Braunschweig. Die Bundesliga-Relegation spaltet die Region. VfL Wolfsburg und Eintracht Braunschweig treffen aufeinander.

Bis zum Schluss hatten beide Seiten gehofft, dieses Szenario vermeiden zu können. Die einen, die Zweitliga-Fußballer von Eintracht Braunschweig, hatten bis zur 0:6-Klatsche in Bielefeld gehofft, direkt in die Bundesliga aufzusteigen. Und die anderen, die Kicker des VfL Wolfsburg, wollten wohl bis zum letzten Spieltag in Hamburg nicht wirklich wahrhaben, dass sie um ihren Platz in Deutschlands Eliteliga bangen müssen. Doch dann köpft ein gewisser Luca Waldschmidt in der 82. Minute ins Wolfsburger Tor, und der VfL findet sich nach einer 1:2-Niederlage gegen den HSV plötzlich auf Tabellenplatz 16 wieder. Der bedeutet Relegation. Da in der 2. Liga einen Tag später eine Überraschung ausbleibt, und Stuttgart und Hannover ihre Hausaufgaben machen, wird Eintracht Dritter und damit Gegner des VfL in den zwei Spielen, die über die Zugehörigkeit zur Bundesliga entscheiden.

Mehr Fußball-Drama geht kaum. Die beiden größten Klubs der Region in einem direkten Duell um Aufstieg und Abstieg gegeneinander. Da die Wolfsburger, die ihren durch viele VW-Millionen gestützten Ambitionen schon eine Saison hinterherlaufen und nun ausgerechnet gegen den Erzrivalen um alles spielen. Nach einer Niederlage in der Relegation ausgerechnet gegen Eintracht abzusteigen, würde die Katastrophe noch ein wenig größer erscheinen lassen. Und dort die Braunschweiger, die auf den ersten Blick viel weniger zu verlieren haben. Aber welcher Eintracht-Fan will schon gegen den ungeliebten Nachbarn unterliegen. Gegen jenen VfL, dem viele in Braunschweig und Umgebung bis heute die Anerkennung verweigern und deshalb auch nicht von einem Derby sprechen wollen, obwohl zwischen beiden Städten nicht mal 30 Kilometer liegen.

Es sind diese Zutaten, die diese Relegation, die auch unter normalen Umständen eine dramatische Zuspitzung der sportlichen Entscheidung ist, diesmal so brenzlig machen. Brenzlig für die beiden Klubs, für ihre Fans, für die Polizei, für die ganze Region. Es ist eine Ausnahmesituation. Und das zeigt sich bereits im Hinspiel in Wolfsburg.

Für die einen wurde Mario Gomez am Abend des 25. Mai zum Helden, für die anderen zu einem Feindbild. Es lief die 34. Minute, als eine doppelte Fehlentscheidung Sascha Stegemanns zum 1:0 für den VfL führte. Erst übersah der Referee ein Handspiel Gomez’, um Sekunden später auf Strafstoß zu entscheiden, weil Eintrachts Verteidiger Gustav Valsvik den Ball aus Nahdistanz an den Arm bekam. Gomez war’s egal, er brachte seine Grün-Weißen vom Punkt in Führung, nachdem sich beide Teams zuvor weitestgehend neutralisiert hatten.

Ärger hatte es bereits vor dem Anpfiff gegeben. Auf dem Marsch der Braunschweiger Fans in Richtung VW-Arena setzte die Polizei Wasserwerfer ein, angeblich hatten einige Anhänger die Route verlassen wollen, zudem seien Flaschen und Steine auf die Beamten geflogen. Vonseiten der Eintracht-Fans wurde der Einsatz als unverhältnismäßig kritisiert. Rund 3000 von ihnen fanden den Weg in die VW-Arena, die aufgrund der strengen Kartenvergabe-Praxis des VfL mit nur 29 100 Zuschauern nicht ganz ausverkauft war.

Die sahen nach dem 1:0 durch Gomez ein packendes, aber kein hochklassiges Relegationsspiel. Eintrachts Keeper Jasmin Fejzic vereitelte die eine oder andere VfL-Gelegenheit, während die Braunschweiger kaum gefährlich vors Tor kamen. Bitter aus Sicht der Gäste: Der in der 60. Minute erst eingewechselte Stürmer Domi Kumbela musste zwölf Minuten später wegen einer Muskelverletzung wieder vom Platz. In der Nachspielzeit sorgte die Eintracht in Person von Ken Reichel mit einem Distanzschuss noch für Gefahr, aber mehr kam nicht. Es blieb beim 1:0.

