Werte. Christen und Atheisten aus unserer Region erzählen, wie sie zum Glauben gefunden haben – oder warum sie sich von ihm abwenden.

Am letzten Abend der Konfirmanden-Freizeit entscheidet sich Felix Beutnagel für ein Leben mit Gott. Er ist in der Pubertät, auf der Suche nach Orientierung, nach Halt, einem Sinn. Seine Eltern leben seit Jahren voneinander getrennt, er sieht seinen Vater selten, noch nicht einmal alle zwei Wochen. „Damit hatte ich große Probleme“, sagt er.

In der Gruppe kann er darüber sprechen, was ihn bewegt, das erste Mal betet er auch offen. Er fühlt sich angenommen, gestärkt, voller Zuversicht und weiß, dass er fortan nicht mehr ohne Gott leben will. Heute ist Felix Beutnagel 26 Jahre alt und leitet zusammen mit drei Freunden die Jugendgruppe der Gemeinde Hordorf-Essehof-Wendhausen.

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Felix Beutnagel sitzt in dem Haus in Wendhausen, in dem er mit seiner Mutter lebt, und erzählt, welchen Wert seine Bindung an die christliche Glaubensgemeinschaft und wie Gott sein Leben verändert hat. Er hat ein duales Studium absolviert, Wirtschaftsingenieurwesen studiert und parallel bei VW eine Ausbildung zum Industriemechaniker gemacht, dann seinen Vollzeit-Master an der TU Braunschweig im Fach Technologieorientiertes Management. Im November wird er bei VW anfangen. Er engagiert sich in der Kirche und ist im Sportverein aktiv. Sein Leben nur auf die Karriere abzuzielen, wäre für ihn kein Ziel. Es muss beides gehen: Engagement im Beruf und Einsatz für das soziale Leben.

„Der Glaube prägt meinen Alltag“, sagt er. „Wenn wichtige Entscheidungen anstehen, begleitet er mich und das hilft mir auch, die richtige Lösung in schwierigen Situationen zu finden.“ Er erinnert sich an die Zeit, als seine Mutter wieder voll berufstätig war und er eine Ganztagsschule in Braunschweig besuchte. „Mir ist es sehr schwer gefallen, die langen Tage auszuhalten.“ Doch das Gebet und Gespräche mit seiner Mutter halfen, Verzweiflung und Unwohlsein zu überwinden. „Am Ende bin ich gestärkt daraus gegangen.“

In der Arbeit mit Jugendlichen versucht Felix Beutnagel, eigene Erfahrungen weiterzugeben. Es werde immer schwerer, junge Leute für die Gemeinde zu gewinnen, sagt er. Viele seien später weg, wenn sie 17, 18 Jahre alt werden. „Oft sind in diesem Lebensabschnitt andere Sachen einfach cooler.“ Das Leben werde immer schneller, die Anforderungen an den einzelnen immer größer; schon Schüler würden heute auf Leistungsdruck getrimmt. „In dieser Schnelligkeit und unter diesem Druck auch mal anzuhalten, sein Handeln zu hinterfragen, nicht den Ellenbogen auszubreiten, sondern an dem Wert der Nächstenliebe festzuhalten, sehe ich als große Herausforderung.“

Irgendwann, mit 14 oder 15 Jahren, stellt sich Tobias Winterfeld die Frage, die sich viele Jugendliche stellen: Was ist der Sinn des Lebens? Was passiert nach dem Tod? Er ist in einem christlichen Elternhaus aufgewachsen, schon als Kind besucht er regelmäßig den Gottesdienst. „Ich habe Stück für Stück etwas über den Glauben erfahren, aber das erst gar nicht so für mich angenommen“, sagt er. Den Weg zu Gott beschritt er nicht im Dauerlauf, sondern schleichend.

Tobias Winterfeld ist heute 27 Jahre alt, er lebt in Essehof, studiert in Braunschweig Lehramt, Mathe und Geschichte, und leitet zusammen mit Felix Beutnagel die christliche Jugendgruppe in Wendhausen.

Er erinnert sich noch gut daran, wie er als Jugendlicher unerträglich findet, dass mit dem Ende des Lebens alles vorbei sein könnte. Wie er nach Antworten sucht: Woher kommt all das Leid auf der Welt? Wenn Gott die Menschen liebt, warum lässt er dann zu, dass so viele unschuldig sterben? Durch Krieg? Terror? Ein Unglück? Er erklärt es sich so: Gott ist das Gute. Das Böse entsteht, wenn wir uns von dem Guten abwenden; es steht außerhalb der Macht Gottes. „Auch wer nicht gläubig ist, kann gut leben“, sagt er. In der Bibel finde man die Antworten darauf, wie man ein besserer Mensch wird. Der Glaube gebe Hoffnung, in vielen Situationen Halt und eine Perspektive für die Ewigkeit. „Jeder Mensch sündigt, jeder Mensch lügt, jeder Mensch macht Fehler“, sagt Tobias Winterfeld. Aber seitdem er sich zu Gott bekannt habe, hinterfrage er regelmäßig sein Handeln.

