Braunschweig. Stadttauben – verflucht und verklärt, gehasst und gehätschelt. Aber wie „gefährlich“ sind sie wirklich?

Die Stadttaube ist eine Kreatur wie du und ich, sie lebt, pflegt die Ihren, ist glücklich, leidet, hungert oder friert.

Doch ist sie nicht nur ein Wunder, deren Flugeigenschaften auch den besten Computer am Forschungsflughafen alt aussehen lassen. Sie ist auch eine Last, wird als Schmutz-Quelle im Stadtraum als „Ratte der Luft“ gebrandmarkt. Millionen-Werte schützt man mit Gittern und Spitzen, damit die Chemie des Taubenkots nicht die schönen Fassaden zersetzt.

Und an der Eisenbahnbrücke an der Salzdahlumer Straße entzündet sich derzeit wahrer Bürgerzorn, weil die Exkremente der Stadttauben hier nicht wegzubekommen sind. Doch so hässlich und so unangenehm das auch ist, ist es denn auch gesundheitsschädlich? Kann man sich als normaler Passant infizieren und krank werden?

„Mir ist kein einziger Fall einer erwiesenen Übertragung bekannt“, sagt der Experte und Tierarzt Rolf Gramm, den wir um seine Expertise gebeten haben. Natürlich machten Parasiten den Stadttauben zu schaffen, auch Krankheitserreger könnten sich unter ihnen schnell verbreiten.

Und klar, dass Taubenkot gerade unter Nist- und Schlafplätzen – auch angesichts einer eklatanten Falsch- und Mangelernährung der Vögel im Stadtraum – für die Tauben selbst eine Gefahr darstelle. Tatsächlich könnten Krankheitserreger auch auf Menschen übertragen werden, so Gramm. Allerdings kenne er solche Fälle nicht.

Etwas anderes ist es, wenn Berufs-Kräfte bei der professionellen Reinigung betroffener Flächen wie an der Salzdahlumer Straße über längere Zeiträume hohen Konzentrationen ausgesetzt sind. Hier gelten besondere Schutzbestimmungen. Von dieser Gesundheitsgefahr berichtete auch unsere Zeitung – sie lässt sich jedoch, wie sich zeigt, nicht verallgemeinern.

Mehr noch: Auch die Stadttaube leidet wie andere Vögel unter der Zivilisation, weiß Rolf Gramm: „Achtlos weggeworfene Plastikschnüre winden sich um die Füße, die daraufhin absterben. Verkehrsunfälle und Luftgewehrgeschosse (verboten!) tun ein Übriges.“

Auch der Deutsche Tierschutzbund berichtet davon, wie eine schlechte Presse gleichsam zum Jagdsignal auf Stadttauben werden könne. Man stelle ihnen nach, werfe Steine, trete sie mit Füßen.

Tatsächlich hat sich das Image der Taube in der Stadt vollständig gewandelt. Noch in den 1970-er Jahren erschien ein Braunschweiger Bildband, in dem sich – wie auch in anderen Städten – taubenumschwärmte Plätze geradezu durch eine besondere Aufenthaltsqualität auszeichneten.

Doch heute schleppen sich – bei einem Bruchteil damaliger Populationen – geschwächte Vögel über den Hagenmarkt, bis Tierfreunde die Tierrettung kommen lassen. Vorm Schloss werden Taubenpulks heimlich gepäppelt – ein Akt zivilen Ungehorsams, denn das Taubenfüttern in der Stadt gilt als Ordnungswidrigkeit und ist mit satten Bußgeldern bewehrt.

Tatsächlich stellt sich jedoch die Frage, wie ein adäquater Umgang mit den Tauben aussehen kann. Die Stadt will dem Problem zumindest an der Salzdahlumer Straße mit dem Anbringen von Taubenschutzgittern begegnen.

Für Dieter Ruhnke vom Tierschutzbund Niedersachsen ist das nicht der richtige Weg, weil es das Problem doch nur verdrängt. Er plädiert stattdessen für Taubenschläge mit artgerechter Fütterung. Beim Brüten könnte man den Vögeln dann ein Holzei unterlegen. So bekäme man die Sache besser in den Griff.

So sieht das auch Beate Gries aus der hiesigen Tierschutzbewegung. Sie plädiert dafür, „mit tierschutzgerechten Methoden einen gesunden Taubenbestand zu schaffen und ihn in kontrollierter Größe dauerhaft zu erhalten“. Im Kern gehe es um die Schaffung kontrollierbarer Nistplätze in betreuten Taubenschlägen. Danach könne man „unkontrollierte Brutstätten“ dann dicht machen.

Damit ist die Diskussion in der Stadt wieder mal eröffnet. Für den Experten Rolf Gramm steht fest: „Das Thema Tauben ist immer wieder aktuell.“ Es sei notwendig, die Stadttauben zu ihrem eigenen Nutzen in ihrem Bestand zu regulieren, ihnen Nistplätze zu entziehen. Artgerechtes Futter sei wichtig – eben keine Brotreste, die die Tauben krank machten.

Lesen Sie hierzu auch den Kommentar von Henning Noske:

Liebe Taube, böse Taube

Zivilisation erkennt man auch daran, wie wir mit den Tieren umgehen. Zur Zivilisation gehört es aber auch, Belästigungen und Gesundheitsgefahren für uns Menschen intelligent zu beherrschen. Mal offen gesagt: Ekligen Taubendreck muss man nicht hinnehmen. Teure, schöne und denkmalgeschützte Bauten und Fassaden muss man davor schützen. Das ist Werterhaltung. Wahr ist aber auch: Wer zum Merkur fliegen kann und Autos ohne Fahrer um den Stadt-Ring kurven lässt, der sollte doch eigentlich auch ein artgerechtes Stadttauben-Management hinbekommen. Erfinden muss man es ja nicht mehr. Es geht darum, unser Wissen um die Biologie der Kreatur zivilisiert anzuwenden. Und Biologen haben wir doch genug in der Stadt. Und vor allem: Es mangelt auch nicht an Tierschutz-Beseelten, an Menschen, die nur darauf warten, ehrenamtlich dabei helfen zu können. Es ist ja keine schöne Vorstellung, dass man heute heimlich leidende Tiere füttern muss und dabei nicht erwischt werden darf. Da stimmt doch etwas nicht. Viel besser wäre es, ein solches Engagement zu fördern und vernünftig zu begleiten. Denn nicht alles, was man den Tauben hinwirft, bekommt ihnen auch. Ein Gemeinwesen, das handlungsfähig ist und dies immer wieder unter Beweis stellt, wird doch wohl vor Taubendreck nicht kapitulieren.