Peine. Über Eltern- Kontroll- Apps überwachen Eltern ihre Kinder. Doch die digitale Kontrolle täuscht Sicherheit vor und schadet der kindlichen Entwicklung.

Stifte, Bücher, Blöcke – das gehört zum Inhalt eines jeden Schulranzens. Doch zwischen Mäppchen und Schulbrot liegt oft das Smartphone. Ausgestattet mit einer sogenannten „Parental-Control- App“, werden die Geräte zu digitalen Spionen. Die Apps orten Kinder per GPS. Was auf den ersten Blick Sicherheit verspricht, kann schnell in einer Überwachung enden. Die Folge: ein gestörtes Vertrauensverhältnis zwischen Eltern und Kindern.

Heike Kubow, Jugendschutzbeauftragte des Landkreises Peine und Nicol Natascha Septinus, medienpädagogische Beraterin für den Landkreis, beraten zum Umgang mit den „Eltern - Kontroll-Apps, und warnen vor den Folgen einer ständigen digitalen Überwachung.

Möglichkeiten der Überwachung

„Der Überwachung und Kontrolle sind kaum Grenzen gesetzt“, sagt die Medienberaterin. Pocket-Nanny, iNanny oder Familytracker: Überwachungsapps gibt es viele am Markt.

Über das Gerät der Kinder lässt sich der Standort des Nachwuchses orten. Per GPS werden automatisch die Koordinaten der Kinderhandys auf das Gerät der Eltern übertragen. Verfügen die Apps über eine „Geozaun-Funktion“, können die Eltern den Bewegungsradius ihrer Kinder per GPS eingrenzen. Das Handy schlägt Alarm, wenn sich der Nachwuchs aus dem vorher festgelegten Umfeld bewegt.

Sind die Kinder unterwegs und reagieren nicht auf den Anruf der Eltern, können Sorgeberechtigte das Handy des Nachwuchses per App sperren lassen. Erst nach erfolgtem Rückruf wird das Handy wieder freigeschaltet. So zwingt beispielsweise die App „Ignore no more“ den Kontakt des Kindes zu den Eltern. „Das ist eine extreme Form der Kontrolle“, sagt Septinus.

Spiel mit den Ängsten

Die Gründe, eine Überwachungsapp zu installieren, sieht Heike Kubow in den Ur-Ängsten der Eltern verankert. „Eltern haben Angst, um die Sicherheit ihrer Kinder. Das ist verständlich“, sagt die Jugendschutzbeauftragte. Und natürlich kein neues Phänomen. Schon immer sorgten sich Eltern um ihren Nachwuchs, setzten aber zur Kontrolle keine technischen Hilfsmittel ein. Vor allem sogenannte Helikopter-Eltern kontrollieren ihre Kinder fortwährend rund um die Uhr. „Sie sind übervorsichtig und ständig in Sorge“, sagt die Jugendschutzbeauftragte.

Und genau dort knüpfen die Apps an: Sie schüren die Ängste der Eltern. „Hinter den Apps stecken wirtschaftliche Interessen“, so Septinus. Und über die Angst der Eltern lässt sich gut verkaufen. Dabei bestünde laut Kriminalstatistik kein Grund für eine gesteigerte Sorge um den Nachwuchs. Das Risiko, Opfer einer Straftat in Niedersachsen zu werden, ist so gering wie seit 25 Jahren nicht mehr. Im Vergleich zum Jahr 2016 gingen die Straftaten um 35 843 Fälle zurück.

Fiktive Sicherheit

Von dem Nutzen der Eltern-Kontroll- Apps ist die Jugendschutzbeauftragte nicht überzeugt, denn die Tagesabläufe der Kinder ließen sich ohnehin nicht komplett überwachen. „Die Apps gaukeln den Nutzern eine Pseudo-Sicherheit vor“, sagt Kubow. Doch Eltern sollten sich nicht aus der Verantwortung nehmen und die Sicherheit ihrer Kinder auf die Technik abwälzen. „Wer sich eine Eltern-Kontroll-App herunterlädt und installiert, versucht sich eine vermeintliche Sicherheit zu erkaufen“, ergänzt Septinus.

