Bei millionenfachen Impfungen werden unweigerlich medizinische Notfälle in zeitlicher Nähe zur Immunisierung beobachtet.

Das Hin und Her um den Astrazeneca-Impfstoff hat Markus Söder zu der Forderung verleitet, „wer sich’s traut“ solle sich mit dem Vakzin impfen lassen dürfen. Wer sich traut – das wird die Impfbegeisterung kaum steigern.

Kritik an Pharmafirmen geht ins Leere

Der Ruf von Astrazeneca ist mittlerweile miserabel. Entsprechend wurde die Einführung des Produktnamens Vaxzervria sogleich zur Marketingkampagne umgedeutet, obwohl Astrazeneca der Name des Herstellers ist, nicht des Impfstoffs. Das Vakzin von Biontech und Pfizer heißt übrigens Comirnaty – was aber niemanden interessiert.

1,78 Euro kostet eine Dosis Vaxzervria. Biontech verlangt knapp das Siebenfache, Moderna sogar mehr als das Zehnfache. Beim „Spiegel“ führte diese Tatsache nicht etwa zu Lob für den Hersteller, sondern zum Etikett „Billigimpfstoff“. Was nichts kostet, kann bekanntlich nichts wert sein. Trotzdem mutmaßt Felix Perrefort beim einflussreichen Politik-Blog „Achse des Guten“ über „für die Pharmaindustrie lukrative Massenimpfungen“, die durchgedrückt werden müssten, um das Gesicht der Regierung zu wahren. Dabei geht das beliebte Eindreschen auf gierige Pharmafirmen hier ins Leere: Vaxzervria wurde mit britischen Steuergeldern an der Uni Oxford entwickelt.

Sarkastische Empfehlung: Impfstoff künstlich verteuern

Astrazeneca hat sich den Entwicklern gegenüber verpflichtet, fast zwei Drittel der Produktion in Entwicklungsländer zu liefern, zudem gibt die Firma den Impfstoff zum Selbstkostenpreis ab. Der Molekularbiologe Martin Moder hat im ORF schon sarkastisch empfohlen, das Mittel besser als Premiumimpfstoff für 18 Euro anzubieten. So ließe sich die Beliebtheit steigern.

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Aber ist denn nun Mut nötig, um sich mit Vaxzervria impfen zu lassen? Während sie auf ihre Impfung wartete, brach am 14. März in Wien eine 58-Jährige zusammen und starb. Wäre sie ein paar Minuten später gestorben, würde man nun einen Impfschaden vermuten. Das zeigt: Bei millionenfachen Impfungen werden unweigerlich medizinische Notfälle in zeitlicher Nähe zur Immunisierung beobachtet. Prozentual ist die Häufigkeit schwerer Verdachtsfälle bei allen drei Impfstoffen etwa gleich. Allerdings gilt auch hier, was über jedem Journalistenschreibtisch stehen sollte: „Es ist immer etwas komplizierter!“

Corona-Infektion oder Impfstoff-Nebenwirkung – Was braucht mehr Mut?

Laut Paul-Ehrlich-Institut gibt es eine statistisch auffällige Häufung von Hirnvenenthrombosen in der Vaxzervria-Gruppe. Neun Patientinnen, alles Frauen, starben daran. In Großbritannien war eine solche Häufung bei weit mehr verabreichten Dosen nicht zu beobachten. Allerdings wurden dort auch anders als in Deutschland nicht vornehmlich junge Frauen geimpft. Für diese Gruppe besteht möglicherweise ein erhöhtes Risiko. Sie sollte einen anderen Impfstoff erhalten.

Bei allen anderen stellt sich eher die Frage, was mehr Mut braucht: Das nicht nachgewiesene Risiko einer extrem seltenen und bei rechtzeitiger Diagnose behandelbaren Impfnebenwirkung einzugehen – oder sich ungeimpft dem deutlich größeren Risiko schwerer und unbehandelbarer Corona-Nebenwirkungen auszusetzen.

Der Autor war Redakteur dieser Zeitung und ist Pressereferent des Julius-Kühn-Instituts.