Braunschweig. Otmar Alt spricht mit unseren Lesern über Auftragskunst, Produktgestaltung, Kritikfähigkeit und seine Heimatstadt Wernigerode

Heike Ullmann: Werden in Braunschweig auch Objekte gezeigt, die Sie speziell für diese Ausstellung geschaffen haben?

Nein. Gut, wir haben den Domspatz geschaffen, eine kleine Figur, die im Rahmen der Ausstellung verkauft wird. Aber sonst sind Werke aus meinen verschiedenen Schaffensperioden zusammengetragen worden, teilweise von Sammlern, teilweise aus meinem Archiv.

Ich hatte zwar schon mal eine große Retrospektive in Mainz, eine Ausstellung wie hier in Braunschweig aber noch nicht, bei der meine Arbeiten in der ganzen Stadt verteilt zu sehen sind. Das finde ich schon toll.

Ullmann: Ich kenne ein Kinderbuch von Ihnen. Haben Sie viele gemacht?

Oh ja, einige. Den „Luderbär“ zum Beispiel, oder „Prinz Grünewald und Perlenfein“. Bei Kinderbüchern ist entscheidend, wie man sie gestaltet. Ob man nur illustriert oder vielleicht einen Schritt weitergeht.

Ich bin jetzt aber, mit Verlaub, 72 Jahre alt und habe andere Prioritäten. Meine Kunst kann junge Menschen sicher anregen, und man sollte sie einbeziehen. Aber grundsätzlich arbeite ich nicht für Kinder, sondern für das Lebewesen Mensch.

Ullmann: Ich habe auch eine von Ihnen gestaltete Telefonkarte. Sie haben ja oft Produkte gestaltet.

Das war eine interessante Geschichte mit den Telefonkarten. Als sie abtelefoniert waren, haben die Leute sie mir teilweise mit der Bitte um ein Autogramm zugeschickt. Wenn der Freund Geburtstag hatte, wurde die Karte dann gerahmt. Das entspricht meiner Absicht: Die Dinge, die ich mache, sollen zu den Menschen gelangen und nicht in Museen hängen – auch wenn man natürlich seine Eitelkeit hat und es schon in das ein oder andere Museum schaffen will.

Grundsätzlich finde ich, dass ein Kunstwerk für alle Menschen erreichbar sein sollte, nicht nur für eine elitäre Schicht, die Geld hat.

Jürgen May: Sie beweisen Mut zur Farbe. Prinzipiell finde ich das beeindruckend. Manchmal allerdings passen Ihre Arbeiten meiner Meinung nach nicht zum historischen Umfeld. Wir stammen beide aus Wernigerode. Dort wurde viel Kritik an Ihrer Plastik „Der Kunstschlecker“ geübt. Können Sie damit umgehen?

Ja. Gibt man etwas in die Gesellschaft hinein, muss man auch Kritik aushalten können. Wenn alle rufen: Hurra – dann ist etwas faul.

Entscheidend ist, dass das Kunstwerk sich behauptet. Ein gutes Kunstwerk hält es aus, wenn jemand sagt: Das ist aber Mist.

Ich besuche Wernigerode übrigens vier bis fünf Mal im Jahr. Ich habe einige Freunde dort. Quedlinburg ist schöner in mancher Hinsicht, steht aber auch kurz vor dem Ruin. Die sind Welterbe geworden, können sich das aber eigentlich nicht leisten. Wernigerode hat in seiner Beschaulichkeit die Chance zu überleben. Dass junge Menschen dort weggehen, ist verständlich. Aber ich denke, dass ich einmal zurückziehe.

May: Zu Ihrer Ausstellung gehört ein Altarbild in der Martinikirche. Sie haben ausdrücklich erlaubt, dass man es anfassen darf. Das finde ich beeindruckend. Aber was, wenn jemand mit Dreckfingern kommt?

Ich glaube, in einem sakralen Raum verhalten sich die Menschen anständig. Da kommt kein Vandalismus auf. Man sollte grundsätzlich Respekt vor dem Eigentum des anderen haben. Es gibt Menschen, die halten Vandalismus für eine Art von Politik: Guck mal, wir sind anders. Ich unterstütze das nicht.

