Braunschweig. Die Katastrophen in Textilfabriken bewegen Konzerne zum Umdenken. Viele lassen sich nun auf die Finger schauen. New Yorker gehört bisher nicht dazu.

Unsere Leserin Gisela Stockmann aus Braunschweig fragt:

Wird das nun vereinbarte Abkommen die Situation wirklich verbessern? Beteiligt sich das in Braunschweig ansässige Bekleidungsunternehmen New Yorker daran?

Die Antworten recherchierte Marc Chmielewski

Es war bei weitem nicht die erste Katastrophe in einer Textilfabrik in Bangladesch. Doch als am 24. April das mehrstöckige Fabrikgebäude Rana Plaza nahe der Hauptstadt Dhaka einstürzte, waren die Folgen so schrecklich, dass sich die Empörung nicht wie üblich nach ein paar Tagen wieder legte.

1127 Menschen starben auf grauenvolle Weise. Nach dem Einsturz kam heraus, dass der Besitzer von Rissen im Bau wusste, die Näherinnen aber trotzdem zur Arbeit getrieben wurden. In den Trümmern fand man unter anderem Kleidungsstücke der Marken Kik, Mango, Primark und Benetton. Mehr als eine Million Menschen haben seitdem eine Petition der „Kampagne für Saubere Kleidung“ unterschrieben, in der Textilhandelskonzerne aufgefordert werden, die Sicherheit von Arbeitern in Bangladesch zu verbessern.

Einige sind diesem Aufruf nun gefolgt. PvH (Calvin Klein, Tommy Hilfiger) und Tchibo hatten den Anfang gemacht, es folgten Modeketten wie H&M, C&A, Inditex (Zara) und Hess Natur. Auch Primark und Tesco sind Gewerkschaftsangaben zufolge dabei. Gestern Abend schloss sich auch die deutsche Billigkette Kik dem Abkommen an.

Die Initiatoren der Saubere-Kleidung-Kampagne werten das Abkommen als Meilenstein. „Allein im vergangenen halben Jahr sind 1250 Arbeiterinnen in Bangladeschs Textilfabriken getötet worden“, sagt Frauke Banse von der Kampagne. „Es ist keine Zeit mehr für freiwillige Selbstverpflichtungs-Rhetorik.“ Banses Kollegin Gisela Burckhardt hofft: „Die Unterzeichnung eines verbindlichen Sicherheitsabkommen kann den Horror in Bangladesch endlich beenden.“

Vereinbart wurde unter anderem: Es gibt unabhängige Inspektionen von Fabriken, deren Ergebnisse öffentlich gemacht werden. Die Konzerne beteiligen sich an den Kosten. Werden Sicherheitsrisiken entdeckt, müssen sie behoben werden. Gewerkschaften werden gestärkt.

„Das Abkommen ist ein Fortschritt, aber dennoch stehen wir erst am Anfang“, sagt Hasan Ashraf unserer Zeitung. „Denn das Abkommen beschäftigt sich hauptsächlich mit Arbeitssicherheit. Damit auch die Ausbeutung durch niedrige Löhne aufhört, müssen die nun erlaubten Gewerkschaften schnell an Verhandlungsmacht gewinnen.“

Der 35-jährige Ashraf stammt aus Bangladeschs Hauptstadt Dhaka, er schreibt an der Uni Heidelberg seine Doktorarbeit über Stress in der Textilarbeit in Bangladesch. Dafür hat Ashraf nicht nur mit Unternehmern gesprochen und Hunderte von Arbeitern in seiner Heimat interviewt. „In den Jahren 2010 und 2011 habe ich insgesamt sechs Monate in unterschiedlichen Textilfabriken in Bangladesch gearbeitet, um mir ein Bild von der Situation zu machen.“

Er habe sich nicht als einfacher Arbeiter eingeschlichen, sondern sich als Wissenschaftler zu erkennen gegeben. „Anfangs war es schwierig, viele Fabrikbesitzer wollten mich nicht bei sich arbeiten lassen.“ Als er dann doch Erfolg hatte, musste er versprechen, den Namen der Firma nicht zu enthüllen. Daran hält sich Ashraf bis heute.

Zwölf Stunden Arbeit am Tag sei das Standardprogramm gewesen. „Wenn große Aufträge bewältigt werden mussten, konnten es auch 14 Stunden werden.“ Auch die Nacht wurde dann schon mal durchgearbeitet. Selbst kleine Verspätungen wurden mit Lohnkürzungen bestraft.

So erfreulich es sei, dass Konzerne nun ein Abkommen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen unterzeichnen: „Das hätte schon viel früher passieren müssen. Die Ausbeutung, die unhaltbaren Zustände, die Todesfälle – all das ist seit langem bekannt.“

Die Konzerne seien von Arbeiterorganisationen immer wieder darauf hingewiesen worden, zudem hätten die großen Modeketten Büros in Dhaka, deren Einkäufer die Qualität in den Fabriken kontrollieren: „Sie hatten also Zugang und hätten so von unwürdigen Arbeitsbedingungen erfahren können – wenn sie es gewollt hätten.“ Nur der mediale Druck habe dazu geführt, dass sich etwas bewegt.

Ashraf ist überzeugt: „Die westlichen Auftraggeber der Textilfabriken hätten es in der Hand, die Arbeitsbedingungen in Bangladesch zu verbessern.“ Sie seien es, die mit rigiden Vertragsstrafen und Deadlines, den hohen Produktionsdruck erzeugten, den lokale Firmenbosse dann an ihre Näherinnen weitergeben.

Was können Verbraucher tun? Der Preis jedenfalls gibt keine zuverlässige Auskunft über die Produktionsbedingungen. „Oft wird in derselben Fabrik Kleidung für teure Marken und für Billigmode produziert – von denselben Leuten für denselben schlechten Lohn.“ Verbraucher müssten Einzelhändler immer wieder löchern: „Sie müssen klar machen, dass sie nicht bereit sind, über die Produktionsbedingungen ihrer Mode im Unklaren gelassen zu werden. Sie dürfen sich nicht mit vagen Aussagen abspeisen lassen.“

Beim Braunschweiger Modekonzern New Yorker ist das schwierig. Wer genauer nachfragt, ob als Journalist oder Kunde, erhält vor allem unverbindliche Textbausteine wie diesen: „Als global agierendes Handelsunternehmen sehen wir uns ethisch verpflichtet, die Einhaltung sozialer Mindeststandards bei der Produktion unserer Waren sicherzustellen.“

Man kenne seine Produzenten gut und besuche regelmäßig deren Produktionsstätten, wobei auf die „Einhaltung von Arbeits- bzw. Sozialstandards mit Sorgfalt geachtet“ werde. Was „regelmäßig“ genau bedeutet, ist auf Anfrage nicht in Erfahrung zu bringen.

In Sachen Sozialstandards verweist New Yorker auf seinen „Code of Conduct“, die Spielregeln für Lieferanten. Dort steht etwa, dass Arbeitszeiten und -löhne sich nach den jeweiligen lokalen Gesetzen zu richten haben. „Gerade diese unzureichenden Gesetze sind leider oft das Problem“, sagt Christiane Schnura von der Kampagne für Saubere Kleidung. Ob New Yorker dem aktuellen Brandschutz-Abkommen beitritt wie so viele andere? „Intern laufen Überlegungen“, heißt es dazu aus der Pressestelle.