Leiferde. Bilanz für das Jahr 2022: Zahl der Singvögel sinkt deutlich, das zeigt sich auch in den Pflegezahlen. Die Gründe bereiten dem Nabu große Sorgen.

Acht Jahre lang kannte die Zahl der Pflegetiere im Nabu-Artenschutzzentrum in Leiferde im Kreis Gifhorn nur einen Weg: nach oben. Erstmals weist die Bilanz für das vergangene Jahr mit 3764 Tieren einen geringeren Wert auf als im Vorjahr (4185). Ein Grund zur Freude, dass weniger Wildtiere die Hilfe der Pfleger brauchen? Mitnichten, sagt die Leiterin Bärbel Rogoschik, sondern eine neuer Ausdruck des Klimawandels.

Joachim Neumann und Bärbel Rogoschik bei der Veröffentlichung der Bilanz für 2022, im Hintergrund filmt ein Kamerateam des NDR.
Joachim Neumann und Bärbel Rogoschik bei der Veröffentlichung der Bilanz für 2022, im Hintergrund filmt ein Kamerateam des NDR. © Reiner Silberstein

„Wir sind in Sorge“, sagt Rogoschik. Denn die gestiegenen Zahlen der vergangenen Jahre hätten in erster Linie bei den Singvögeln stattgefunden. Die Menschen brachten dem Nabu immer mehr halb verhungerte Jungtiere. Der Futtermangel unter den Vögeln habe zugenommen, weil es einen Insektenschwund gebe – nicht zuletzt durch die zunehmende Trockenheit.

Nun aber sei eine neue Entwicklung festzustellen: Die Nahrungsknappheit habe bereits dafür gesorgt, dass die Zahl der Reproduktionstiere abgenommen hat: weniger Eier, weniger hungernde Jungtiere. „Wir haben also einen Punkt erreicht, an dem die Population abnimmt“, sagt Projektleiter Joachim Neumann. Ergo: Singvögel befinden sich auf einem absteigenden Ast. Das korreliert auch mit allgemeinen Vogelzählungen des Nabu. Die am häufigsten in Leiferde aufgenommenen Singvögel waren Haussperlinge (390), Amseln (214), Mehl- (183) und Rauchschwalben (104).

Bürger können Vögel mit einfachen Mitteln unterstützen

Den Klimawandel kann der einzelne Bürger nicht aufhalten, aber jeder könne etwas für die Unterstützung der Vögel tun, sagt die Leiterin und appelliert, mitzudenken: „Zum Beispiel den eigenen Garten vernünftig gestalten und nicht jede Blattlaus bekämpfen. Es darf auch ruhig eine wilde Ecke stehenbleiben!“ Auf keinen Fall sollten Gelbtafeln und Leimringe gegen Insekten eingesetzt werden oder Obstbaumnetze – daran könnten Vögel zu Tode kommen.

Vögel, die unter dem Dach nisten wie Mauersegler und Mehlschwalben, haben es noch schwerer bei den zunehmenden Hitzewellen: „Die springen bei 40 Grad lieber nackt aus dem Nest, als zu sterben“, so die Leiterin. Vergangenes Jahr seien Dutzende Mauersegler aus Watenbüttel gebracht worden, die auf der Straße lagen. Abhilfe schafften hochwertigere Nistkästen: Dickeres Holz isoliere besser gegen die Sonneneinstrahlung.

Vielen Säugetiere, von denen das Artenschutzzentrum vergangenes Jahr 583 aufgenommen hat, geht es offenbar ähnlich wie den Singvögeln: Unterernährung aus Mangel an Insekten. Denn deren Aufnahmezahl sei um 96 gesunken. Am häufigsten waren Igel (352), aber auch 19 Siebenschläfer, die bei Bauarbeiten am Bahndamm bei Cremlingen gerettet wurden. Sieben Wildkatzen wurden irrtümlich „zur Rettung“ in Leiferde abgegeben, sechs sind schon wieder ausgewildert.

Störche ernähren sich vermehrt auf Mülldeponien

Auf dem ersten Blick geht es den Störchen in unserer Region besser: „Deren Bestand bewegt sich auf einem guten Level“, so Rogoschik. Sorgen bereite ihr und Neumann dagegen, wohin diese Tiere mittlerweile fliegen, um sich zu ernähren: zu den Mülldeponien wie in Braunschweig und Wolfsburg – ebenfalls wohl ein Ergebnis der Trockenheit. Dort fänden Störche nicht nur Abfälle, sondern auch Kleintiere wie Mäuse und Ratten. Weniger gut für die Verdauung seien allerdings die Beilagen: Plastikteile – eine viel verbreitete Todesquelle. „Manche Tiere müssen operiert werden.“ Ein Rätsel stellen noch Gummiringe dar, mit denen häufig die Mägen der Störche gefüllt seien. Der Nabu habe als Quelle auch den Gemüseanbau im Verdacht.

Drei junge Schwarzstörche hat Leiferde derzeit aus Schleswig Holstein in der Obhut – deren Vater hatte sich in einem Netz verheddert und die Mutter sei nicht in der Lage gewesen, die Jungtiere allein durchzubringen. Neumann: „Wir haben nur noch 50, 60 Paare in ganz Niedersachsen.“

Ausgewilderte Sumpfschildkröte hat erstmals Nachwuchs

Keinen zusätzlichen Platz hat das Artenschutzzentrum für exotische Tiere. Neben 17 Papageien seien 584 Reptilien gepflegt worden, davon allein 329 europäische Sumpfschildkröten. Rogoschik: „Bei den Reptilien sind wir beim Maximum. Wir fordern seit 20 Jahren einen Nachweis für die Haltung solcher Tiere.“ Aber nach wie vor dürfe man sich legal ein Faultier bestellen – den Preis zahle hinterher die Allgemeinheit. 137 exotische Tiere waren 2022 offenbar ausgesetzt worden.

Es gibt aber auch Erfolgsmeldungen: Erstmals hat eine Sumpfschildkröte, die 2016 am Steinhuder Meer ausgewildert wurde, dort nachgewiesenermaßen auch Nachwuchs gehabt. Und ein 2007 ausgewilderter Mäusebussard ist erst jetzt bei Rügen als verendet gemeldet worden. „Das hält uns am Leben“, sagt Rogoschik, „Auswilderung bringt etwas. Die Tiere sind tatsächlich fit für die Natur.“

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