Braunschweig. Zu wenig Fachkräfte, Lieferengpässe und laue Bezahlung: Apotheker wenden sich an Bundesminister Lauterbach. Heute ist bundesweiter Protesttag.

Heute wird nachgelegt, wie die Präsidentin der Apothekerkammer Cathrin Burs unserer Zeitung sagte: Am Mittwoch bleiben bundesweit viele Apotheken geschlossen – somit unter anderem auch in Braunschweig, Wolfsburg, Salzgitter oder Wolfenbüttel. Demonstrationen sind in Düsseldorf und Berlin geplant. Schon am Montag hatten Niedersachsens Apothekerinnen und Apotheker in Hannover protestiert. Heute folgt nun der Protesttag der Apotheken.

Apotheken-Streik: Deswegen legen die Apotheker Protesttag ein

Der Adressat ihrer Kritik, der sie am Streiktag der Apotheken Luft machen, ist Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Dieser müsse die seit Jahren geleisteten Mehrarbeit der Branche endlich angemessen honorieren, fordert Burs.

Die Broitzemer Apothekerin sitzt seit 2019 der Kammer vor. Seit zehn Jahren, so Burs, habe man keine Anhebung der Honorar-Leistungen erfahren. „Wir müssen uns wehren, bevor wir totgespart werden“, sagt sie.

Protesttag der Apotheken:Wo drückt der Schuh bei Niedersachsens Apothekern?

Cathrin Burs, Präsidentin der Niedersächsischen Apothekerkammer. Sie stammt aus Braunschweig und hat eine Apotheke in Broitzem
Cathrin Burs, Präsidentin der Niedersächsischen Apothekerkammer. Sie stammt aus Braunschweig und hat eine Apotheke in Broitzem © Apothekerkammer Niedersachsen | Daniel Moeller Fotografie

Fast alle Apotheken haben nach Angaben von Berufsverbänden Schwierigkeiten, genug Fachkräfte zu finden. Zudem kämpften sie mit einer sich immer mehr zuspitzenden Lieferengpass-Krise, beschreibt Berend Groeneveld, Vorstandsvorsitzender des Landesapothekerverbandes Niedersachsen, der dpa die Lage. Burs weist auch auf fehlende berufliche Perspektiven hin.

Apotheken-Streik am 14. Juni: Es geht um Bezahlung, Wertschätzung und Entwicklung

„Wir merken, dass wir in einem knallharten Wettbewerb mit anderen Arbeitgebern stehen. Es geht um bessere Bezahlung, um Wertschätzung, um Entwicklungsmöglichkeiten, aber auch um Work-Life-Balance, die immer bedeutsamer für die jungen Menschen wird.“ Der Apotheker-Nachwuchs meide nach erfolgreichem Studium immer öfter den Weg in die Selbstständigkeit.

„Heute eröffnen sich ganz andere Berufsfelder für die Absolventen. Die gehen in die Industrie, in Kliniken oder in die Verwaltung. Einige arbeiten für Krankenkassen oder Versicherungen“, so Burs mit Blick auf den Protesttag der Apotheken. Hier werde teilweise deutlich über Apotheken-Niveau bezahlt.

Auch Ärztevertreter wie die KVN äußerten sich zuletzt gleichlautend. Junge Mediziner scheuten immer öfter das unternehmerische Risiko, das eine Praxisgründung beinhalte.

Streik der Apotheken: Welche Folgen haben die Lieferengpässe?

Neben der geltenden Preisrabatt-Politik für Medikamente in Deutschland haben zuletzt gravierende Lieferengpässe den Arbeitsaufwand nochmals erhöht, klagen die örtlichen Apotheker schon vor dem Protesttag. Beide Prozesse hätten sich bedingt. Sie seien schleichend entstanden, hätten aber deutlich arbeits- und zeitaufwendigere Recherchen, zusätzliche Kommunikation mit Ärztinnen und Ärzten sowie eine intensivere Beratung der betroffenen Patientinnen und Patienten zur Folge gehabt.

Mehrfach habe man die Politik darauf hingewiesen, dass man auf einen Engpass bei der Medikamentenversorgung in Deutschland zusteuere, auch weil die herstellende Industrie überwiegend nach China und Indien abgewandert sei. Betroffen sei das gesamte Portfolio an Arzneien, zuletzt auch die Fiebersäfte für Kinder. Diese Krise sei eine, die nicht von den Apotheken, sondern politisch gemacht sei, so der Tenor vor dem Apotheken-Streik.

Protesttag der Apotheken: Noch in der Pandemie gab es Lob für die Regierung

In der Pandemie hätte die Bundesregierung dagegen „super reagiert“, sagt Burs. „Da gab es erleichterte Abgabebedingungen, weil Kontakte vermieden werden sollten, alles festgeschrieben im Infektionsschutzgesetz.“ Apotheken durften also Medikamente mit gleichem Wirkstoff, abweichend vom Rezept, auch von anderen Herstellern, ausgegeben.

