Nürnberg (dpa) - Eine schwierige Hinterlassenschaft der Nazi-Zeit ruht in den Regalen der Nürnberger Stadtbibliothek: Eine Sammlung von mehreren tausend Büchern, die sich mit dem Judentum beschäftigen oder früher Juden gehörten. Zusammengetragen hatten sie paradoxerweise die Nationalsozialisten selbst, nämlich der berüchtigte «Frankenführer» Julius Streicher und sein antisemitisches Hetzblatt «Der Stürmer». Im Internet suchen die Verantwortlichen der Stadtbibliothek jetzt nach den früheren Eigentümern der Bücher, die heute als «Raubgut» gelten.

Knapp 9000 Bände umfasst die bizarre Sammlung, berichtet Christine Sauer von der Abteilung Handschriften und Alte Drucke der Nürnberger Stadtbibliothek. Neben einem Komplex von mehr als 4000 Schriften zum Judentum «im weitesten Sinne» sowie zur Freimaurerei enthält sie 4500 Titel an Schöner Literatur in zahlreichen Sprachen.

Soweit sich die seltsame Geschichte dieser Sammlung rekonstruieren lässt, waren die Bücher nach Kriegsende 1945 in den Redaktionsräumen des Hetzblattes «Der Stürmer» gefunden worden. Hinzu kamen Bücher aus dem Privatgut Pleikershof von Julius Streicher, der 1946 als Kriegsverbrecher hingerichtet wurde. Die amerikanische Militärregierung übergab die Bücher dem damaligen Bibliotheksdirektor. Erst 1993 identifizierte sich die israelitische Kultusgemeinde (IKG) Nürnberg als Eigentümer und berief sich auf eine mündliche Vereinbarung aus dem Jahr 1945. Im Jahr 2003 schließlich wurden diese Besitzverhältnisse schriftlich fixiert.

Die Sammelschwerpunkte entsprechen nach Sauers Angaben den im «Stürmer» behandelten Themen: Hetze gegen Juden, Freimaurer, «Bolschewisten» und die Kirche. «Hinweise nähren die Vermutung, dass die Büchersammlung als geistige Rüstkammer und Nachschlagebestand für die Kampagnen des 'Stürmers' benutzt wurden», erklärt die Bibliothekarin.

Der größte Teil der «Sammlung IKG», wie sie heute genannt wird, wurde nach 1957 katalogisiert. Mitte 1997 begann Leibl Rosenberg, ein Kenner des Judentums, mit der Katalogisierung der noch unerschlossenen 1200 Exemplare. In akribischer Kleinarbeit versuchte Rosenberg, Spuren von Vorbesitzern zu finden: Er forschte nach handschriftlichen Besitzeinträgen, Widmungen, Stempeln und Exlibris.

Die identifizierten Besitzeinträge werden nun im Internet weltweit zugänglich gemacht. Mit mehr als 800 Meldungen ist die Nürnberger Stadtbibliothek nach eigenen Angaben der größte Zuträger zur «Lost Art Internet Database» von Bund und Ländern (www.lostart.de). Diese seit 2001 existierende Datenbank soll der Dokumentation und Recherche von Kulturgütern dienen, die während der Nazi-Zeit verloren gingen.

Daneben bietet die Bibliothek seit kurzem die Möglichkeit, sämtliche Besitzvermerke in einem für das Internet freigeschalteten Katalog zu recherchieren (www.stadtbibliothek-nuernberg.de). «Hier können auch die nicht an Lost Art gemeldeten Bücher gefunden werden», erklärt Sauer. «Wir versuchen, möglichst viele Bücher an die Eigentümer zurückzugeben.»

www.lostart.de

www.stadtbibliothek-nuernberg.de