Das Vermitteln positiver Werte, das liegt ihm auch in der Gemeindearbeit am Herzen. Er versucht den Jugendlichen klar zu machen: Jesus hat zwar deine Schuld auf sich genommen, er ist für deine Sünden gestorben, aber das heißt nicht, dass du dich ausruhen kannst. „Wenn man begriffen hat, dass es einen gibt, der dich liebt, dann möchte man ihn auch nicht enttäuschen.“

Gerade in Zeiten, in denen sich immer mehr Menschen von der Kirche abwenden, sei das Vermitteln positiver Werte besonders wichtig. Immer wieder stelle er fest, dass Jugendlichen ernsthafte Freunde fehlen, dass sich viele zwar im Internet austauschen, aber im direkten Gespräch das Reden verlernt haben. Dass Freundschaften schnell geschlossen, aber ebenso schnell wieder beendet werden. Dass Sex auch bei Jüngeren schon eine große Rolle spielt, aber die Liebe fehlt.

In der christlichen Gruppe sollen die Jugendlichen nachdenken: Was ist eine Beziehung wert? Wie stehe ich Konflikte aus? „Jeder ist frei zu entscheiden, ob er seinen Weg mit Gott gehen will. Aber ich sage immer: Probiert es einfach mal aus, ihr habt doch nichts zu verlieren! Wenn ihr Gott sucht, werdet ihr ihn finden. Und dann merkt man, wie man sich verändert. Positiv. Man wird wirklich ein besserer Mensch.“

Ein besserer Mensch durch Gott? Andreas Härdter schüttelt den Kopf. Der Verleger stammt aus einem wenig religiösen Elternhaus, hat schon als Kind den christlichen Glauben hinterfragt. Warum soll er an Gott glauben? Niemand hat ihm darauf eine Antwort geben können. Mit 16 Jahren ist er aus der Kirche ausgetreten. „Nicht Gott hat den Menschen geschaffen, sondern der Mensch Gott“, sagt der Vechelder. Die Religion sei einst aus Angst und Unsicherheit der Menschen entstanden, aus der Sehnsucht, dass es doch einen Beschützer geben muss, weil man sich selbst nicht immer beschützen kann.

Der 61-Jährige sitzt im „Wirtshaus am Kohlmarkt“ in der Braunschweiger Innenstadt, einmal im Monat kommen hier die Mitglieder des „Internationalen Bundes der Konfessionslosen und Atheisten“ (IBKA) in unserer Region zusammen, um über Kirche und Religion zu diskutieren. Da ist zum Beispiel Dieter Werk, 69 Jahre alt, Zahnarzt in Braunschweig. Er kommt aus einem protestantischen Elternhaus, immer wieder stellt er sich als junger Mensch die Frage: Gibt es einen Gott? Was ist gut, was ist böse? Am Ende kommt Dieter Werk zu dem Schluss: Einen übergeordneten Sinn des Lebens gibt es nicht. Und wenn Gott den Menschen geschaffen hat und liebt, dann hat er ziemlich viele Fehler eingebaut. „Im Namen der Religion wurden Kriege geführt oder Hexen verbrannt, es wurde gefoltert und gemordet“, sagt er. Und dann der Missbrauch in den Kirchen – „es ist unglaublich, was im Namen der Religion toleriert wird“.

Auch Peter Ebert (81), der sich bis heute als Organist für verschiedene Religionsgemeinschaften ein Zubrot verdient und Martin Stiller (46) aus Braunschweig bezeichnen sich als Atheisten. Dem einen stieß die „Verlogenheit“ der Kirche zunehmend auf, der andere kam nie mit dem Glauben in Berührung. „Ich bin froh, dass ich im Verein Gleichgesinnte gefunden habe, die sich für eine Trennung von Staat und Kirche einsetzen“, sagt Stiller.

Tatsächlich sind es vor allem politische Ziele, für die sich die Mitglieder des IBKA stark machen. Sie verweisen auf das Menschenrecht der Religionsfreiheit. Damit dieses uneingeschränkt verwirklicht werden kann, müsse der Staat weltanschaulich-religiöse Neutralität üben: Er dürfe keinen Menschen wegen seiner religiösen oder nichtreligiösen Anschauungen bevorzugen oder benachteiligen, und er dürfe keine Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft privilegieren oder diskriminieren.

Daher sehen sie es kritisch, dass die Kirchen in Deutschland etwa vom Staat Subventionen erhalten, also aus den Taschen von allen Steuerzahlern, auch von Konfessionslosen oder Angehörigen religiöser Minderheiten. Oder dass kirchliche Einrichtungen vom allgemeinen Arbeitsrecht ausgenommen sind – mit nachteiligen Folgen für viele Arbeitnehmer. Oder dass es immer noch Religionsunterricht an staatlichen Schulen gibt.

Aber auch auf moralischer Ebene dient ihrer Ansicht nach der christliche Glaube nicht als Kompass. „Du sollst keine Götter haben neben mir“, sagt Petra Bruns aus Hildesheim. Dieses Gebot widerspreche doch dem Grundrecht der Religionsfreiheit.

Dieter Werk nennt ein weiteres Beispiel. „Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren – doch was ist, wenn mein Vater ein Tyrann wäre?“ Die anderen nicken. Der mündige Mensch verhalte sich heute eher aus der Einsicht in die Notwendigkeit menschlich gegenüber anderen, und nicht aufgrund von Geboten, Belohnungen oder Drohungen – schon gar nicht, wenn diese einer imaginären Autorität in den Mund gelegt werden. „Wir sind soziale Wesen“, sagt Petra Bruns. „Wir haben Gesetze, die unser Miteinander regeln. Diese müssen nicht religiös begründet werden.“