Braunschweig. Neidforscher Jan Crusius erklärt, warum es gut sein kann, dass sich Menschen ständig miteinander vergleichen und wann ein Vergleich zu Missgunst wird.

Neid ist ein Thema seit Adam und Eva. Deren Sohn Kain wurde aus Neid zum Mörder. Er erschlug seinen Bruder Abel, weil Gott dessen Opfergaben vorzog. Im Christentum zählt Neid deshalb zu einer der sieben Todsünden.

Der Sozialpsychologe Jan Crusius von der Universität Köln ist überzeugt, dass dieses Gefühl tief ins uns verankert ist. In einer Studie fanden er und sein Kollege Thomas Mussweiler heraus, dass Neid nicht nur in Situationen auftaucht, die wichtig für unser Selbstbild sind. Auch banale und unbedeutende Dinge können das Gefühl in uns hervorrufen. So gelang es ihnen, die Testpersonen allein dadurch neidisch aufeinander zu machen, dass sie ihnen unterschiedliche Süßigkeiten reichten. Diejenigen, die nur einen trockenen Keks bekamen, wurden neidisch auf ihre Konkurrenten, die einen Schokoriegel erhielten. Mit Jan Crusius sprach Katrin Schiebold.

Der Schokoriegel des anderen, das Auto vom Nachbarn, das Gehalt des Kollegen, das schicke Kleid der Freundin – warum wollen Menschen genau das, was ein anderer besitzt?

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Das Vergleichen mit anderen ist in uns angelegt. Wir sind soziale Wesen und vergleichen uns ständig miteinander: Einer ist schneller im Sport, ein anderer erfolgreicher im Beruf. Wenn es sich um Dinge handelt, die uns wichtig sind, kann das unangenehme Emotionen auslösen – und das ist der Neid.

Schon Kinder sind neidisch – etwa auf das Spielzeug, das ein anderes Kind besitzt. Ist der Neid angeboren oder eher eine Emotion, die erst im sozialen Miteinander entsteht?

Tatsächlich gibt es Anhaltspunkte dafür, dass Neid etwas Universelles ist, in allen Kulturen vorkommt. Viele Argumente sprechen dafür, dass er in uns angelegt ist. Es gibt aber Faktoren, die den Neid beeinflussen: Was uns wichtig ist, kann sich von Jahr zu Jahr ändern. Das Bedürfnis, ein bestimmtes Auto oder Gadget zu besitzen, entwickelt sich auch mit der Mode. In der Regel geht es um Dinge, die mit sozialem Status zu tun haben, die in unserer sozialen Umgebung wertgeschätzt werden.

Wann sind Menschen besonders neidisch?

Wie gesagt, es geht meist um Dinge, die uns besonders wichtig sind. Wenn ich mir das Ziel gesetzt habe, besonders erfolgreich zu sein im Beruf oder im Sport und ich treffe auf jemanden, der besser ist als ich, kann das selbstverständlich wehtun. Meist handelt es sich im Vergleich um Menschen, die uns sehr ähnlich, sehr nahe sind. Ich messe mich nicht so sehr mit einem Leistungssportler, wenn ich als Hobbysportler unterwegs bin. Und ich vergleiche mich eher mit dem Nachbarn als mit einem Prominenten, der mit meiner Lebenswelt nichts zu tun hat.

Es gibt auch Unterschiede zwischen den Menschen: Einige sind neidischer als andere. Leute, die sich viel mit anderen vergleichen, neigen mehr zum Neid.

Welche Faktoren begünstigen denn Neid?

Eine gängige These ist, dass Menschen mit einem niedrigen Selbstwertgefühl eher neidisch sind. Doch das ist nicht unbedingt der Fall. Einigen Menschen ist es sehr wichtig, erfolgreich und besser zu sein als andere – ihnen tut es mehr weh, wenn sie das nicht sind. Das können Menschen mit einem sehr großen Selbstbewusstsein sein. Unsere Forschung hat sogar gezeigt, dass Menschen, die extrem selbstverliebt sind und sich in vielen Bereichen überlegen fühlen, besonders neidisch sind.

Wie wirkt sich Neid aus? Kann er auch ein positiver Motivator sein, eine Antriebskraft, voranzukommen?

Die neuere Forschung legt nahe, dass es verschiedene Formen des Neides gibt. Die Ausgangssituation ist dieselbe: Ich sehe jemanden, der besser ist als ich und das motiviert mich, den Unterschied auszugleichen. Das kann ich auf zwei Wegen tun: Entweder ich versuche der anderen Person zu schaden – und sei es, sie mental schlecht zu machen, ihre Erfolge kleinzureden. Das ist der bösartige Neid, die Missgunst. Oder ich versuche, zur anderen Person aufzuschließen, sie als Vorbild zu sehen und mich mehr anzustrengen. Das nennen wir den gutartigen Neid.

