Braunschweig. In der Braunschweiger Innenstadt geht eine Ära zuende, bohrende Fragen werden gestellt: Wie geht man mit solchen Leerständen um?

Schock und Bitterkeit, auch eine Spur Trotz: Das verkündete Aus zum Januar 2024 auch noch für das letzte Galeria-Karstadt-Kaufhaus, das Haupthaus in der Schuhstraße in der Innenstadt, hat am Montag Braunschweig erschüttert.

Oberbürgermeister Thorsten Kornblum versuchte es zunächst noch mit einer diplomatischen Wendung: „Der Verlust dieses zentralen Ankers unserer Innenstadt so kurz nach der Schließung der Häuser am Bohlweg und am Gewandhaus macht deutlich, wie dynamisch der Strukturwandel im Handel und in den Innenstädten voranschreitet“, erklärte er – und berief eine Task Force ein: „Wir werden die Eigentümer der leerstehenden Kaufhäuser und der Burgpassage, den Arbeitsausschuss Innenstadt und die IHK Braunschweig kurzfristig zum Gespräch einladen, um konkrete Entwicklungsmöglichkeiten zu besprechen.“

In jedem Fall sei eine attraktive Zwischennutzung wünschenswert, um einen weiteren jahrelangen Leerstand zu vermeiden.

OB Thorsten Kornblum: Beide Seiten sollen ausloten, ob es doch noch eine Lösung für Braunschweig gibt

Dann aber legte der OB nach, im Gespräch mit dem Norddeutschen Rundfunk (NDR) und auch gegenüber unserer Zeitung: „Ich appelliere an beide Seiten, den Mieter und den Vermieter, ins Gespräch zu kommen, ob es nicht doch noch eine Lösung gibt“. Wie bisher stehe die Stadt für Gespräche über bauliche Anpassungen jederzeit zur Verfügung.

Da hatte der Vermieter, die Volksbank BraWo, schon erklärt, man sei zuvor bereits einen sehr großen Schritt auf den Mieter zugegangen. Nunmehr beginne man mit der Planung einer alternativen Nutzung fürs Haus in der Schuhstraße.

Braunschweig unter Schock nach dem Aus fürs Karstadt-Haupthaus, das kann man nicht anders sagen. „Jetzt haben wir schon drei solche Klopfer!“, entfuhr es Mirko Rüsing vom Vorstand des Arbeitsausschusses Innenstadt (AAI).

Drei Mal maximaler Leerstand an der Kaufhaus-Front: der gewaltige Trumm am Bohlweg, das wuchtige Haus am Gewandhaus – und jetzt noch (ab Ende Januar 2024) eine „halbe Fußgängerzone“ mitten im Herzen, im Kern der City.

Arbeitsausschuss Innenstadt: „Wir müssen uns darum sorgen und kümmern, dass die Menschen in die Innenstadt kommen können.“

Für Rüsing und die Innenstadt-Kaufleute, die am Montag in Permanenz konferierten, nicht nur eine „Zäsur“, sondern die letzte, ultimative Warnung, dass jetzt gegengesteuert werden müsse. Der AAI-Vorstand: „Für die Braunschweiger Innenstadt ist nun endgültig der Zeitpunkt gekommen, zu fragen, wie geht man künftig mit den Entscheidungen um? Parkgebühren, eingeschränkte Mobilität, wir müssen uns darum sorgen und kümmern, dass die Menschen in die Innenstadt kommen können.“

Die jüngste Bewertung der Innenstadt habe es wieder gezeigt: „Wir verlieren Potential aus dem Umland durch vielfältige Entwicklungen. Und jetzt auch noch das.“

