Lost Place: Das unübersehbarste Geheimnis im Kreis Gifhorn
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Von Christian Franz
Barwedel. Das trieb die Bundeswehr bis 1995 in dem streng bewachten Turm. Und das spielt sich heute hinter den hohen Betonmauern ab.
Wehrhaft, abweisend, geheimnisvoll: So steht der frühere Bundeswehr-Horchposten in Barwedel im Kreis Gifhorn bis heute auf dem Funkberg mitten im Dorf. Noch immer umgibt den fast 70 Meter hohen abhörsicheren Betonturm die Atmosphäre des Kalten Krieges und ja, auch ein zugiger Hauch von Spionage.
Von 1976 bis kurz vor Übergabe der Liegenschaft an die Gemeinde 1995 nutzte die Bundeswehr den Turm als Horchposten, um in der damaligen DDR die Aktivitäten von Nationaler Volksarmee und russischen Besatzungstruppen auszuspähen. Dafür war kein Aufwand zu hoch.
Lost Place: Das unübersehbarste Geheimnis im Kreis Gifhorn
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Die aus heutiger Sicht antiquierte Funktechnik nahmen die Soldaten der Fernmeldekompanie 945 bei Abzug natürlich mit. Doch was sie zurückließen, spricht Bände über die
Furcht im Kalten Krieg
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und den Argwohn, mit dem die Bundeswehr dem unberechenbaren Gegner im anderen Deutschland begegnete.
Ein vergleichbarer Turm bei Kassel ist längst gesprengt
Die Schlüsselgewalt liegt heute in den Händen der Bürgermeisterin Melanie Meinecke. Ihr Gemeindebüro liegt gar nicht weit weg oben auf dem Funkberg. Den gemeindeeigenen Lost Place hat sie immer im Blick. Vor allem als Aufgabe, denn nach beinahe 30 Jahren in Gemeindebesitz stellt sich zunehmend die Frage nach dem Erhaltungsaufwand und dem Nutzungszweck. Eine nahezu baugleiche Anlage auf dem Hohen Meißner bei Kassel wurde 2002 gesprengt.
In Barwedel nutzen Mobilfunkbetreiber den prominenten Standort als ideale Basis für ihre Antennen. Doch die kommunale Nutzung der doch eher frugalen Räume beschränkt sich mehr oder weniger auf Materiallager von Theaterverein, DLRG oder Feuerwehr. Dabei haben die ehemaligen Kommandantenräume sogar eine Art Holzvertäfelung im Stil der 1970er Jahre.
Wer im Turm stöbert, stößt auf High-Tech der Vergangenheit. Ein riesiger Dieselmotor war als Notstromaggregat bei Netzausfall vorgesehen. „Als wir mal einen großen Stromausfall in Barwedel hatten, sprang der plötzlich an“, erinnert sich Bürgermeisterin Meinecke. „Jetzt ist zum Glück der Tank leer.“ Eine riesige Belüftungsanlage sorgte für die Frischluft für die Soldaten. Denn die abhörsicheren kleinen Fenster blieben zu. Immer. Und damit nicht noch jemand an der Scheibe lauschte, gab es eine Art Fliegengitter. Das feinmaschige Drahtnetz sollte Funkwellen unterbrechen.
Ein großer Ölbrenner bollert bis heute in den Katakomben. „Den fassen wir auch erst an, wenn wir wissen, was wir mit dem Turm machen“, setzt Meinecke darauf, dass er noch ein paar Jahre durchhält.
Auf der Arbeitsebene lauschten Soldaten im Dreischichtbetrieb gen Osten
Oben im Sockelgebäude ist eine Art Großraumbüro. Auf der Arbeitsebene befanden sich die vier Funktionsbereiche, in dem Soldaten im Dreischichtbetrieb rund um die Uhr Funksignale aus der damaligen DDR abfingen. Tastfunkempfang für abgehörte Morsesignale. Sprachfunkempfang für zumeist russischsprachige Funksprüche. Eine Peilzentrale, um die beweglichen Antennen des Turms optimal auszurichten, auch in Abstimmung mit benachbarten Türmen bei Uelzen und im Harz. Und schließlich eine erste Auswertung der aufgezeichneten und handschriftlich dokumentierten Signale. Bürgermeisterin Melanie Meinecke spricht heute vom „Krypto-Raum“.
Ausgerichtet wurden die Antennen mit einer bis heute erhaltenen riesigen Feinmechanik außen am kreisrunden Turm.
Innen im Turm überrascht ein gefliester Raum, der aussieht wie eine Waschküche. „Die Aktenvernichtung“, weiß Meinecke. Tatsächlich: Geheime Unterlagen wurden nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist nicht geschreddert, sondern zu Papierbrei aufgeweicht.
Draußen war alles streng bewacht, auch das Instandhaltungsgebäude, das wiederum für normale Soldaten tabu war. Der hohe Maschendrahtzaun mit Stacheldraht steht bis heute, die Torschleuse auch. Und ja, auch der Hundezwinger für scharf abgerichtete Wachhunde.
Barwedels Lost Place ist heute das unübersehbarste Geheimnis des Landkreises Gifhorn. Und zugleich ein Mahnmal gegen aufkeimende Kriegshysterie.
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