Er ist nicht unbedingt positiv in dem Sinne, dass er sich gut anfühlt. Er kann auch sehr schmerzhaft sein. Aber er ist in diesem Fall nicht unbedingt mit dem Streben verbunden, anderen Personen zu schaden.

Tatsächlich kann der gutartige Neid ein großer Motivator sein: Wir haben Läufer befragt, die am Kölner Marathon teilgenommen haben. Wer angab, häufiger im gutartigen Sinne neidisch zu sein, hat sich im Wettstreit höhere Ziele gesetzt und war am Ende auch schneller.

Was bestimmt denn, ob man eher zum bösartigen oder zum gutartigen Neid neigt?

Es gibt Anzeichen, dass Menschen mit einem niedrigen Selbstwertgefühl etwas häufiger zu dem bösartigen Neid neigen. Wobei Ursache und Wirkung nicht ganz klar sind: Verringert die Emotion auch das Selbstwertgefühl oder ist es umgekehrt?

Grundsätzlich ist entscheidend, wie viel Kontrolle man über ein Ergebnis hat und ob man es gerecht findet. Wer überzeugt ist, dass ein anderer etwas nicht verdient hat, neigt eher zu Missgunst. Umgekehrt, wenn man zum Beispiel einen Sportler bewundert und genauso gut sein will er, kann das ein Motivator sein.

Gerade in unserer Region mit der Nähe zu Volkswagen erleben wir immer eine Diskussion über Managergehälter. Viele finden sie unangemessen hoch. Inwiefern ist da auch Neid im Spiel?

Das ist schwer zu sagen. Es ist in diesem Zusammenhang zwar häufig die Rede von einer Neiddebatte, aber wenn man die Menschen direkt fragt, sprechen sie in der Regel nicht von Neid, sondern sagen: Wir finden das empörend.

Geld spielt bei Vergleichen eine große Rolle und ich will nicht ausschließen, dass Neid aufkommt, wenn jemand auf einer anderen Ebene mehr verdient als ich. Aber grundsätzlich fühlen wir eher Neid, wenn eine direkte Vergleichbarkeit gegeben ist: Also Herr XY ist auf dieselbe Schule gegangen wie ich und lebt im Nachbarort. Er hat es zum Manager gebracht und ich nicht.

Das Interessante an der Debatte ist in meinen Augen aber der Unterschied in der Perspektive. Was für die einen bloßer Neid ist, ist für die anderen das völlig gerechtfertigte Anprangern von Ungerechtigkeit.

Die Gesellschaft ist in einem schnellen Wandel – ändert sich damit auch der Neid?

Es gibt Hypothesen, dass soziale Netzwerke im Internet Neid begünstigen können. Bei Facebook oder Instagram posten die Nutzer positive Dinge, sie stellen sich selbst oft im besten Licht dar. Wer das sieht, könnte mit Neid reagieren. Zum Teil gibt es Daten, die dafür sprechen: Wer die sozialen Netzwerke viel und passiv nutzt, für den könnte das negative Auswirkungen haben.

Allerdings sind auch hier Ursache und Wirkung noch nicht richtig geklärt: Neigen Menschen mit einem niedrigen Selbstwertgefühl eher zu einem passiven Facebook-Konsum und sind neidisch auf die Leute, die sie da sehen oder hat Facebook selbst einen negativen Einfluss auf diese Menschen? Das ist nicht einfach zu sagen.

Den Deutschen wird oft nachgesagt, ein Volk von Neidern zu sein: Die Menschen in den neuen Bundesländern blicken auf die Menschen im Westen, weil sie zum Teil höhere Löhne bekommen; im Westen schaut man auf den Solidaritätszuschlag im Osten. Es gibt viele Beispiele. Ist es tatsächlich treffend, von einer Neidgesellschaft zu sprechen?

Es gibt bislang keine Erhebungen dazu. Aber mein Eindruck ist, dass es auch hier vor allem darum geht, wie wir in unserer Gesellschaft Gerechtigkeit aushandeln und debattieren. In anderen Nationen gibt es das genauso: In den USA zum Beispiel läuft die Diskussion um eine Reform des Gesundheitssystems. Die Demokraten sagen, dass sie eine größere Umverteilung anstreben. Die Republikaner sprechen von einer Neid-Politik. Inwiefern aber wirklich Neid im Spiel ist, lässt sich nur schwer beurteilen.