Braunschweig. Ein heikles Thema wird öffentlich im Braunschweiger Dom verhandelt. Lesen Sie die Hintergründe.

Im Braunschweiger Dom wird am Mittwoch, 25. Januar, ein historisches Thema behandelt, das bis heute Gegenstand der Diskussionen ist, dabei aber von der Forschung bereits geklärt wurde: Es geht darum, wie die Nationalsozialisten Heinrich den Löwen für sich vereinnahmen wollten.

Referent ist der Braunschweiger Historiker Professor Ulrich Menzel, der sich intensiv mit dem Thema beschäftigt hat

Im Zuge der nach der Machtergreifung der NSDAP forcierten Reform der Binnengliederung des Deutschen Reiches wäre das kleine und zersplitterte Land Braunschweig in einer Provinz Hannover aufgegangen, berichtet Menzel. Perspektivisch sollten die Parteigaue mit den Provinzen verschmolzen werden.

Die unter strenger Geheimhaltung erfolgende Grabung im Dom brachte nur ein enttäuschendes Ergebnis ...

Um die Unabhängigkeit seines Landes zu behaupten, startete demnach der damalige Ministerpräsident Dietrich Klagges eine Initiative, Braunschweig aus dem Parteigau Südhannover-Braunschweig herauszulösen und durch die Hinzufügung umliegender Gebiete zu einem Parteigau Ostfalen mit Braunschweig als Gauhauptstadt aufzuwerten.

Menzel weiter: Zur Begründung wurde auch der Sachsenherzog Heinrich als historischer Stammvater bemüht, der mit seiner Ostkolonisation der Vorreiter der „Gewinnung von Lebensraum im Osten“ gewesen sei.

Dazu ließ Klagges 1936 die Gruft im Dom öffnen, um die erhofften Funde in einer Art Schrein zu präsentieren. Die unter strenger Geheimhaltung erfolgende Grabung brachte nur ein enttäuschendes Ergebnis.

Statt zweier Steinsärge wurde nur einer gefunden, der das zierliche und dazu noch verkrüppelte Skelett einer Frau enthielt, also Mathilde hätte zugeordnet werden müssen. Deshalb wurde mit großem gutachterlichem Aufwand behauptet, es handle sich um Heinrich und die Verkrüppelung sei durch einen Reitunfall verursacht worden.

Menzel: Trotz „Entnazifizierung“ des Doms und der wissenschaftlichen Klärung der Täuschung lebte sie im Bewusstsein der Öffentlichkeit fort

Hitler, der laut Menzel wie die Öffentlichkeit getäuscht wurde, zog das Vorhaben an sich, um zu verhindern, dass der Dom in ein Sachsenheiligtum verwandelt wurde.

Menzel: „Sein Held war Barbarossa und Heinrich nur ein Rebell, der sich gegen den Kaiser aufgelehnt hatte. Bis 1940 wurde eine neue Gruft gebaut und mit gefälschten Artefakten und NS-Symbolen dekoriert, der Dom reromanisiert und als ,Staatsdom’ der Landeskirche entzogen.“

Trotz „Entnazifizierung“ des Doms 1945/46 und der wissenschaftlichen Dekonstruktion der Täuschung, so Menzel, lebte diese im Bewusstsein der Öffentlichkeit sowie in diversen Domführern, selbst noch im Kunstführer aus dem Jahr 2020, fort.

Mit der Veranstaltung will das Braunschweiger Dompfarramt nun „einen öffentlichkeitswirksamen Schlusspunkt hinter die leidige Angelegenheit setzen“, wie es in einer Pressemitteilung heißt.

Vortrag: „Die große Täuschung des Dietrich Klagges. Die Öffnung der Gruft Heinrichs des Löwen und die Instrumentalisierung des Braunschweiger Doms zur Gründung eines Parteigaus Ostfalen in den Jahren 1936-1940“. Vortrag mit Illustrationen von Ulrich Menzel am Mittwoch, 25. Januar, 18 Uhr, im Braunschweiger Dom

Literaturtipp Ulrich Menzel: „Zwischen Deutschen Christen und Neuen Heiden. Hitlers überraschender Besuch vom Juli 1935 in Braunschweig, die Umwidmung des Braunschweiger Doms und die Neukonzipierung der „Gemeinschaftssiedlung Lehndorf“ und deren Kirche“, Landeskirchenamt Wolfenbüttel 2021.

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