Braunschweig/Wolfenbüttel. Die 12-Jährige wurde 1977 in ihrem Elternhaus in Sickte getötet. Viele Anrufe nach Zeugenaufruf in „Aktenzeichen XY... ungelöst“.

Wird der Mordfall Heike Wiatrowski nach fast 47 Jahren doch noch aufgeklärt? Im Fall der 1977 in Sickte getötenen Zwölfjährigen hat die Staatsanwaltschaft Braunschweig jetzt 5000 Euro Belohnung für Hinweise ausgelobt, die zur rechtskräftigen Verurteilung des Täters führen. Mit einem Zeugenaufruf in der ZDF-Fahndungssendung „Aktenzeichen XY - ungelöst“ hat sich die Ermittlungsgruppe Cold Case der Braunschweiger Polizei am Mittwoch Abend außerdem noch einmal an die Öffentlichkeit gewandt.

Zuschauer von „Aktenzeichen XY“ will Belohnung erhöhen

Ein Fall, der die Zuschauer emotional bewegte. Noch während der Sendung meldete sich ein Zuschauer, der ankündigte, die Belohnung erheblich erhöhen zu wollen.

„Weil Mord nichtverjährt, werden jetzt erneut Zeugen und Hinweise zu sichergestellten Gegenständen gesucht“, heißt es in einer aktuellen Presseerklärung der Staatsanwaltschaft. Wie Polizeisprecher Lars Dehnert mitteilte, gingen noch am Abend nach Ausstrahlung der Sendung zahlreiche Anrufe ein. „Die Angaben werden jetzt gesammelt und ausgewertet.“

Auch eine erstmals entdeckte DNA-Spur macht den Ermittlern neue Hoffnung. Dank eines neues Analyseverfahren habe an Tatwerkzeugen männliche DNA identifiziert werden können, spricht Nicole Nebendahl, Leiterin der zuständigen Ermittlungsgruppe Cold Cases der Polizeiinspektion Braunschweig, über neue Entwicklungen in dem Mordfall, der am 18. Februar 1977 das Dorf Sickte im Landkreis Wolfenbüttel erschüttert hatte.

Nach einer groß angelegten Polizeiaktion im vergangenen Jahr in Sickte, bei der rund 60 Polizeibeamte Flyer verteilten und Anwohner befragten, haben die Ermittler in „Aktenzeichen XY - ungelöst“ noch einmal ein größeres Publikum angesprochen. Wie Dehnert berichtet, hätten sich auch potentielle Zeugen gemeldet, die nicht in der Region leben.

Dass es Zeugen gibt, davon sind Nicole Nebendahl und ihr Team überzeugt.

Polizei Braunschweig glaubt über Fall aus Sickte: „Jemand hat etwas mitbekommen“

„Wir glauben fest daran, dass jemand etwas mitbekommen hat.“ Sei es blutverschmierte Kleidung an einer Person, Verletzungen vor allem an den Händen oder ein auffälliges Verhalten des Täters nach dem Mord – etwa ein plötzlicher sozialer Rückzug, Nervosität oder Einsilbigkeit.

Der Tatort: Das damalige Elternhaus von Heike Wiatrowski im Ortsteil Niedersickte
Der Tatort: Das damalige Elternhaus von Heike Wiatrowski im Ortsteil Niedersickte © Polizei Braunschweig | Polizei Braunschweig

Die zwölfjährige Heike war an jenem Freitag nach der Schule allein zu Hause. Die Sechstklässlerin besuchte die Mittelpunktschule in Sickte. Ihrer besten Freundin, die sie nach Schulschluss um 13 Uhr ein Stück begleitet hatte, hatte sie gesagt, am Nachmittag ihre Großmutter in Braunschweig besuchen zu wollen. Ein Ablenkungsmanöver, um eine Verabredung mit der Freundin zu vermeiden? Erwartete Heike Besuch? Die Ermittler schließen nicht aus, dass das Mädchen, das als vorsichtig und zurückhaltend galt, ihren Mörder kannte und ins Haus ließ. Einbruchspuren fanden sich nicht.

Cold Case Heike Wiatrowski Thema in ZDF-Sendung - Stimme soll gesagt haben: „Ich höre jetzt auf“

Ein elfjähriger Nachbarjunge, der im Garten spielte, hörte – wie aus dem damaligen Polizeibericht hervorgeht – gegen 15 Uhr den Schrei eines Mädchens aus Richtung des Hauses. Als er aufblickte, sah er einen Schatten im Haus und eine hörte eine Stimme, die gesagt haben soll: „Ich höre jetzt auf.“ Dann, sagte er nach der Tat weiter aus, habe eine Tür geklappt. Er glaubte, die Stimme erkannt zu haben. Diese Aussage habe durch die objektive Spurenlage am Tatort aber nicht belegt werden können, auch nicht durch die aktuell gesicherten DNA-Spuren, so Nebendahl.

Als Heikes Eltern etwa eine Stunde nach dem vermeintlichen Schrei nach Hause kamen, merkten sie sofort, dass etwas nicht stimmte: Anders als üblich war das Schloss der Haustür zwar eingeschnappt, aber nicht abgeschlossen. Auf ihr Rufen hin reagierte niemand. Im Wohnzimmer fanden sie ihre Tochter – den Körper übersät mit Stichwunden und massiven Verletzungen durch stumpfe Gewalt. Heike war von ihrem Mörder niedergeschlagen und erstochen worden – ein Verbrechen, das sich über längere Zeit hingezogen haben muss. In mehreren Zimmern entdeckten Ermittler Spuren eines Kampfes.

Fall aus Sickte bei ZDF-Sendung Aktenzeichen XY: Täter ein Jugendlicher oder pädophiler Erwachsener?

Mit Unterstützung von Fallanalytikern des Landeskriminalamtes hat die Braunschweiger Ermittlungsgruppe Cold Cases die Tat Schritt für Schritt nachvollzogen und ein Täterprofil erstellt: Demnach handelt es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um einen Jugendlichen oder pädophil veranlagten Erwachsenen, der aus Sickte oder dem näheren Umfeld stammt und dort möglicherweise bis heute unentdeckt lebt. Der Täter, so ein weiteres Ergebnis der operativen Fallanalyse, hat das Verbrechen wahrscheinlich nicht geplant. Die Ermittler gehen von einer Eskalation aus. „Da ist etwas aus dem Ruder gelaufen.“

Ermittlungsansatz bei Aktenzeichen-XY-Fall aus Sickte: Hautschuppen an Fingerabdrücken gesichert

Ein aktueller Ermittlungsansatz: Fingerabdrücke, die 1977 am Tatort gesichert wurden, hat das Landeskriminalamt nach einem neuartigen Analyseverfahren, das erstmals in Niedersachsen angewandt wurde, ausgewertet. Wie Nebendahl erläutert, ist es gelungen, auf den sogenannten Fingerspurenkarten Hautschuppen sicherzustellen. Zwei Genspuren an unterschiedlichen Tatwerkzeugen stammten von einer männlichen Person.

Die Tote lag auf Verpackungspapier mit der Aufschrift „Gubello“. Wer kann zu einer solchen Verpackung Hinweise geben? 
Die Tote lag auf Verpackungspapier mit der Aufschrift „Gubello“. Wer kann zu einer solchen Verpackung Hinweise geben?  © Polizei Braunschweig | Polizei Braunschweig

In der Fahndungssendung „Aktenzeichen XY - ungelöst“ hofft die Ermittlungsgruppe ebenfalls auf neue Hinweise. Einige am Tatort sichergestellte Gegenstände, sagt Nicole Nebendahl, hätten bisher nicht zugeordnet werden können. Zum Haushalt der Wiatrowskis gehörten sie offenbar nicht. So eine Langspiel-Schallplatte mit dem Titel „Hammond and Lowrey for dancing“ (Hammondorgel instrumental). Sie lag auf dem Plattenspieler. Heike selbst hörte solche Musik nicht. Die Polizei fragt: „Kennt jemand eine Person, die 1977 mit dem Opfer in Kontakt gestanden oder es gekannt hatte und gern diese Art von Musik gehört hat?“

Die Polizei interessiert sich für die Herkunft dieses silberfarbenen Ringes mit Dehnfuge.  Das Foto stammt aus der damaligen Tatortbildmappe.
Die Polizei interessiert sich für die Herkunft dieses silberfarbenen Ringes mit Dehnfuge. Das Foto stammt aus der damaligen Tatortbildmappe. © Polizei Braunschweig | Polizei Brauschweig

Weitere Gegenstände geben der Polizei Rätsel auf: ein silberfarbener Ring mit Dehnungsfuge, ein himmelblauer Untersetzer mit Katzenmotiv (geschätzte Größe circa 6- 8 Zentimeter Durchmesser) und ein Stück Verpackungspapier mit der Aufschrift „Gubello“. Die Polizei fragt: „Sind jemandem mit örtlichem Bezug nach Sickte diese Gegenstände im Februar 1977 aufgefallen? Wenn ja, bei welcher Person bzw. in welchem Zusammenhang? Kennt jemand diese Sorte Verpackungspapier und kann dazu Angaben machen?“

Die Polizei fragt: Wer erkennt im Zusammenhang mit dem Mordfall Heike Wiatrowski einen himmelblauen Untersetzer mit Katzenmotiv. Er hat einen Durchmesser vorn ,  geschätzt 6 bis 8 Zentimeter.
Die Polizei fragt: Wer erkennt im Zusammenhang mit dem Mordfall Heike Wiatrowski einen himmelblauen Untersetzer mit Katzenmotiv. Er hat einen Durchmesser vorn , geschätzt 6 bis 8 Zentimeter. © Polizei Braunschweig | Polizei Braunschweig

Zeugen werden gebeten, sich mit der Ermittlungsgruppe Cold Cases in Verbindung zu setzen. Hinweise nimmt die Polizei Braunschweig unter Telefon 0531/476-2516 oder per E-Mail entgegen: coldcases@pi-bs.polizei.niedersachsen.de.

Ein Crime-Podcast zum Thema ist in unserer Reihe „Tatort Niedersachsen“ erschienen. In Episode 46 „Mord im Elternhaus – Cold Case Heike Wiatrowski in Sickte“ sprechen Nicole Nebendahl als Leiterin der Ermittlungsgruppe Cold Cases und der Fallanalytiker Heiko Steiner vom Landeskriminalamt Niedersachsen über ihre Suche nach dem Täter und die Methode der Operativen Fallanalyse.

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