Doch die Kontroll - Funktionen der App schützen nicht vor realen Gefahren. Zudem seien Kinder in der Lage, die Technik zu umgehen. „Kinder sind technisch oft versierter als die Eltern“, sagt Kubow.

Weitere Möglichkeit: „Das Handy bleibt dann bei der Freundin zu Hause, bevor die Kinder in die Umgebung ziehen,“ so die Jugendschutzbeauftragte. Dann nütze kein GPS-System und keine Alarmfunktion mehr.

Folgen der Überwachung

Septinus rät dringend davon ab, den Alltag der Kinder digital zu überwachen. „Ständige Kontrolle führt dazu, dass das Vertrauensverhältnis zwischen den Kindern und ihren Eltern massiv geschädigt wird. Statt Überwachung empfiehlt die medienpädagogische Beraterin den Austausch mit dem Nachwuchs. Generell sei eine Kommunikation der Überwachung vorzuziehen. „Eine App kann niemals das Gespräch mit dem Kind ersetzen“, so Septinus.

Bevor das Kind das Haus verlässt, sollten Absprachen getroffen werden. „Am besten genaue Heimkehrzeiten ausmachen und den Aufenthaltsort besprechen“, so die medienpädagogische Beraterin. Zur Entwicklung der Kinder gehöre auch, dass sie lernen, sich daran zuhalten und mit den Konsequenzen zuleben.

„Um ein starkes Selbstbewusstsein zu entwickeln, brauchen Kinder Freiräume und müssen Fehler machen“, so die Jugendschutzbeauftragte. Diesen Teil der Entwicklung würden Eltern ihren Kindern wegnehmen, wenn sie digitale Kontrolle ausüben.

Handysperre für Kinder

„Ältere Kinder brauchen eine erwachsenenfreie Zone. Sie müssen sich alleine bewegen dürfen“, sagt Kubow. Freunde treffen und Hobbys ausüben – das müsse unbedingt ohne ständige digitale Kontrolle möglich sein.

Den Einsatz der App „Ignore no more“ lehnt auch die medienpädagogische Beraterin deshalb strikt ab. „Das Handy des Kindes zu sperren, wenn es nicht zurück ruft, das ist schon Erpressung“, sagt Septinus. Zudem müsse das Kind seinem Handy fast rund um die Uhr Aufmerksamkeit schenken, um keinen Anruf zu verpassen. „Doch gerade, wenn man sich mit Freunden trifft, sollte das Handy auch mal weniger Beachtung bekommen“, so Kubow. Auf der einen Seite beschweren sich Eltern oft über die häufige Nutzung des Smartphones, fordern ihre Kinder dann jedoch wieder dazu auf, allzeit erreichbar zu sein.

Das sagen die Kinder

Pauline, 12 Jahre aus Vechelde: „So eine App ist blöd. Ich würde mich beobachtet fühlen. Es ist besser, wenn man sich vertraut. Meiner Mutter erzähle ich, wo ich hingehe. Wenn sie eine solche App auf mein Handy laden würde, dann würde ich sie bitten, dass sie die App deinstalliert. Oder ich würde nach einer Anleitung im Internet suchen, um die App zu löschen. Vielleicht gibt es dazu ja ein youtube-Video.“

Vanessa, 14 Jahre aus Vechelde würde die App von ihrem Handy löschen. „Oder ich würde mein Smartphone auf Werkseinstellung zurück setzten. Ich möchte nicht ständig verfolgt werden. Aber ich kann meine Mutter auch verstehen, dass sie wissen möchte, wo ich bin und sich Sorgen macht, wenn ich unterwegs bin.“