Braunschweig. Die Sportart hat sich in den vergangenen Jahren radikal verändert. Eintrachts Ex-Star Bernd Gersdorff ist aber Fan geblieben.

Über die 400 000 Mark, die Bayern München damals für Bernd Gersdorff als Ablöse bezahlte, würde man heute nur lachen. Für so eine Summe wechseln manchmal inzwischen schon nur halbwegs talentierte Jugendspieler den Verein. Doch im Jahr 1973 war das noch anders. „Es gab damals in Deutschland klare Regeln, wie viel maximal für einen Spieler bezahlt werden darf. 750 000 Mark war die Höchstsumme für einen Wechsel“, erzählt Gersdorff. Deshalb war er mit seinen 400 000 Mark fast so etwas wie ein Top-Transfer seiner Zeit.

Er gehörte bei Eintracht Braunschweig ja immerhin zu den Leistungsträgern. Und auch, wenn das Abenteuer Bayern München nach nicht einmal einem halben Jahr vorbei war (Gersdorff absolviert zwar fast alle Spiele, fühlte sich von Trainer Udo Lattek aber nicht ausreichend gewürdigt), tat das seiner Karriere keinen Abbruch. 1975 lief der heute 70-Jährige sogar einmal für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft auf. Heute würde für einen solchen Mann ein zweistelliger Millionenbetrag gefordert – in Euro versteht sich.

2017 sind Spieler nicht nur wegen der astronomischen Ablösesummen, die für sie gezahlt werden, oder der dicken Gehaltsschecks, die sie erhalten, anders. Cristiano Ronaldo, Neymar und Co. sind globale Marken und Werbe-Ikonen. Auf dem Platz verzaubern sie die Fans mit ihren Tricks und lassen Gegner mit Finten aussteigen, doch außerhalb des Spielfeldes gelingt es ihnen kaum, an einer möglichen Einnahmequelle vorbeizudribbeln. Ob Schuhe, Shampoo, Autos oder zuckerhaltige Erfrischungsgetränke – es gibt wenig, für das die Multimillionäre in den Fußballschuhen nicht ihr Gesicht und ihren guten Namen hergeben würden.

Topstar Ronaldo hat es besonders weit getrieben. Sein Kürzel CR7, zusammengesetzt aus den Initialen seines Namens und seiner Rückennummer, ist

eine der bekanntesten Marken der Welt. Es gibt eine CR7-Modelinie, eine CR7-Parfümserie und ein CR7-Museum. Um das Image des Portugiesen kümmert sich außerdem ein Heer von PR-Beratern, Medienassistenten und Social-Media-Mitarbeitern. Sie schreiben und posten im Namen des Weltfußballers auf Facebook und Instagram. Und seine Steuererklärung wird Ronaldo genauso wenig selber anfertigen, wie Neymar, der in diesem Sommer mit der Ablösesumme von 222 Millionen Euro für seinen Transfer vom FC Barcelona zu Paris St. Germain einen neuen Weltrekord an Ablöse aufgestellt hat. Von so einer Entwicklung wagte man im Sommer 1973, als Gersdorff Eintracht in Richtung München verließ, nicht einmal zu träumen. „Der Fußball hat eine unglaubliche Veränderung durchgemacht. Vor allem in den vergangenen zehn Jahren hat es eine regelrechte Explosion gegeben“, sagt Gersdorff, der nach der aktiven Karriere unter anderem Konzernsprecher der Salzgitter AG war.

Der Startschuss dieser Entwicklung habe aber bereits ein paar Jahre früher stattgefunden. „In Deutschland hat das mit dem Einstieg des Privatfernsehens in die Fußballübertragung in den 90er Jahren begonnen. Danach ist Fußball auch bei uns immer mehr zu einem Produkt geworden. Andere Länder wie Italien und Spanien waren damals schon weiter“, berichtet Gersdorff.

Dadurch habe sich besonders das Drumherum komplett verändert. „Zu meiner Zeit sind die Menschen ins Stadion gegangenen, um sich einfach den Sport anzusehen. Heute ist Fußball auch ein gesellschaftliches Ereignis“, sagt der Ex-Profi. Das zeige sich sowohl an dem großen Interesse der Wirtschaft an dem Sport, als auch an den Choreographien der Fans, die es früher in dieser Form nicht gegeben habe.

