Braunschweig. Belgische Obstbäume und Steine, eine Erinnerungstafel – das Gedenken an die Ereignisse im Ersten Weltkrieg hat seinen Ort im Wohnquartier „Roselies“.

Belgische Obstbäume im Spalier, belgischer Stein in den Rasen eingelassen, eine Erinnerungstafel, am Nachmittag ein Kinderfest – die Eröffnung des „Gartens der Erinnerung“ im Wohnquartier „Roselies“ in Braunschweig-Lindenberg an der Eulerstraße geriet am Samstag zu einem gelungenen Akt der Verständigung mehr als 100 Jahre nach den Ereignissen im Ersten Weltkrieg. Dass damit auch mancher Zwist und manche Peinlichkeit endgültig ein gutes Ende fanden, wurde dankbar registriert.

Zur Eröffnung wurde ein rotes Band durchschnitten. Von links: Annegret Ihbe, Ulrich Markurth, Daniel Tilmant, Mario Pazzi und weitere Mitglieder der belgischen Delegation.
Zur Eröffnung wurde ein rotes Band durchschnitten. Von links: Annegret Ihbe, Ulrich Markurth, Daniel Tilmant, Mario Pazzi und weitere Mitglieder der belgischen Delegation. © Henning Noske

Eine Delegation aus Belgien unter der Führung von Daniel Tilmant, Präsident des regionalen belgischen Gedenkkomitees, nahm an der Eröffnung teil, symbolisch wurde ein rotes Band durchschnitten. „Ich hoffe, dass dieser Garten den Bewohnern Braunschweigs zugute kommt, dass er als Zeichen des Friedens auch ein Zeichen erneuerter Freundschaft ist“, sagte Tilmant auch im Namen des Bürgermeisters Jean Fersini. Gedenken sei Erinnern – und Erinnern sein Vereinen. Zur Intelligenz der Völker gehöre es, den jeweils anderen zu entdecken und damit den Frieden aufzubauen.

Braunschweigs Oberbürgermeister Ulrich Markurth erklärte, der Weg von tiefen Verletzungen bis hin zur Annäherung sei schmerzhaft gewesen. Jetzt habe man das Trennende gemeinsam aus dem Weg geräumt und eine Erinnerungspartnerschaft mit Leben gefüllt. Der „Garten der Erinnerung“, in dem sich dies jetzt in Braunschweig manifestiere, sei unaufdringlich in der Form, aber sehr eindringlich in Gestaltung und innerem Gehalt.

Roselies-Erinnerungsgarten eröffnet

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    Das dies gelang, ist insbesondere das Verdienst der Braunschweiger Kulturdezernentin Anja Hesse, die das Konzept eines Gartens auf einer Wiese auf d er Basis symbolischer Steine ausarbeitete und durchsetzte. Auch ohne die menschliche Wärme und Beharrlichkeit einer Bürgermeisterin Annegret Ihbe, die die Erinnerungspartnerschaft vorantrieb und in Belgien Sympathien zu gewinnen vermochte, wäre man nicht so weit. Schließlich spielte auch das beharrliche und unbequeme Engagement der Braunschweiger BIBS-Ratsfraktion um Peter Rosenbaum, der die Roselies-Frage in Braunschweig aufgebracht hatte, eine wesentliche Rolle.

    Im Kern geht es darum, das Fortleben des Namens eines belgischen Dorfes – Roselies – im Braunschweiger Alltag zu erklären und einem angemessenen Erinnern zu öffnen.

    Zunächst hieß so die 2003 geschlossen Kaserne der Deutschen Wehrmacht und später der Bundeswehr – im Rahmen einer Traditionspflege, wie sie heute anders verstanden wird. Im belgischen Roselies hatte sich praktisch schon im August 1914 nur wenige Tage nach Kriegsausbruch die Katastrophe des Ersten Weltkrieges abgezeichnet. Statt wie erhofft durch Belgien „durchzumarschieren“, wurden auch braunschweigische Soldaten in verlustreiche Kämpfe verwickelt, bei denen Zivilisten getötet wurden. Eine Forschungsgruppe des Braunschweigischen Landesmuseums hatte 2015 bestätigt, dass dabei von Angehörigen des braunschweigischen Infanterieregiments 92 auch Kriegsverbrechen begangen wurden.