Nach dem Schlusspfiff wurde natürlich der Elfmeterpfiff ausgiebig diskutiert. VfL-Sportdirektor Olaf Rebbe erklärte: „Für den Schiri war das schwer zu bewerten. Aber man kann das vertreten.“ Eintrachts Trainer Torsten Lieberknecht war sauer und schimpfte auf Stegemann: „Er hat uns schon in Hannover einen Elfmeter verwehrt, einen klaren. Das ist so bitter.“ Sein Spieler Hendrick Zuck fasste die Braunschweiger Meinung kurz und knapp zusammen: „Der Elfmeter war ein Witz.“

Dennoch gaben sich die Blau-Gelben kämpferisch. „In Braunschweig werden wir Gas geben, alles versuchen. Dann werden wir mal sehen, wer den Platz als Sieger verlässt“, sagte Angreifer Onel Hernandez, der in der Vorsaison noch für die U23 der Grün-Weißen gespielt hatte. Und deren Trainer Andries Jonker erklärte: „Ein 1:0 ist gut, zu null ist auch immer gut. Aber ein Tor mehr für uns wäre noch besser gewesen.“

Für Diskussionen abseits des Platzes sorgte im Nachgang noch eine weitere pikante Aktion. Die Schuhe der Braunschweiger waren vor Anpfiff pitschenass. Sie hatten sie in der Dusche gelagert. „Vielleicht hat sich da irgendein Wolfsburger einen Scherz erlaubt. Ich weiß nicht, ob so etwas sein muss. Aber normalerweise wird so etwas bestraft“, sagte Ken Reichel. Doch der VfL wies die Schuld von sich, schob alles auf die Technik. Ein aus Hygienegründen automatisch ausgelöster Spülvorgang der Duschen habe die Schuhe durchnässt. „Es handelt sich hierbei also keinesfalls um eine bewusste Störung durch den VfL“, so das offizielle Statement von Wolfsburgs Veranstaltungsleiter Thomas Franke.

Doch alle Beschwichtigungsversuche aus Wolfsburg können nichts daran ändern, dass die Eintracht das Rückspiel in Braunschweig mit viel Schaum vor dem Mund beginnen wird. Lieberknecht hatte seine Mannschaft noch auf dem Rasen der VW-Arena auf diese Partie eingestimmt. Und einem TV-Journalisten hatte er fast schon beschwörend ins Mikrofon in Richtung VfL gesagt: „Kommen Sie mal Montagabend nach Braunschweig, jaaa! Da wissen Sie, was los ist.“

Los war an diesem 29. Mai dann wirklich viel. Zunächst aus Braunschweiger Sicht auch eine Menge Positives. Mit einer Choreografie, die Gänsehaut brachte, hatten die Eintracht-Fans das Spiel eingeläutet. Und die Löwen ließen sich von der Stimmung antreiben, versuchten ihre kleine Chance doch noch am Schopfe zu packen. Wie im Hinspiel waren Chancen da, in Führung zu gehen. Reichel hatte die beste Möglichkeit. Eintracht drückte, setzte den VfL unter Druck. Der wirkte unsicher, instabil, spielte – mal wieder – deutlich unter seinen Möglichkeiten. Doch die Blau-Gelben konnten diese Schwäche nicht für sich nutzen. Mit einem 0:0 ging es in die Kabine.

Nach dem Seitenwechsel kippte aber zunächst die Stimmung und dann das Spiel. Ein Böllerwurf aus Block 9 auf einen eigenen Ordner kurz nach der Pause zeigte das hässliche Gesicht des Braunschweigers Anhangs. Plötzlich war es fast still im Stadion. Kein Gesang, keine Anfeuerung fand mehr statt. Es mag Zufall gewesen sein, dass ausgerechnet in diesen Minuten Wolfsburgs Treffer fiel, doch Eintrachts Präsident Ebel sah zumindest einen Zusammenhang. „Dadurch gab es einen Bruch im Spiel.“

Beim VfL wurde Vierinha zum Helden. Sein Tor sorgte bei den Grün-Weißen für die nötige Sicherheit. In dem Moment, wo der Klassenerhalt so gut wie greifbar war, spielten die Wolfsburger, wie man es von einem Erstligisten erwartet: abgeklärt und ballsicher. Die Horror-Saison endete doch noch mit einem Happy End. Die Rückfahrt nach dem 1:0-Sieg nach Wolfsburg geriet zur größten Party seit dem Pokalsieg 2015.

Bei Eintracht herrschte dagegen Katzenjammer. „Deshalb hasse ich die Relegation. Mit so einer Entscheidung ist die Saison fast im Arsch“, hatte Lieberknecht bereits nach dem umstrittenen Elfmeterpfiff im Hinspiel gesagt. Nun hatte er endgültig Recht behalten. Die Herbstmeisterschaft, die vielen Punkte, die guten Leistungen der Eintracht – alles umsonst. Der Traum vom Aufstieg war geplatzt. Bei einigen Zuschauern entlud sich der Frust auf unschöne Weise. Mit einem Platzsturm und Provokationen Richtung VfL-Fans endete eine tolle Saison auf bittere Weise. Davon hat sich Eintracht bis heute nicht richtig erholt. Es ist nur ein schwacher Trost, dass es für den VfL nach der erfolgreichen Relegation auch nicht besser lief.