Karstadt in Braunschweig – Erinnerungen in Schwarz-Weiß

Das neue Karstadt-Haupthaus Ende August 1970 kurz nach seiner Fertigstellung.
Das neue Karstadt-Haupthaus Ende August 1970 kurz nach seiner Fertigstellung. © BZV | ARCHIV
Der Karstadt-Vorgängerbau in der Schuhstraße in den 20er Jahren. Das vorherige Karstadt-Gebäude war 1899 einem Brand zum Opfer gefallen.
Der Karstadt-Vorgängerbau in der Schuhstraße in den 20er Jahren. Das vorherige Karstadt-Gebäude war 1899 einem Brand zum Opfer gefallen. © BZV | ARCHIV
Dieses Architekturmodell wurde 1968 vor Baubeginn der Öffentlichkeit präsentiert.
Dieses Architekturmodell wurde 1968 vor Baubeginn der Öffentlichkeit präsentiert. © BZV | ARCHIV
Die markante spindelförmige Auffahrt des Parkhauses im Bau 1969.
Die markante spindelförmige Auffahrt des Parkhauses im Bau 1969. © BZV | ARCHIV
Auch für die Betreuung der Kinder während der elterlichen Einkaufstour war um 1970 gesorgt.
Auch für die Betreuung der Kinder während der elterlichen Einkaufstour war um 1970 gesorgt. © BZV | ARCHIV
Stylishe Einkaufswelten Anfang der 70er Jahre. Ein Blick in die Damenabteilung des Haupthauses – leider nur in Schwarz-Weiß.
Stylishe Einkaufswelten Anfang der 70er Jahre. Ein Blick in die Damenabteilung des Haupthauses – leider nur in Schwarz-Weiß. © BZV | ARCHIV
Die Lebensmittelabteilung im Untergeschoss verfügte bei ihrer Einweihung 1969 über sage und schreibe 14 Kassen.
Die Lebensmittelabteilung im Untergeschoss verfügte bei ihrer Einweihung 1969 über sage und schreibe 14 Kassen. © BZV | ARCHIV
Blich in die Schmuckabteilung um 1970.
Blich in die Schmuckabteilung um 1970. © BZV | ARCHIV
Blick von der Schützenstraße Anfang der 70er Jahre.
Blick von der Schützenstraße Anfang der 70er Jahre. © BZV | ARCHIV
1971 entstand dieses Foto anlässlich einer Diamantenschau bei Karstadt in Braunschweig. „Millionenschmuck lässt Frauenherzen höher schlagen“, hieß es in unserer Zeitung.
1971 entstand dieses Foto anlässlich einer Diamantenschau bei Karstadt in Braunschweig. „Millionenschmuck lässt Frauenherzen höher schlagen“, hieß es in unserer Zeitung. © BZV | ARCHIV
1974 wurde in der Stadt über ein mögliches Ende der Karstadt-Fachwerkfassaden in Richtung Kleine Burg diskutiert. Letztlich blieben sie doch erhalten.
1974 wurde in der Stadt über ein mögliches Ende der Karstadt-Fachwerkfassaden in Richtung Kleine Burg diskutiert. Letztlich blieben sie doch erhalten. © BZV | ARCHIV
Auch gekrönte Häupter hielten bei Karstadt Hof. Auf dem Foto von Hartmut Zibelius aus dem Jahr 1971 verteilte Ihre Lieblichkeit, die Heidekönigin
Auch gekrönte Häupter hielten bei Karstadt Hof. Auf dem Foto von Hartmut Zibelius aus dem Jahr 1971 verteilte Ihre Lieblichkeit, die Heidekönigin "Irene von Winsen" Autogrammkarten. © BZV | ARCHIV
Mit seinem
Mit seinem "heißen Ofen", wie es in unserer Zeitung schreib, war rennfahrer Erich Rosteck 1985 zu Besuch bei Karstadt. "Sein Monoposto, der nur 520 Kilogramm wiegt, beschleunigt in 7,5 Sekunden auf 200 Stundenkilometer", schrieb unser redakteur damals. © BZV | ARCHIV
Fußball-Prominenz war zu Gast bei der Sporthaus-Einweihung im Jahr 1986 (v.r.): Bernd Gersdorff (Ex-Eintracht Braunschweig), Max Lorenz (Ex-Werder Bremen) und Uwe Seeler (Ex-HSV), hier mit Karstadt-Geschäftsführer Gerd Linke.
Fußball-Prominenz war zu Gast bei der Sporthaus-Einweihung im Jahr 1986 (v.r.): Bernd Gersdorff (Ex-Eintracht Braunschweig), Max Lorenz (Ex-Werder Bremen) und Uwe Seeler (Ex-HSV), hier mit Karstadt-Geschäftsführer Gerd Linke. © BZV | ARCHIV
1987 lichtete unser Fotograf Peter Sierigk diesen Blick ins Karstadt-Restaurant ab. Dass dort Rauchverbot herrschte, verstand sich damals offenbar noch nicht von selbst.
1987 lichtete unser Fotograf Peter Sierigk diesen Blick ins Karstadt-Restaurant ab. Dass dort Rauchverbot herrschte, verstand sich damals offenbar noch nicht von selbst. © BZV | ARCHIV
Anlässlich des 100jährigen Karstadt-Jubiläums in Braunschweig überreichten die Abteilungsleiter Susanne Sandhoff (Mitte) und Claus Eckstein (links) Oberbürgermeister Gerhard Glogowski (SPD) einen Spendenscheck über 50.000 DM für Jugendwerkstätten.
Anlässlich des 100jährigen Karstadt-Jubiläums in Braunschweig überreichten die Abteilungsleiter Susanne Sandhoff (Mitte) und Claus Eckstein (links) Oberbürgermeister Gerhard Glogowski (SPD) einen Spendenscheck über 50.000 DM für Jugendwerkstätten. © BZV | ARCHIV
1994 wurde das Haupthaus runderneuert. Die Geschäftsführer sagten, man gehe gut vorbereitet in den Wettbewerb des 21. Jahrhunderts.
1994 wurde das Haupthaus runderneuert. Die Geschäftsführer sagten, man gehe gut vorbereitet in den Wettbewerb des 21. Jahrhunderts. © BZV | ARCHIV
Ein Blick in die CD-Abteilung im Obergeschoss der Filiale in der Poststraße, aufgenommen im Jahr 1994.
Ein Blick in die CD-Abteilung im Obergeschoss der Filiale in der Poststraße, aufgenommen im Jahr 1994. © BZV | ARCHIV
1996 ein Publikumsmagnet : Die neue Station für „kostenloses internationales Surfen“ im Internet.
1996 ein Publikumsmagnet : Die neue Station für „kostenloses internationales Surfen“ im Internet. © BZV | ARCHIV
Die Parkhaus-Spindel hat viele Fotografen zu ungewöhnlichen Motiven inspiriert. Dieses Bild knipste Rudolf Flentje 1991.
Die Parkhaus-Spindel hat viele Fotografen zu ungewöhnlichen Motiven inspiriert. Dieses Bild knipste Rudolf Flentje 1991. © BZV | ARCHIV
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Diese Situation mit dem Karstadt-Aus zeigt für Rüsing „ein- für allemal noch deutlicher, dass wir auf unser Einzugsgebiet umso mehr angewiesen sind“. Jetzt erst recht müssten Stadt und Rat sich Gedanken machen: Wie macht man es noch attraktiver? „Alles immer nur auf Wohnen und Grün und Aufenthaltsqualität zu fokussieren, das reicht nicht.“ Handel und Gastronomie gehörten zu einer belebten und attraktiven Innenstadt dazu. Gibt es Alternativen in der Schuhstraße? „Wer traut sich denn, in diese riesengroßen Leerstände, die wir jetzt haben, noch reinzugehen?“

Alles in allem, so Rüsing: „Mal wieder eine bedauerliche Situation für die Braunschweiger Innenstadt – aber vor allem für die Beschäftigten. Es war ja ein ewiges Bangen, ob es weitergeht oder nicht. Nun hat es Braunschweig erwischt!“

Wirtschaftsdezernent Leppa: Gespräche mit der Arbeitsagentur, welche Perspektiven für die Beschäftigten es bei einer Schließung nun gibt

Nicht viel anders sieht das auch Braunschweigs Wirtschaftsdezernent Gerold Leppa, in diesen Tagen um sein Amt nicht zu beneiden. „Ein schmerzlicher Tag. Ein weiterer bitterer Einschnitt, nach den ersten beiden Karstadt-Warenhäusern nun also auch noch das dritte. Nach der Diskussion der letzten Monate musste man das allerdings befürchten“, sagt er.

Besonders tragisch sei es für die Beschäftigten, die ihren Arbeitsplatz verlieren – nach einer ohnehin langen Phase der Unsicherheit, die den Menschen viel abgerungen hat. Leppa erhielt am Montag vom Oberbürgermeister den Auftrag, Gespräche mit der Arbeitsagentur zu führen, welche Perspektiven für die Beschäftigten es bei einer Schließung nun gebe.

Absehbar bekomme man einen weiteren großen Leerstand in der Innenstadt. Galeria gehe übrigens nicht, so Leppa, weil der Standort Braunschweig für sie unattraktiv sei. Gescheitert sei das an anderen Dingen.

Der Wirtschaftsdezernent: „Wir müssen jetzt nicht zwingend den Kopf in den Sand stecken. Wir haben auch einen positiven Wandel unter anderem, um dem Internet-Handel Paroli zu bieten. Darauf müssen wir setzen. Ich habe nicht das Gefühl, dass wir morgen die Innenstadt abschreiben müssen.“

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