Ich selber bin bisher als Künstler zum Glück nicht betroffen gewesen. Aber wenn ich jemanden etwa mit einer Spraydose erwischen würde, dann würde ich schon dafür sorgen, dass er alles wieder saubermacht, mit einer Zahnbürste.

May: Bei dem Altarbild hätte ich schon Sorge. Es ist ikonografisch stark durchdrungen, aber nicht der üblichen christlichen Ikonografie entsprechend. Was ist, wenn jemandem die Sicherung durchbrennt?

Wie gesagt: Wer sich der Öffentlichkeit stellt, muss das Risiko aushalten, auch mal Pech zu haben.

Mich interessiert vielmehr, wie sich das Bild in einem großen Kirchraum wie St. Martini behauptet. Und ich finde, das schafft es gut. Wenn ich überhaupt eine Form von Konkurrenz sehen würde, dann wäre es die wunderschöne Orgel. Ich habe sie bisher zwar nicht gehört, aber allein vom Schauen her hat sie eine große Ausstrahlung und Magie.

Dieses Altarbild in seiner dreiteiligen Form ist ja auch ein Stück erlebtes Lebens. Das ist nicht in drei, vier Tagen gemalt worden. Da habe ich mehrere Jahre dran gearbeitet, darüber etliche Liter Rotwein getrunken und viele Gespräche mit Katholiken, Protestanten, Kunstgeschichtlern, auch Moslems geführt.

Nadine Lange: Wollten Sie schon immer Künstler werden?

Eine Zeitlang wollte ich Mode machen, aber dann habe ich doch vier Semester Ausstellungsbau studiert – bis ich genug hatte und mir sagte, komm, jetzt studierst du Malerei. Ich bin schließlich Meisterschüler geworden und sollte später selbst als Dozent arbeiten. Aber auf den Schulbetrieb hatte ich keine Lust.

Ich habe dann eine Zeitlang vor allem als Bühnenbildner gearbeitet, unter Leuten wie Claus Peymann am Frankfurter Theater am Turm. Bis ich mir gesagt habe, nun will ich es als freier Künstler schaffen.

Ullmann: Wann haben Sie Ihren Stil gefunden? Ihre frühen Bilder sehen noch recht anders aus.

Eigentlich habe ich schon als Meisterschüler mein Vokabular gefunden. Ich bin ein anpassungsfähiger, aber nicht unterwürfiger Mensch. Das ist ein wichtiger Unterschied.

Kunst hat auch etwas mit Verführen zu tun. Man muss nicht das malen, was die Menschen wollen – die Menschen müssen das lieben, was du machst.

Lange: Haben Sie ein Lieblingsobjekt unter Ihren Werken?

Na ja, damit ist es so ähnlich wie mit den Frauen. Wenn man sie kennenlernt, liebt man sie über alles. Später normalisiert sich das, und man sieht auch die Fehler.

Aber wenn Sie mich nach meinen Lieblingsplänen fragen würden: Ich würde ganz gerne mal ein Hotel gestalten – oder ein Schiff.

Lange: Verwirklichen Sie auch ganz eigene Ideen, oder sind es in erster Linie Auftragsarbeiten?

Oh, ich bin mein größter Auftraggeber. Und natürlich mache ich auch Dinge für mich selber, die ich dann teilweise gar nicht zeige.

Ich finde es aber eine tolle Sache, Aufträge zu bekommen. Weil man sich dann mit den Menschen auseinandersetzen muss. Da kommen beispielsweise Leute an und sagen, meine Katze muss mit auf unser Bild.

Ullmann: Sie machen auch Familienporträts?

Ja, klar, aber auf meine Weise. Ich sage, wir müssen zunächst mal zusammen essen gehen und uns unterhalten. Dann denke ich über die Sache nach, und wenn das Bild dann halb fertig ist, dürfen die Auftraggeber auch mal vorbeikommen. Sie sind dann oft irritiert, trauen sich aber nichts zu sagen. Höchstens dass die Frau sagt: „Unsere Tapete ist doch gar nicht gelb.“

Entscheidend ist immer, dass nicht die Auftraggeber die Richtung vorgeben, sondern der Künstler.

Ich mache auch viel erotische Geschichten. Akte zum Beispiel. Das ist wahnsinnig aufregend.

Lange: Aber dann auch in Ihrem Stil?

Natürlich. Ich male so wie Otmar Alt.