Die inklusive Stadt

Selbsttest – mit dem Rolli über Braunschweigs Kopfsteinpflaster

| Lesedauer: 4 Minuten
Wo stoßen Rollstuhlfahrer in Braunschweig auf Barrieren? Eine Selbsthilfegruppe hatte zum Selbstversuch eingeladen. Klaus Hach (von links) führte die Gruppe mit BIBS-Ratsherr Bernhard Piest, Annegret Ihbe (SPD), Heidemarie Mundlos (CDU) und Susanne Hahn (SPD).

Wo stoßen Rollstuhlfahrer in Braunschweig auf Barrieren? Eine Selbsthilfegruppe hatte zum Selbstversuch eingeladen. Klaus Hach (von links) führte die Gruppe mit BIBS-Ratsherr Bernhard Piest, Annegret Ihbe (SPD), Heidemarie Mundlos (CDU) und Susanne Hahn (SPD).

Foto: Bernward Comes / Braunschweiger Zeitung

Braunschweig.  Die Fahrt im Rollstuhl durch die Stadt wird zum Hindernis-Parcours. Ein Selbstversuch mit Ecken und Kanten.

Zu Fuß und mit dem Rad bin ich viel in der Innenstadt unterwegs. Aber noch nie ist mir aufgefallen, dass die allermeisten Bürgersteige zur Straße hin leicht abfallen. Das ist mir erst am Donnerstag bewusst geworden – im Rollstuhl.

Die Selbsthilfegruppe der Rollstuhlfahrer hatte eingeladen: Jeder, der wollte, konnte eine Runde auf vier Rädern durch die Innenstadt drehen. Am Platz der Deutschen Einheit ging es los. Was mir zuerst auffällt: Ich fühle mich ziemlich klein und ungelenk im Rollstuhl. Über das Pflaster vor dem Rathaus rollt es sich noch recht fluffig, doch gleich an der ersten Kante – dem abgesenkten Bürgersteig an der Münzstraße – bleibe ich hängen. Kantenfahren will geübt sein.

Vor mir rollt Heidemarie Fuchs, die schon seit knapp 50 Jahren im Rollstuhl sitzt. Sie kennt die Tücken des Alltags zur Genüge: zu hohe Bordsteine, zu schmale Bürgersteige, fehlende Rampen, im Weg liegende Roller, unaufmerksame Passanten...

Die breiten Fugen vor dem Braunschweiger Dom sind tückisch

Gemeinsam mit dem Behindertenbeirat setzt sich die Selbsthilfegruppe seit Jahren dafür ein, dass die Barrieren für gehbehinderte Menschen in Braunschweig verschwinden. „Wir haben zum Beispiel angestoßen, dass die Bushaltestellen auf dem Altstadtmarkt so umgebaut wurden, dass man besser einsteigen kann“, berichtet Fuchs. Der Einsatz von Niederflurbussen und -trams sei ein weiterer Erfolg: „Wir arbeiten eng mit der Braunschweiger Verkehrs-GmbH zusammen“, so Fuchs.

Ich kämpfe derweil mit meinem linken Rad, habe das Gefühl, dass die Straße mich magisch anzieht. „Der Rollstuhl zieht nach links“, sage ich, aber Fuchs lacht: Nein, das Gefälle sei schuld. Es bewirkt, dass der Regen in die Gosse läuft – und bringt mich gehörig ins Schwitzen. Konzentration ist gefragt: Schnell rutscht ein Rad in die breiten Fugen vor dem Braunschweiger Dom oder bleibt an einer Kante hängen. Meine Oberarme beginnen zu brennen.

Viele Menschen sind hilfsbereit – aber es gibt auch die Rücksichtslosen

Es gibt noch viel zu tun für die Lobby der Rolli-Fahrer: Derzeit testen sie mit Blick auf die „Special Olympics“ im kommenden Jahr– Braunschweig ist Modellkommune – die Hotels und öffentlichen Toiletten auf Barrierefreiheit. „Auch an den Haltestellen Rathaus und Friedrich-Wilhelm-Straße müsste sich noch etwas tun“, findet Heidemarie Fuchs.

Am Ruhfäutchenplatz queren wir die Straße. Klappt schon besser. Ein Lieferwagen hält. Der Fahrer wartet geduldig, bis alle Rollis drüben sind. Auch das fällt mir auf: Dass viele Menschen überraschend zuvorkommend sind. Monika Rohde, die seit sechs Jahren im Rollstuhl sitzt, bestätigt das: „Viele sind höflich und hilfsbereit, insbesondere jüngere Menschen.“ Aber es gibt natürlich auch die Rücksichtslosen, die schimpfen, wenn sie mit ihrem Elektro-Rollstuhl auf dem Radweg fährt. „Mein Rollstuhl fährt schneller als sechs Stundenkilometer: Ich muss auf der Straße oder dem Radweg fahren“, erklärt sie.

Der kommunale Aktionsplan „Braunschweig inklusiv“ soll helfen

Der Rundkurs ist beendet. Ingo Schramm (FDP) resümiert: „Ein gesellschaftliches Umdenken ist nötig. Wir müssen Geh- und Sehbehinderte bei der Stadtplanung stärker berücksichtigen.“ SPD-Ratsfrau Annegret Ihbe bekräftigt: „Bei der Arbeit im Rat und im Bezirksrat müssen wir mehr darauf achten.“ Ein guter Schritt in diese Richtung sei der Aktionsplan „Braunschweig inklusiv“, der derzeit zur Abstimmung in den Gremien ist.

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