Braunschweig. Gibt es Kostüme, die man zu Karneval lieber nicht tragen sollte? Die Meinungen unserer Leserinnen und Leser gehen auseinander.

Am Sonntag geht’s in Braunschweig närrisch zu: Dann gibt’s wieder eine Neuauflage des Schoduvel, Norddeutschlands größtem Karneval – nach mehreren Jahren der corona-bedingten Pause. Zeit, um sich mit der Frage zu beschäftigen: Gibt es eigentlich Kostüme, die man lieber vermeiden sollte? Diese Frage wird unter unseren Leserinnen und Lesern – sowohl in Leserbriefen, als auch bei Social Media wie Instagram oder Facebook – heiß diskutiert. Die Meinungen gehen weit auseinander. Wir bieten hier eine Übersicht über die verschiedenen Positionen. Aus Gründen der Lesbarkeit haben wir die Rechtschreibung der Kommentare korrigiert.

Übrigens: Auch die Einschätzungen von Braunschweigs Karnevalisten und Institutionen zum Thema „Kulturelle Aneignung“ gehen auseinander. Ihre Antwort auf die Frage: „Darf man noch als ,Indianer’ gehen?“ lesen Sie hier. Auch unsere Kolleginnen und Kollegen haben sich mit dem Thema beschäftigt. Hier finden Sie ein Pro-Contra-Stück von zwei Eltern, die sich mit der Frage konfrontiert sehen, wie man sein Kind am besten für den Fasching in der Kita verkleidet.

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Kulturelle Aneignung: Leser wünschen sich mehr Willen zur Reflexion

Insbesondere bei dem Post bei Instagram entzünden sich die Gemüter an der Frage, ob es Kostüme gibt, die zu Karneval lieber nicht getragen werden sollten. Eine Nutzerin schreibt zum Beispiel: „Was ist das Problem daran, Kostüme, die andere verletzen, einfach nicht zu tragen? Es gibt noch viele andere Verkleidungsmöglichkeiten. Die, die darüber hinwegsehen, gehören zu keiner Minderheit. Es ein Privileg, zur Mehrheitsgesellschaft zu gehören, und da darf jeder einmal reflektieren, seine Kostüme überdenken und sich mit Rassismus auseinandersetzen.“

Die Nutzerin geht sogar noch weiter: Allein der Beitrag, in dem das Wort „Indianer“ ausgeschrieben sei sowie die Abbildung eines als stereotyp verkleideten Kindes reproduziere Rassismen. Die Nutzerin schließt: „Aber in Deutschland steckt das Thema Indigene noch in den Kinderschuhen. Was will man da schon erwarten…“

„Themen wie Rassismus sind keine persönliche Meinung“

Auch eine andere Leserin argumentiert auf Instagram in diese Richtung: „Die Kommentare tun schon wieder weh. Kulturelle Aneignung ist ein Problem, das eben können aber vor allem Betroffene beurteilen und ,Stefan aus Braunschweig, der so gerne die Susi an den Marterpfahl bindet’, eben nicht. Auch die Begrifflichkeit zeigt, dass eher halbherzig recherchiert wurde. Kulturelle Aneignung (*Anmerkung der Redaktion: Hier haben wir einen wahrscheinlichen Tippfehler korrigiert, im Posting steht „Abneigung“) und Themen wie Rassismus sind keine persönlichen Meinungen, sondern wissenschaftliche Begriffe, die keiner subjektiven Definition bedürfen.“

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Die Leserin schreibt weiter, es sei keine Schande, etwas dazu zu lernen, sich zu reflektieren und Verhalten zu ändern. Sie schließt ihren Beitrag mit: „Und nebenbei gesagt, eigentlich absurd, sich an Karneval in die ,Kleidung’ von Menschen zu werfen, die in Amerika, Südamerika und Kanada einen unfassbaren Genozid erlitten haben und weiterhin unfassbar benachteiligt sind. Denken hilft, Empathie füreinander ändert so viel.“

Bei Facebook bewertet ein Leser das Thema ähnlich: „Natürlich darf man (Ergänzung der Redaktion: Sich als „Indianer“ verkleiden), ob man es allerdings vollkommen unreflektiert tun sollte, steht auf einem anderen Blatt. Ich persönlich sehe darin auch kein großes Problem, allerdings geht es dabei nicht darum, was ich möchte oder sehe, sondern darum, was die Betroffenen davon halten und da gibt es eben nicht wenige kritische Stimmen. Die Opferrolle derjenigen hier in den Kommentaren, die kulturelle Aneignung offenbar als eine Art Grundrecht sehen, deswegen hier den Untergang des Abendlandes herbeifabulieren und sich in ihren angeblichen ,Rechten’ beschnitten fühlen, ist meiner Meinung nach schon eine ziemlich eindimensionale, unreflektierte und schlichte Täter-Opfer-Umkehr.“

Erinnerungen an früher – und die Erkenntnis, es heute anders zu machen

Eine Nutzerin berichtet bei Facebook von ihren eigenen Kindheitserlebnissen – und reflektiert darüber, wie sie die Situation heute einordnet: „Ich erinnere mich an ein ,Kostüm’, da war ich 8 oder so (also schon laaaaange her), da wurde ich mit brauner Farbe bemalt, bekam ein Baskenröckchen an und ne schwarze Lockenperücke und ging als Farbige, damals noch ganz lustig mit dem N-Wort betitelt. Unglaublich und heute undenkbar und das völlig zu Recht. Zum Glück hat die Menschheit sich weiterentwickelt (einige nicht, wenn man die Kommentarfunktion mancher hier sieht).“