Einen Vorgeschmack auf all das habe er bereits Ende der 70er Jahren erhalten, als er nach seiner Zeit bei Eintracht Braunschweig für eineinhalb Jahre in die USA wechselte. Zu dieser Zeit spielten auch die deutschen Stars Franz Beckenbauer und Gerd Müller, die in dem halben Jahr in München Gersdorffs Kollegen waren, ebenfalls in den Vereinigten Staaten. „Dort war das Verständnis von Sport schon immer ein anderes als bei uns. Die Klubs waren Unternehmen mit einem Besitzer und keine Vereine wie bei uns. Sport war in den USA schon immer Business“, sagt Gersdorff. Mit allem, was dazugehört: Trotz Beckenbauer und Pelé war das sportliche Niveau überschaubar, doch es gab Glitzer-Werbung, Show und in der Halbzeit den Auftritt der Cheerleader-Gruppe. „Wenn ich Franz oder Gerd dann mal getroffen habe, haben wir uns darüber unterhalten, ob so etwas bei uns in Deutschland auch bald kommt. Das konnten wir uns damals aber nicht vorstellen“, so der ehemalige Stürmer.

Doch auch die deutschen Vereine konnten sich der weltweiten Entwicklung zu mehr Show und Unterhaltung nicht komplett verschließen. Zwar wird bei einem Auftritt von Schlagersängerin Helene Fischer wie beim DFB-Pokal-Finale in diesem Jahr in Berlin auch mal fleißig gepfiffen, ansonsten hat die Kommerzialisierung aber auch bei uns Einzug gehalten. Und Eintracht Braunschweig war dafür in gewisser Weise Vorreiter. Immerhin waren es die Blau-Gelben, die als erste Mannschaft der Bundesliga mit einem Trikotsponsor aufliefen. Das Hirsch-Emblem von Jägermeister auf der Löwenbrust schrieb Geschichte und ist heute Kult. Gersdorff war dabei, als die Eintracht das erste Mal in diesen Trikots auflief. „Der damalige Jägermeister-Chef Günter Mast war ein Pionier und hatte damit für die damalige Zeit eine überragende Marketing-Idee gehabt“, sagt er.

Vielleicht betrachtet er auch deshalb viele aktuelle Entwicklungen im Fußball eher nüchtern, weil er schon in seiner aktiven Zeit mit so innovativen Ideen konfrontiert wurde. Ein Fußball-Romantiker ist Gersdorff nicht, obwohl es zu seiner aktiven Zeit noch selbstverständlich war, dass die Startelf die Trikots mit den Nummern 1 bis 11 trug und ein Kader noch nicht aus 25 Spielern bestand. „Der Fußball ist auch immer ein Ausdruck des Zeitgeists. Und so wie der sich insgesamt verändert hat, hat sich auch der Fußball verändert“, sagt Gersdorff.

Eines sei allerdings gleich geblieben: „Fußball war und ist ein einfaches Spiel – manchmal sogar einfacher, als man denkt“, meint der langjährige Bundesliga-Spieler. Deshalb sieht er die „Verwissenschaftlichung“ der Sportart doch etwas skeptisch. Alle würden über Fußball diskutieren, als würde es sich um etwas hoch Komplexes handeln und als würde die Entscheidung, ob eine Dreier- oder Viererkette aufläuft, einer Glaubensfrage gleichkommen. Da würden alle mitmachen: Fans, Medien, aber auch die Trainer, die für Gersdorffs Geschmack manchmal etwas zu viel dozieren würden. Zu seiner Zeit nahm eine Mannschaft das Schicksal manchmal noch selbst in die Hand. „Wir hatten einen Trainer und vielleicht noch einen Co-Trainer, und die haben im Training manchmal nur an der Mittellinie gestanden und zugeschaut“, sagt er und lacht. Inzwischen gehören mehrere Assistenten, Torwart-Trainer, Physiotherapeuten und Ernährungsberater zu jedem Trainer-Team.

Mit einem Übungsleiter wie dem ehemaligen Bayern-Coach Pep Guardiola hätte Gersdorff wohl so seine Probleme gehabt. Immerhin steht der Spanier wie kein Zweiter für das permanente Coaching an der Seitenlinie. Wer den Taktikfuchs beobachtet, wie er im feinsten Zwirn wild gestikulierend seine Spieler auf den Platz orchestriert, kann sich nicht vorstellen, dass die noch einen Laufweg absolvieren, der nicht mit dem Trainer abgesprochen ist.

Doch Gersdorff ist sich sicher: „Ich denke, dass man als Spieler auch einen Guardiola irgendwann nicht mehr so wahrnimmt, wie der sich das vielleicht wünscht.“ Jede Mannschaft entwickele auf dem Platz ein eigenes Gefühl dafür, was die richtige Entscheidung sei und wem man in einer entscheidenden Phase am besten den Ball zuspielen sollte.

Doch die Guardiolas können Gersdorff genauso wenig den Spaß am modernen Fußball nehmen wie immer kompliziertere Anstoßzeiten und immer neue TV-Sender. „Dann sehe ich eben nicht mehr das Freitagsspiel der Bundesliga“, erklärt er achselzuckend, „ich interessiere mich zwar sehr für Fußball und die Liga, die Spiele von Eintracht Braunschweig sind mir heilig.“ Es würde für ihn auch noch anderes im Leben geben. Ist ja alles nur ein Spiel mit ein bisschen Show. Fast so wie früher.