Braunschweig. Neueröffnung in Krisenzeiten: Mit der Pivbar will Gennadi Frei ein zweites Standbein neben seiner Diskothek betreiben.

Neueröffnung in Krisenzeiten. Erst Corona, jetzt das Energiethema. Gennadi Frei hat seine PivBar eröffnet. Trotz allem, oder gerade darum. „Wir haben uns beim Umbau dem Thema Energiesparen sofort angepasst mit LED-Leuchtmitteln, Dimmern und smarten Heizkörpern.“ Seit 17 Jahren betreibt er die Diskothek Privileg an der Wallstraße. Corona hat die Clubszene besonders hart getroffen.

„Wir sind die ersten, die geschlossen werden, und die letzten, die wieder aufmachen dürfen“, war für Frei schnell deutlich. „Die Politik hat uns aufgefordert, Alternativen zu überlegen, das habe ich getan“, erklärt er. Ihm sei klar gewesen, dass nach Corona Corona zwei oder drei folgen könne, deshalb ein ganz neues Konzept. Das Privileg bestand von Anfang an aus zwei Räumen. „Unterschiedliche Musik für unterschiedliche Zielgruppen“, beschreibt Frei. Jetzt ist ein Raum abgetrennt, die Diskothek hat einen separaten Eingang.

Gennadi Frei kommt aus Usbekistan. Er war 16 Jahre alt, als seine Familie Mitte der 90er nach Deutschland zog

Das neue Konzept von Gennadi Frei hat den Titel PivBar. „Cocktail, Schaschlik und Pelmeni“ heißt es auf der Homepage. Hier kommt Freis Herkunft zum Tragen. Gennadi Frei kommt aus Usbekistan. Er war 16 Jahre alt, als seine Familie Mitte der 90er nach Wahrenholz im Landkreis Gifhorn zog. Verwandte waren schon früher gegangen, Oma, Opa und ein Onkel lebten bereits in Wesendorf.

Familiärer Zusammenhalt, der geholfen hat. Und noch immer hilft. „Ich wohne nach wie vor im Landkreis Gifhorn“, erzählt er. Er mit seiner Frau und den drei Kindern, der ältere Bruder mit Familie und die Eltern in Vordorf. Wärme, Nähe, Gastfreundschaft, das sind Begriffe, die Gennadi Frei betont.

Und die sollen auch seine Bar prägen. „Im russischsprachigen Raum bedeutet Pivo Bier“, erklärt er. Es gehöre zum Alltag der Menschen, sich nach der Arbeit auf ein Bier zusammenzusetzen. „In Usbekistan ist es eher auf einen Wein, in Sibirien auf einen Vodka“, erzählt er.

Je nachdem, was wo angebaut oder hergestellt wird. Dazu gehöre eine Kleinigkeit zu essen. Und auch das regional unterschiedlich. „Die russische Küche ist geprägt durch die Küche der Ukraine, Georgien und Usbekistan“, erklärt Frei. Dementsprechend ist die Karte in der Pivbar: Oligarchen Snack, Zaren Lieblingsspeise oder Matjes im Pelzmantel gibt es. Und natürlich Kaviar. „Ich setze vor allem auf meine Stammkunden und Kunden, die kulinarisch etwas Neues ausprobieren möchten“, erklärt Frei.

Sind das vor allem Russlanddeutsche? „Auch“, sagt Frei, „aber nicht nur.“ Er habe es auch satt, immer als Russe gefragt zu werden, was er von dem Krieg in der Ukraine halte. Als Gastronom müsse er so neutral sein wie die Schweiz.

„Ich spreche weder über Politik, noch über Religion“, erklärt er. „Nur weil ich Russisch spreche, bin ich kein Russe“, erklärt er. Jetzt in Gifhorn würde er näher an Moskau leben als in seiner Kindheit in Taschkent.

„In meiner Klasse waren wir 16 Nationen“, macht er die Multikultigesellschaft der damaligen Sowjetunion klar. „Alle haben wir Russisch gesprochen, aber alle auch unsere eigenen Sprache.“ Deutsch hatte er immer als erste Fremdsprache. Gennadi Frei hat Koch gelernt. Im Landgasthof Krendel, einem klassischen bürgerlichen Restaurant in Warenholz. „Anfangs habe ich dort Teller gewaschen“, erzählt er von den ersten Monaten in Deutschland.

Er sagt: „Du musst gut mit Personal umgehen und du musst wissen, was deine Gäste hören wollen, dann ist es ganz einfach“

Er hat die Sprache neu gelernt, und aus seinem Tellerwäscherjob heraus eine Lehre zum Koch gemacht. „Der Chef hat mit mir jeden Samstag für die Berufsschule geübt“, blickt Gennadi Frei dankbar zurück. „Ich wollte mich direkt danach selbstständig machen“, weiß er noch genau.

Aber sein Ausbilder hat ihm geraten, zunächst Erfahrungen zu sammeln. Das hat er getan: Unter anderem gehörte er zum Eröffnungsteam in der Autostadt-Restauration. Und dann erzählt ihm jemand von einer Diskothek in Hankensbüttel, die zum Verpachten steht.

Er greift zu und führt die Disco in die Erfolgszone. „Du musst gut mit Personal umgehen und du musst wissen, was deine Gäste hören wollen, dann ist es ganz einfach“, erklärt er das Rezept. Wenige Jahre später will er sein Unternehmen vergrößern. Ein Insolvenzverwalter bietet ihm ein Objekt in Braunschweig an der Wallstraße an. Die Geburtsstunde des Privileg.

Er hat auf Corona und die sich damit veränderten Umstände schnell reagiert. Auch das Clubgeschäft ist wieder angelaufen.

Wenn auch langsam. „Alle zwei bis drei Jahre gibt es in Diskotheken einen Generationswechsel“, weiß er. „Die Jungen lernen dann zu feiern, und für die nächsten Jahre werden sie zu einer treuen Kundschaft.“ Jetzt habe eine Diskothekengeneration diese „Lehrzeit“ verpasst. Unter Corona hätten sich viele Menschen eine private Feierzone eingerichtet, erzählt Frei von beleuchteten Terrassen mit Musikanlagen und Grillstation.

„Ich kenne viele Leute, die sich richtige kleine Paradiese eingerichtet haben, übers Internet einen Partner oder eine Partnerin gefunden haben, die kommen nicht mehr oft in die Clubszene.“ Aber vielleicht gehen sie ja demnächst in Bars. Mit der PivBar gibt es jetzt in Braunschweig eine Adresse mehr. „Und die nächste Generation der Discobesucher kommt bestimmt“, ist sich Gennadi Frei sicher.