Der Begriff „Kulturelle Aneignung“ sei schwer zu greifen

Andere Kommentatoren sehen das anders. So schreibt eine Leserin: „Ich finde, ein Kind sollte sich verkleiden, wie es möchte. Meine Güte. Es geht um Spaß, Freude etc. Was ist aus dieser Generation nur geworden?“

Über Leserbriefe erreichten uns Stimmen, die eine solche Debatte grundsätzlich für überflüssig halten und sich darüber ärgern, dass das Thema so groß von unserer Zeitung aufgegriffen wurde. „Geht’s noch? Gibt es keine anderen Probleme oder gute News, über die man berichten kann?“, fragt ein Leser.

Ein Leser schlägt vor, mit den „verirrten Gutmenschen“ eine Friedenspfeife zu rauchen. Ein anderer setzt sich satirisch mit dem Thema auseinander: „Hiermit möchte ich mich ausdrücklich dafür entschuldigen, dass ich 1964 als Siebenjähriger von meinen damaligen Schutzbefohlenen (früher Papa und Mama) dazu genötigt wurde, zum Karneval, auch Fasching genannt, verkleidet als „Winnetou“, Häuptling der amerikanischen Urbevölkerung, anlässlich der Faschingsfeier der 1. Klasse in die Schule geschickt worden zu sein! Leider war ich mir mit 7 Jahren nicht der Bedeutung und der Tragweite dieses Handelns meiner Eltern bewusst. Dies tut mir heute aufrichtig leid und ich schäme mich dafür. Auch im Namen meiner mittlerweile verstorbenen Eltern und Großeltern.“

Ein anderer Kommentar bei Social Media bezieht sich vor allem auf den Begriff „Kulturelle Aneignung“: „Deutschland ist ein multi-kulturelles Land. Wir haben verschiedene Personen von den unterschiedlichsten Ländern hier. Dass sich Kulturen vermischen, sollte doch gerade das Positivste sein, da man auch dadurch Aufmerksamkeit kreiert. Ich finde den Begriff ,Kulturelle Aneignung’ ehrlich gesagt schwachsinnig. Ab wenn fängt es denn an und wo hört es denn auf? Was ist moralisch vertretbar und was nicht? Da antwortet jeder anders. Ein wirklicher Konsens kann hier nicht gefunden werden. (...)“

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„Es gibt eine Million andere Kostüme“

Andere Kommentatoren zeigen sich wiederum diplomatisch. So schreibt eine Nutzerin: „Es gibt eine Million andere Kostüme. Da kann man doch einfach auf das ein oder andere verzichten und gut ist’s.“

Das sehen auch andere so. So schreibt ein weiterer Leser bei Instagram: „Bin sehr zwiegespalten, denn ich habe es als Kind geliebt, mich als Cowboy oder Indianer zu verkleiden und hatte niemals den Hintergedanken es zu tun, weil ich mich über diese Menschen lustig machen wollte, sondern weil ich das alles interessant fand. Wenn man es als Erwachsener zum Fasching macht, könnte man es vielleicht anders sehen, aber geht es nicht darum, aus welcher Intention man sich so verkleidet? Ich denke die wenigsten machen es aus dem Grund, weil sie diese Menschen nicht mögen und sich darüber lustig machen wollen.“

„Kulturelle Aneignung“: Das ist damit gemeint

In der Debatte über angemessene Kostümierungen wird oft ein Begriff genannt: Kulturelle Aneignung. Doch: Was bedeutet das überhaupt?

Es geht dabei um die Übernahme von Ausdrucksformen aus einer anderen Kultur – in stereotyper Weise, gegen deren Willen und nicht auf Augenhöhe. Sozialwissenschaftler Lars Distelhorst, der das Buch „Kulturelle Aneignung“ geschrieben hat, findet tatsächlich, dass man bei Verkleidungen über kulturelle Aneignung diskutieren könne. Obwohl er andere Begriffe günstiger findet. Etwa Geschichtsvergessenheit oder mangelnde Sensibilität.

Kritisch werde es bei einem Macht-Ungleichgewicht der Kulturen, sagt Distelhorst. Viele Ureinwohner wurden ausgebeutet und diskriminiert. Wenn sich eine Frau ein Geisha-Kostüm oder ein Mann einen Schottenrock anziehe, dann sei das wieder etwas Anderes.

Der zweite Punkt sei, wenn es auf platte Stereotype hinauslaufe. Ein dritter: Wenn die Betroffenen schon geäußert haben, dass sie das nicht so witzig finden. „Menschen aus indigenen Bevölkerungen haben immer wieder gesagt, dass sie, was man sich bei uns zusammenbastelt – mit Pfeil, Bogen und Marterpfahl – als abwertend empfinden“, sagt er.

Martin Booms, Professor für Philosophie an der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft, findet die Strenge der Diskussion befremdlich. Man müsse sich klar machen, was im Karneval passiere. Rollenklischees würden bewusst eingesetzt. „Wer sich ein Kostüm überzieht und in eine fremde Rolle schlüpft, der macht das mit Selbstironie. Genau diese Eigenschaft – über sich selbst lachen zu können – ist eine Kultur, die Diskriminierung und Exklusion verhütet.“

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