formuliert: „Wenn ein Personenzusammenschluss als eine politisch bestimmte, ziel- und zweckgerichtete Bestrebung gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung handelt“. Doch der Rechtsextremismus hat sich in den vergangenen Jahren so massiv gewandelt, dass wir der Entwicklung mit unserer gesetzlichen Definition womöglich nicht mehr hinterher kommen.

Die Grenzen zwischen dem parteigebundenen Extremismus, der Neonazi-Szene und den Subkulturen sind fließend. Wir haben es auch mit einzelnen Personen zu tun, die ihre verfassungsfeindlichen Thesen oder Hassparolen ins Netz stellen und zu Gewalt aufrufen. Wir müssen also schauen: Passen unsere Definitionsraster noch? Müssten in der gesamtgesellschaftlichen Diskussion die Spielarten des Rechtsextremismus nicht vielmehr losgelöst von der Frage definiert werden, was eine Bestrebung ist?

Wir müssen viel genauer hinschauen und Phänomene früher beschreiben, als wir es bisher gemacht haben. Hier werden wir fortan enger mit wissenschaftlichen Einrichtungen zusammenarbeiten.

Bodendiek: Beobachten Sie auch Leute, die Blogs führen?

Betrachten wir mal den Islamismus: Wenn jemand Dschihad-Propaganda im Internet betreibt, müssen wir das beobachten. Die Gefahr liegt aber darin, dass uns ein Einzelner im Netz nicht immer auffällt.

Das Internet ist ein Moloch. Wir investieren zwar immer mehr Arbeitszeit in die Beobachtung des Internets. Dennoch können wir nicht ausschließen, dass sich irgendwo im Netz ein Einzeltäter betätigt, der etwas plant oder womöglich auch handelt.

Bischoff: Wie ist es im Bereich des Alltagsrassismus, der Fremdenfeindlichkeit und des Antisemitismus – müssen Sie das nicht auch bewerten?

Eine Verfassungsschutzbehörde darf sich nicht mit Einstellungen in der Bevölkerung befassen. Sie wird erst dann tätig, wenn sie Aktivitäten feststellt, die sich gegen die verfassungsgemäße Ordnung richten. Ist das der Fall, bewerten wir natürlich nicht nur das Auftreten beispielsweise von NPD-Funktionären, sondern betrachten auch, welches Gedankengut hinter ihrem Handeln steckt und was sie programmatisch machen.

Bodendiek: Wie ist das bei den Linksextremen, wo ist da Ihre Legitimationsgrundlage? Einige fordern ja, dass auch die Partei „Die Linke“ als verfassungsfeindlich angesehen wird.

Wir haben den klaren Auftrag, auch den Linksextremismus zu beobachten. Aber wir müssen die Unterschiede aufzeigen. Es gibt Linksextremisten in der autonomen Szene, die auf das demokratische Engagement gegen Rechtsextremismus aufsatteln, um ihre eigenen extremistischen Ziele zu verfolgen. Wir beobachten die Gruppen, die eindeutig systemüberwindende Ziele verfolgen.

Einige fordern zwar, die Partei „Die Linke“ stärker in den Fokus zu nehmen. Aber wir sind aus der Gesamtbeobachtung der Partei ausgestiegen und konzentrieren uns auf die extremistischen Teilgruppen innerhalb der Partei – also die Kommunistische Plattform, Sozialistische Linke und Antikapitalistische Linke. Nicht jedes Mitglied der Partei ist ein Linksextremist. Auch da müssen wir sehr differenziert vorgehen.