„Damit ist verhindert worden, dass die Patienten immer wieder neu bei Arzt oder Apotheker vorstellig werden mussten.“ Eine Erleichterung, die auch heute helfen würde, sagt Burs. Der Haken: Die Pandemie gilt als überwunden, das Gesetz ist ausgelaufen.

Einen von Gesundheitsminister Lauterbach im Dezember gemachten Vorschlag, den entstandenen zusätzlichen Arbeitsaufwand besser zu vergüten, nennt Burs jedoch einen „Schlag ins Gesicht“. Der Entwurf habe damals pro Fall bei der Honorierung 50 Cent mehr vorgesehen. Burs: „Wir verlangen
21 Euro.“

Apotheken: Droht in der Fläche in Niedersachsen eine Unterversorgung?

Die Grafik zeigt die Entwicklung der Apothekenzahl in Niedersachsen und in der Region, dazu zählen hier auch die Stadt Göttingen und Osterode am Harz
Die Grafik zeigt die Entwicklung der Apothekenzahl in Niedersachsen und in der Region, dazu zählen hier auch die Stadt Göttingen und Osterode am Harz © Apothekerkammer Niedersachsen, Adobe Stock | Kristin Heine

Der Schließungsgrad hat sich nach Angaben von Burs zuletzt noch einmal verstärkt. „Wir sehen die Tendenz aber seit 2009. Dem gesetzlichen Auftrag, die Arznei-Versorgungssicherheit zu gewährleisten, kommen wir aber weiter nach.“

Von weißen Flecken will die Kammerpräsidentin daher noch nicht sprechen. Es gäbe aber in fast jedem Bundesland Ecken, in denen Versorgungslücken drohten. Vom Gefühl her sei das in Niedersachsen der Harz. „Hier gibt es einige Orte, an denen die Besorgung von Rezepten mit einem erheblichen Mehraufwand verbunden ist.“

Apotheken rufen Protesttag aus: Manchmal unvorteilhafte Symbiose zwischen ärztlicher Versorgung und Apotheken

Burs weist zudem auf die manchmal unvorteilhafte Symbiose zwischen ärztlicher Versorgung und den Apotheken vor Ort hin. „Wenn die Ärzte in der Fläche weggehen, können sich die Kolleginnen und Kollegen auch nicht mehr halten.“ Man könne tendenziell einen Zuzug der Apotheken hin in Richtung der niedersächsischen Großstädte wie Hannover, Oldenburg oder auch Braunschweig nicht leugnen.

Den Online-Handel sieht Burs dennoch nicht als Konkurrenz. Dazu seien die Umsätze aus rezeptpflichtigen Verschreibungen zu gering. „Die Menschen suchen weiter die Beratung vor Ort.“

Welche Folgen hat der Apotheken-Streik am Mittwoch?

Am 14. Juni kann es zu Schließungen kommen. Burs gibt aber zugleich Entwarnung. Es würden überall Notdienste, wie an Sonn- und Feiertagen auch üblich, eingerichtet. Allein in Braunschweig würden drei Apotheken Bereitschaftsdienst haben.

Was sollten Patienten und Patientinnen am Protesttag der Apotheken dennoch berücksichtigen?

Wichtige, gar lebensnotwendige Medikamente, sollten im Vorfeld bestellt und abgeholt werden. Darauf weist die Apothekerkammer hin. Man sollte am 14. Juni nicht alle Leistungen erwarten, die üblicherweise angeboten würden, sagt Burs. Wie viele Apotheken sich an dem Protest gegen die Bundesregierung beteiligen, weiß Burs nicht. „Ich bin als Kammerpräsidentin hier auch zur Neutralität verpflichtet und kann auch nicht zur Schließung aufrufen.“ Sie gehe aber von einem enormen Zuspruch, insbesondere auf den Demos in Berlin und Düsseldorf, aus.

Wie reagiert das Bundesgesundheitsministerium (BMG) auf die Apotheker-Vorwürfe?

Schriftlich nimmt das Lauterbach-Haus Stellung zu den Vorwürfen der Apotheker. Sie würden den Fakten widersprechen, die die Branche teilweise selbst veröffentlicht habe (ABDA-Bericht). So verweist eine Sprecherin gegenüber unserer Zeitung auf einen Mehrumsatz von
2,5 Milliarden Euro
allein im Jahr 2021, der sich durch erbrachte Pandemie-Leistungen erkläre. Aber auch der „Basisumsatz“ deutscher Apotheken sei zwischen 2020 und 2022 um 13 Prozent gestiegen. Auch bei Honorarleistungen habe man deutlich nachgebessert, wie mit der Einführung der Nacht- und Notdienstpauschale.

Mit dem nun geplanten Lieferengpassgesetz würden Apotheker zukünftig mehr Flexibilität bei der Abgabe wirkstoffgleicher Arzneimittel bekommen. Für die zusätzliche Arbeit sei ein Zusatzhonorar geplant. In welcher Höhe, darüber schweigt sich das BMG noch aus. Kein Dissens besteht in der Frage der Versorgungssicherheit. Die sei gewährleistet, und die Erreichbarkeit von Apotheken in Deutschland sei grundsätzlich gut.

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