    Daniel Tilmant machte eindrucksvoll klar: „Die Pflicht zur Erinnerung ist keine Strafe, keine Last ...“ Erst wenn Nationen, die gleiche Konflikte und gleiche Schicksale erlebt hätten, die Zeremonien des Trauerns und des Erinnerns teilten, könne man den Frieden stärken. Tatsächlich sind die diplomatischen Kontakte samt Erinnerungspartnerschaft zwischen Braunschweig und der belgischen Gemeinde Aiseau-Presles, in der Roselies liegt, bemerkenswert und selten in der bundesdeutschen Landschaft. Man habe ein gemeinsames Ziel – Erinnerungsarbeit und Versöhnung – und jetzt in Braunschweig einen geeigneten Ort, so Oberbürgermeister Ulrich Markurth.

    Auf einem Teil der Grünfläche an der Eulerstraße mitten im Wohngebiet ist ein kleines, von belgischem Spalierobst eingerahmtes Areal mit Trennsteinen aus belgischem Stein entstanden – und lädt zum Verweilen ein. Der „Garten der Erinnerung“ ist laut Stadt Braunschweig „erlebbares Symbol einer Erinnerungspartnerschaft mit der belgischen Gemeinde Aiseau-Presles, zu der die Gemeinde Roselies heute gehört, und auf die der Name der Roseliesstraße verweist“. Die Texttafel als Bestandteil des Gartens informiere über die Geschehnisse während des Ersten Weltkriegs in Roselies (siehe Dokumentation).

    Dokumentation: Text der Erinnerungstafel

    „Roselies – Garten der Erinnerung

    Das seit 2008 neu errichtete Baugebiet in Braunschweig-Lindenberg wird durch die Roseliesstraße erschlossen. Der 2010 vergebene Name dieser Straße erinnert an die Roselieskaserne, die 1938 errichtet und bis 1945 militärisch genutzt wurde. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges dienten die Gebäude bis 1958 als Unterkunft für von den Nationalsozialisten zwangsdeportierte Ausländer (so genannte Displaced Persons, die aufgrund ihrer drohenden Verfolgung nicht in ihre Heimat zurückkehren wollten) und für deutsche Flüchtlinge. Später nutzte auch die Royal Amy das Areal. Im Jahr 1962 bezogen die ersten Einheiten der Bundeswehr die Kaserne, die weiterhin den Namen Roselies führte. Die Schließung der Kaserne erfolgte 2003. Von den ehemaligen Kasernengebäuden sind mehrere im nördlichen Teil des Baugebietes erhalten.

    Eine Gedenktafel ist Teil des „Gartens der Erinnerung“.
    Eine Gedenktafel ist Teil des „Gartens der Erinnerung“. © Henning Noske

    Die 1938 erfolgte Benennung der Kaserne durch die Wehrmacht entsprang sowohl dem Bedürfnis nach einer Anknüpfung an die Traditionen Braunschweigischer Infanterie als auch – zeittypisch – nach einer Verbindung zum militärischen geschehen des Ersten Weltkrieges. Aus diesem Grund wurde das belgische Dorf Roselies (50 km südlich von Brüssel) als Namensgeber gewählt, das am 22. und 23. August 1914 im Rahmen der Schlacht an der Sambre zum Austragungsort einer verlustreichen militärischen Auseinandersetzung zwischen deutschen und französischen Truppen wurde, dabei wurden auf beiden Seiten mehrere Hundert Soldaten getötet oder verwundet. Die zweitägigen Gefechte waren zugleich die ersten Kämpfe, an denen das in Braunschweig stationierte Infanterieregiment 92 beteiligt war. Im Rahmen dieser Kämpfe, bei denen das Dorf erheblich zerstört wurde, töteten deutsche Soldaten in Roselies auch mehrere belgische Zivilisten, darunter den Ortspfarrer Abbé Pollart.

    Die Erinnerung an diese Geschehnisse spielt in Roselies, das heute Bestandteil der Gemeinde Aiseau-Presles ist, bis in die Gegenwart eine wichtige Rolle. Aus Anlass der 100. Wiederkehr des Ausbruches des Ersten Weltkrieges und vor dem Hintergrund der fortschreitenden Versöhnung der ehemaligen Kriegsgegner im Rahmen des europäischen Einigungsprozesses haben die Gemeinde Aiseau-Presles und die Stadt Braunschweig 2014/15 Kontakt miteinander aufgenommen. Daraus ist eine Erinnerungspartnerschaft entstanden, die in diesem Garten der Erinnerung einen konkreten Ort findet und dem Wunsch nach Frieden und guter Nachbarschaft in Europa Ausdruck verleihen soll.

    Dieser Garten der Erinnerung nimmt mit der Flächengestaltung mit Steinplatten aus Belgien und der Pflanzung von belgischem Spalierobst sowie der Rose „Friedenslicht“ Bezug auf jene Region, der die Stadt Braunschweig in Zukunft in Freundschaft verbunden bleiben wird.“