Braunschweig. . Die neue Ermittlungsgruppe „Cold Cases“ der Polizeidirektion Braunschweig sucht neue Spuren und setzt auf moderne Technik.

Mord verjährt nie – auch wenn die Ermittlungsakten der Polizei und Staatsanwaltschaft längst zugeschlagen sind. Die Polizeidirektion Braunschweig hat jetzt eine Ermittlungsgruppe „Cold Cases“ gebildet, die ab sofort ihre operative Arbeit aufnimmt. Die sechs Ermittlerinnen und Ermittler werden nach derzeitigem Stand 42 ungeklärte Tötungsdelikte und Vermisstensachen nochmals in den Fokus nehmen. Der älteste Fall ist aus dem Jahr 1945, der jüngste aus 2016.

Um welche Fälle geht es?

Mit Rücksicht auf die Angehörigen möchte die Polizei dazu keine Angaben machen und verweist lediglich auf alte Presseberichterstattungen.

Gibt es gelöste Cold Cases?

Ja. So gelang es der Polizei im Jahr 2005, nach 24 Jahren den Mord an der damals 22-jährigen Doris Mundt aufzuklären. Sie war am 14. Februar 1981 auf dem Weg in eine Diskothek erschlagen worden. Eine DNA-Analyse brachte die Ermittler auf die Spur eines damals 54 Jahre alten Mannes. Das Material war bereits am Tatort an einer Zigarette gesichert worden, konnte aber mit den damaligen Untersuchungsmethoden nicht ausgewertet werden.

Heute ist klar: Auch die Modeverkäuferin Andrea Fechner (22), die am 7. Januar 1981, sechs Wochen zuvor, in einer Boutique überfallen, vergewaltigt und so brutal zusammengeschlagen worden, dass sie starb, wurde ein Opfer des 54-Jährigen. DNA-Spuren waren identisch.

Wie gehen die Ermittler vor?

Alle Fälle werden zunächst noch einmal gesichtet, kategorisiert und nach Erfolgsaussicht priorisiert. Die alten Akten werden mit einem Computer-Programm digital eingelesen, um sie per Volltextsuche auswerten zu können und künftig Ermittlern bundesweit zur Verfügung stehen. Manche Akten seien so zerfleddert, dass sie kaum lesbar seien. „Sie lagerten in Archiven der einzelnen Polizeiinspektionen“, so Oliver Grotha, Leiter der Kriminalitätsbekämpfung.

Bei ihrer Vorgehensweise gehen die Ermittler vor allem auf die Frage ein: Gibt es Beweisstücke, die mit neuen technischen Verfahren neu ausgewertet werden können? So musste noch in den 1970er Jahren die Ermordung an der Mascheroder Bankiersfamilie Kraemer mit einem Blutgruppennachweis aufgeklärt werden. Der Täter hatte Blutgruppe A – wie das Blut an den gefundenen Zigarettenkippen. Michael Pientka: „Heute reichen dafür Mikrospuren, Hautpartikel oder Anhaftungen.“

Hinterbliebene leiden unter quälender Ungewissheit

Die nicht aufgeklärten Kapitaldelikte belasten die Hinterbliebenen der Opfer ein Leben lang und beunruhigen zudem die Bevölkerung nachhaltig. Aus diesem Grund habe gerade die Bearbeitung der ungeklärten Taten einen hohen Stellenwert, sagte Braunschweigs Polizeipräsident Michael Pientka. Die Hinterbliebenen hätten ein großes und berechtigtes Interesse zu erfahren, wie die Umstände des Todes waren. Sie litten unter einer quälenden Ungewissheit. Der jetzt vor Gericht verhandelte Fall des Krankenpfleger Högel belege das.“

Ziel: Wiederaufnahme einzelner Verfahren zu erreichen

Bereits in der Vergangenheit hätten daher die zuständigen Fachkommissariate die ungeklärten Tötungsdelikte nicht aus dem Blick verloren und diese auch stets mit aktuellen Fällen abgeglichen. So konnten im Einzelfall Tatzusammenhänge hergestellt und auch weit zurückliegende Taten ebenfalls aufgeklärt werden. Mit der Konzentration des Personals in der behördenweit agierenden Ermittlungsgruppe „Cold Cases“ sieht Pientka die Chance, ungelösten Kapitaldelikte abseits des „Alltagsgeschäfts“ erneut sorgfältig in den Blick zu nehmen. In enger Abstimmung mit der jeweils zuständigen Staatsanwaltschaft soll es gelingen, die Wiederaufnahme einzelner Verfahren zu erreichen.

Der Artikel wurde aktualisiert. In einer früheren Version des Artikels haben wir ungeklärte Mordfälle aus Braunschweig aufgezählt. Diesen Absatz haben wir nachträglich entfernt. Die Redaktion.