Braunschweig. Viele Braunschweiger Familien haben Angehörige und Freunde in den betroffenen Gebieten. Die Sorge ist groß – überall formiert sich Hilfe.

Im Südosten der Türkei bebt die Erde – und in Braunschweig bangen viele Familien um ihre Angehörigen dort. „Aus der betroffenen Region um Antep kommen viele türkische Familien, die hier in Braunschweig leben“, erklärt Ishak Demirbag vom Haus der Kulturen.

Zwei Schwestern von Hikmet Atasoy (63) leben mit ihren Kindern und Kindeskindern in Hatay. Hatay im Süden der Türkei hat mehr als anderthalb Millionen Einwohner und ist stark vom Erdbeben getroffen. Atasoy ist dort geboren. Als kleiner Junge zog er mit seiner Familie nach Braunschweig. „Wir versuchen von morgens bis abends, Kontakt zu meinen Schwestern und ihren Familien aufzunehmen, aber bislang hatten wir keinen Erfolg“, erzählt Atasoy, der einst das Café Cheers am Langen Hof geführt hat.

Anmerkung der Redaktion: Irrtümlicherweise schrieben wir, dass Familie von Hikmet Atasoy aus Gaziantep kommt. Sie lebt jedoch in Hatay. Wir bitten, diesen Fehler zu entschuldigen.

Hikmet Atasoy (in der Mitte) mit seinen Geschwistern bei einem Besuch in der Türkei.
Hikmet Atasoy (in der Mitte) mit seinen Geschwistern bei einem Besuch in der Türkei. © Privat

Von einer in Istanbul lebenden Nichte weiß er aber, dass seine Schwestern und ihre Familien das Erdbeben überlebt haben. „Sie leben. Sie sind alle rechtzeitig aus dem Haus gekommen, bevor es zusammengestürzt ist“, berichtet er. Die Familien seien jetzt obdachlos. Es gebe weder Lebensmittel noch sauberes Trinkwasser: „Sie stehen vor dem Nichts. Alles ist kaputt.“

Sachspenden passten kaum in Transporter

Atasoy verfolgt die schrecklichen Bilder im Fernsehen, hofft sehr, dass er seine Schwestern bald persönlich sprechen kann. Die Sorge ist groß. „Ich kann nachts nicht schlafen und fühle mich so hilflos. Was können wir tun?“ Als Hikmet Atasoy Mittwochmittag erfährt, dass in der Varrentrappstraße am Nachmittag Sachspenden gesammelt werden, fährt er direkt hin. „Es war voll, viele Leute kamen und haben gespendet.“ Über die sozialen Medien war zu Sachspenden aufgerufen worden: Decken, Babynahrung, Winterkleidung, Verbandszeug, Zelte…

In der Varrentrappstraße wurden am Mittwoch zwei Transporter mit Sachspenden gefüllt für Erdbebenopfer.
In der Varrentrappstraße wurden am Mittwoch zwei Transporter mit Sachspenden gefüllt für Erdbebenopfer. © Darius Simka/regios24

„Es kamen so viele Sachen zusammen, dass es kaum in die Fahrzeuge passte. Es wurden Leute angerufen, dass sie keine weiteren Dinge bringen sollen“, hat Atasoy beobachtet. Zwei rappelvolle Transporter machten sich am Ende auf den Weg Richtung Lehrte. Einer der Fahrer erklärte: „Wir sind keine Organisation oder kein Verein, wir wollen nur helfen.“ Sein Bekannter Ahmed Hamout habe über die sozialen Medien im Freundeskreis zu Spenden aufgerufen. Ein niederländische Spedition habe angeboten, Sachspenden in die Türkei zu fahren. Sammelort sei Lehrte: „Dort ist jetzt Aufnahmestopp. Wir sind deshalb gerade dabei, eine Zwischenlagerung zu organisieren.“

Maver Kolosoglu (33) ist Kurdin, ihre ersten fünf Lebensjahre hat sie in einem kleinen Dorf an der türkischen Grenze zu Syrien verbracht, bis sie mit ihrer Familie nach Deutschland ging. Sie lebt in Braunschweig und hat hier Medienwissenschaften studiert. „Meine Tante, Cousins und Cousinen leben noch in dem Dorf“, sagt sie. Im Herbst 2021 habe sie sie dort besucht. Per WhatsApp habe sie nun mit ihnen telefoniert: „Ständig wackelt das Haus. Bei jedem Beben laufen alle raus und ins Auto. Dort harren sie aus, bis sie wieder ins Haus können. Es ist bitterkalt und schneit.“ Das Haus stehe noch, sei aber von umstürzenden Gebäuden rundum beschädigt worden. „Sie haben noch Lebensmittel vorrätig und halten viele Tiere. Sie können sich vorerst noch selbst versorgen“, sagt Maver Kolosoglu erleichtert.

Fußballverein und Bäckerei starten spontan Spendenaktion

Maver Kolsooglu ist in einem türkischen Dorf an der Grenze zu Syrien aufgewachsen. Jetzt lebt sie in Braunschweig.
Maver Kolsooglu ist in einem türkischen Dorf an der Grenze zu Syrien aufgewachsen. Jetzt lebt sie in Braunschweig. © Privat

Überall formiert sich derweil Unterstützung: Die türkische Bäckerei Akin aus Braunschweig kündigte am Mittwoch in den sozialen Medien an, den größten Teil der Tageseinnahmen den Erdbebenopfern spenden zu wollen. „Unsere Gedanken sind bei den Opfern und Angehörigen“, schreiben sie und rufen andere Geschäfte auf, es ihnen gleich zu tun.

Auch im Trainingslager des Fußballvereins FC Türk Gücü in Helmstedt war sofort der Wunsch da, helfen zu wollen. Der Bezirksliga-Verein trainiert gerade in der Nähe von Antalya , ihm gehören auch viele Braunschweiger an, etwa Hassan Hussein vom Grill-Restaurant Urfa in der Friedrich-Wilhelm-Straße in Braunschweig. „Wir sind rund 500 Kilometer vom Epizentrum entfernt, aber bei den Nachbeben hat selbst in unserem Hotel der Boden vibriert. Der Kronleuchter wackelte, und der Innenpool ist übergeschwappt, so dass das Wasser bis ins Atrium lief“, berichtet Jens Neumann, Journalist unserer Zeitung, der den Verein begleitet.

Zwei Braunschweiger bringen Geldspende persönlich ins betroffene Gebiet

Am Vorabend habe man die erschütternden Bilder aus der Erdbebenregion gesehen: „Die Mannschaft beschloss am gleichen Abend, für die betroffenen Menschen zu sammeln“, so Neumann. Innerhalb kürzester Zeit kamen mehr als 5.000 Euro zusammen. Hassan Hussein und Ali Ayaz, die nach dem Trainingslager ohnehin in das betroffene Gebiet fliegen wollten, um Freunde und Verwandte zu besuchen, nehmen das Geld direkt mit. „Wir kommen ja von dort und hatten den Besuch ohnehin geplant“, sagt Hussein. So komme die Hilfe direkt vor Ort an, sagt Neumann.

Lesen Sie auch: