Évian-les-Bains. Mario Götze ist die Symbolfigur der deutschen Sturmflaute – er spielt überragend oder vollkommen enttäuschend. Dennoch: Löw glaubt noch an ihn.

Auch Mario Götze bekam am Sonnabend einen Tag frei, wie die gesamte deutsche Nationalmannschaft, um mal abzuschalten. Spötter fanden dazu passend eine schöne Spitze: Warum eigentlich, fragten sie sich. Abgeschaltet hatte Götze ja schon am Donnerstagabend, als er 66 Minuten lang bis zur Auswechslung beim 0:0 im zweiten EM-Gruppenspiel gegen Polen völlig wirkungslos blieb.

Das ist sicher etwas unverschämt. Zu einer fußballerischen Darbietung gehören ja immer zwei Teams. Und wenn eines seine Sache gut gemacht hat, muss das andere nicht zwangsläufig versagt haben. Nur ist das nicht die gängige Maßeinheit, mit der Mario Götzes Darbietungen in Deutschland bewertet werden: Beim 24 Jahre alten Münchner scheint es nur zwei Aggregatzustände zu geben: die heiße Entzückung (ganz früher oft), oder die frostige Enttäuschung (heute oft). Dazwischen findet man nichts. Götze spielt entweder überragend, oder mies. Geht so, gibt’s nicht. Dass zeigte sich in einem „Abschiedsbrief“ an den ehemaligen Weltklasseangreifer Götze, der am Freitag auf focus.de erschienen ist. Und das wiederum erzeugte heftige Reaktionen wie vom Schalker Dennis Aogo: Er nannte den Artikel „respektlos“. „Wir haben uns auch mehr erhofft“, sagte Götze nach dem Remis. „Aber es war schwierig gegen einen so tiefstehenden Gegner.“ Dass er gegen Polen viel nach hinten gearbeitet hatte, wie Bundestrainer Joachim Löw das hervorhob - unwichtig. Vorn spielt bekanntlich die Musik, und da sucht Götze bei diesem Turnier noch immer nach dem passenden Beat.

„Wir hätten uns natürlich mehr Möglichkeiten erspielen sollen und müssen. Aber wenn zehn Mann verteidigen, ist es nicht leicht, Tiefe zu schaffen“, sagte er. Götze leidet bei dieser EM an einer Verengung des Spielplatzes, was erstaunlich ist. Denn er ist genau der Spieler, der den Raum weiten soll - mit Sprints in die Tiefe, mit schnellen, kurzen Richtungsänderungen und Kombinationsfähigkeit.

Götze Spiel, das man irgendwann mal „falsche Neun“ oder „hängende Spitze“ getauft hat, ist eigentlich prädestiniert für die Enge. Aber bisher ist Götze die durchhängende Spitze geblieben. Das macht den Bayer zur Symbolfigur der deutschen Sturmflaute. Löw stellte sich am Sonnabend zwar demonstrativ vor seinen Angreifer, als er sagte: „Ich war nicht zufrieden mit der Offensive, aber ich glaube an ihre Qualität.“ Doch er sprach auch an, was seiner Mannschaft fehle und Götze eben nicht ist: „ein Spieler, der eins gegen eins gehen kann und dadurch Räume schafft“. Götze sei ein hervorragender Passspieler, der dadurch Chancen kreieren können, sagte der 59-Jährige. Aber er sagte auch, dass er gegen Nordirland am Dienstag personelle Wechsel vornehmen werde: Mario Gomez könnte statt Götze beginnen.

Für Mario Götze ist das keine gute Nachricht, denn diese EM ist maßgeblich für ihn: Dass sie den Angreifer beim FC Bayern gern nach Liverpool verkauft hätte, ist kein Geheimnis. Und obwohl Götze seinen Wunsch nach einem Verweilen in München verkündet hat, geht es ab sofort auch um seine Zukunft: Spielt er ein gutes Turnier, werden Angebote eintreffen, die ihn vielleicht von einem Wechsel überzeugen. Oder ein gewisser Carlo Ancelotti überlegt sich noch einmal, ob er Götze für seine Bayern-Vision nicht doch gebrauchen könnte. Bisher spielt Götze aber kein gutes Turnier.

Was er von sich selbst noch in Frankreich erwarte, wurde Götze gefragt. „Dass ich ein Tor mache, wenn ich vorne spiele“, antwortete Götze. Löw würde das auch gerne sehen. Das Vertrauen in Götze hat er jedenfalls nicht verloren: „Er wird schon noch kommen“, sagte Löw.