Helmstedt. Hier ist noch einmal die Geschichte von Helga Anders und der Helmstedter Kilometertafel am Magdeburger Tor.

Bis nach Eydtkuhnen im früheren Ostpreußen sind es 936 Straßenkilometer. Das weiß doch jeder Helmstedter? Sagen wir so: Es könnte jeder wissen. Schließlich gibt es die große Entfernungstafel am Magdeburger Tor, Ecke Beendorfer. Der städtische Betriebshof hat nach unserem Bericht über die übermalte Kilometerangabe vor einigen Tagen sofort reagiert. Mitarbeiter griffen zu einem Schmutzbeseitigungsmittel und machten die Zahl 936 wieder sichtbar.

Muss die Zeitung so viel Aufhebens davon machen? Wen interessiert schon die Entfernung nach Eydtkuhnen? Sagen wir so: Das Wissen darum kann nicht schaden. Und es ist auch nicht so unbedeutsam, wie der flüchtige Blick vielleicht suggeriert. Denn Helmstedt und Eydtkuhnen verbindet mehr als eine dreistellige Kilometerzahl. Es geht um persönliche Schicksale und Lebensgeschichten. Um Menschen, die einst im Raum Eydtkuhnen lebten und später dann im südöstlichen Niedersachsen Wurzeln schlugen. Später, das heißt nach dem Zweiten Weltkrieg. In diesem Krieg gingen Ost- und Westpreußen verloren und Hunderttausende mussten die Flucht ergreifen. Einige von ihnen verschlug das Schicksal nach Helmstedt.

Helga Anders (82) stammt aus Ostpreußen. Sie kam Mitte der 60er Jahre, nach einer „Wanderschaft durch Niedersachsen“, wie sie uns erzählt, nach Helmstedt. Sie ist aktuell die Vorsitzende der örtlichen Landsmannschaft der Ost- und Westpreußen – möglicherweise die letzte. „Wir werden uns in diesem Jahr treffen und dann entscheiden, ob die Landsmannschaft in Helmstedt aufgelöst wird“, sagt Anders. Das könnte damit zu tun haben, dass sie als Motor der Gruppe seit einigen Monaten gar nicht mehr in Helmstedt lebt. Aus Gesundheitsgründen musste sie im reifen Seniorenalter noch einmal „auf Wanderschaft“ gehen, nach Cuxhaven. Der Seeluft wegen. „Mein Autokennzeichen HE werde ich aber behalten“, verspricht die 82-Jährige.

Verbundenheit ist halt ihr Ding. Mit Helmstedt, na klar. Aber eben auch mit der alten Heimat – das ist Ostpreußen. Wer nie von irgendwo vertrieben worden ist, aus welchem Grund auch immer, der wird das damit verbundene Verlustgefühl womöglich mit einem Achselzucken quittieren. Für Helga Anders und viele ihrer Landsleute kam ein Vergessen nie in Frage. 2017 hat sie zuletzt die Stätte ihrer Kindheit besucht, die lag 50 Kilometer entfernt von Trakehnen, dem berühmten Gestüt. Für sie sind solche Reisen Erinnerungsarbeit. Die hat sie auch in Helmstedt betrieben. Durch ihr Engagement für die Kilometertafel am Magdeburger Tor, die an Helmstedts Lage an der alten Reichsstraße 1 erinnert. Die endete – aufgepasst ! – in Eydtkuhnen.

Die Vorgängertafel aus Holz, in den 50er Jahren errichtet, musste direkt nach der deutschen Wiedervereinigung der Verbreiterung der Bundesstraße 1 weichen. Helga Anders und zahlreiche Mitstreiter kämpften dafür, dass ein Nachfolgerschild aufgestellt wurde. Das wurde 2014 renoviert – wieder auf Betreiben von Helga Anders.

Schon komisch, was die Geschichte mit uns macht. Oder machen kann.