Wolfenbüttel. Vor einem Jahr wurde das Engagement von Sabine Bracker mit dem Gemeinsam-Preis ausgezeichnet. Am Montag werden die Preisträger dieses Jahres geehrt.

Der Gnadenhof nahe Wolfenbüttel ist etwas Besonderes in unserer Region. Sabine Bracker versorgt dort Tiere, die sonst keiner haben will. Ihr ehrenamtlicher Einsatz wurde im vergangenen Jahr mit dem Gemeinsam-Preis und 3000 Euro gewürdigt. Im Interview mit Cornelia Steiner erzählt sie von ihrer Arbeit und dem Verein für misshandelte Tiere.

Frau Bracker, vor einem Jahr lebten Sie und Ihr Mann hier in Klein Biewende mit 4 Hunden, 6 Katzen, 18 Kaninchen, 3 Ziegen, 3 Schafen, 3 Enten, 7 Pferden, 2 Minischweinen und 2 Kakadus. Hat sich daran etwas verändert?

Es sind 8 Tiere im Kleintierbereich mehr geworden. Aus dem Tierheim in Braunschweig haben wir zum Beispiel Asco bekommen, einen krebskranken Pudel. Er ist ungefähr 15 Jahre alt, taub und blind. Sein Besitzer, ein älterer Mann, hatte Asco ins Tierheim gegeben, weil er erst ins Krankenhaus kam und danach ins Altenheim ziehen musste. Asco ist wegen seines Alters und der Krankheit nicht mehr vermittelbar. Mit der Tierheimsituation kam er nicht zurecht. Also haben wir ihn aufgenommen.

Den Weg in den Garten und zurück ins Haus findet er inzwischen allein. Er hat Vertrauen gewonnen. Ich würde dem alten Mann gern Bescheid geben, dass sein Hund gut versorgt ist – aber leider haben wir keine Adresse von ihm.

Was wäre mit Asco passiert, wenn Sie ihn nicht zu sich geholt hätten?

Das ist schwer zu sagen. In den meisten Fällen ist es so, dass die Tiere, die zu uns kommen, anderswo keine Chance mehr bekommen haben. Sie sind krank oder wurden misshandelt. Viele haben Schlimmes erfahren und sind verstört.

Wir haben zum Beispiel einen Cockerspaniel, der von seinen früheren Besitzern oft mit der Dachlatte geschlagen wurde. Der Hund war nicht nur körperlich verletzt, sondern er hat auch einen psychischen Schaden davongetragen: Er reagiert mitunter sehr speziell.

Wir haben Kaninchen, die in viel zu kleinen Ställen hausen mussten und dauerhaft geschädigt sind. Wir haben Pferde, die kaum Auslauf bekommen haben und unterernährt waren. Wir haben Kakadus, die sich aus Trauer selbst verletzen, weil ihre einstigen Besitzer sich von ihnen getrennt haben.

Seit September 2011 lebt auch Omi bei uns, eine Golden-Retriever-Hündin. Sie ist zwölf Jahre alt und hatte einen Tumor. Der Familie, bei der Omi mehrere Jahre gelebt hat, war eine Operation zu teuer – der Hund sollte eingeschläfert werden. Zum Glück hat eine Nachbarin den Tierschutz informiert. Wir haben sie für 200 Euro operieren lassen, der Tumor war gutartig.

Ein anderes Beispiel ist Anton, unser drittes Minischwein. Er lebt seit Januar hier. Anton ist ein ganz typischer Fall: Die früheren Besitzer hatten zwei Minischweine gekauft. Sie hatten aber nicht bedacht, dass auch Minischweine wachsen und bis zu 100 Kilo auf die Waage bringen können.

Die beiden kamen nach draußen, doch das eine Schwein bekam eine Blasenentzündung. Die Besitzer ließen dieses Tier mit einem Bolzenschussgerät töten, anstatt es weiter behandeln zu lassen. Daraufhin kontaktierte uns die behandelnde Tierärztin, da sie befürchtete, dass das zweite Schwein vielleicht aus Bequemlichkeit auch getötet werden könnte. Denn es ist nicht ganz leicht, ein bereits erwachsenes Minischwein unterzubringen. Und so kam Anton schließlich zu uns.

Würden Sie Anton oder eines der anderen Tiere abgeben, wenn sich jemand dafür interessiert?

Nein, die Tiere, die einmal hier ankommen, bleiben auch hier. Wir tragen die Verantwortung für sie. Wir sind die letzte Station nach dem Tierheim. Wir nehmen ja auch keine Tiere von Privatleuten, sondern nur vom Tierheim, oder wenn Polizei, Tierschutz oder Tierärzte einschreiten müssen.

Ist es nach wie vor so, dass Sie rund um die Uhr für die Tiere da sind, dass keine Zeit zum Reisen oder Ausgehen bleibt, dass Sie viel eigenes Geld in Tierarztbesuche, Operationen und Futter investieren?

Ja, aber das empfinde ich nicht als Belastung. Das ist mein Leben, und mein Mann trägt diese Entscheidung mit. Wir beide erleben mit den Tieren sehr viele schöne Momente. Wir sind natürlich auf unsere Spender und Sponsoren angewiesen, die den Verein regelmäßig unterstützen. Ohne sie wäre das alles nicht möglich.

Aber warum machen Sie das?

Weil auch Tiere es wert sind. Sie haben genauso wie jeder Mensch das Recht darauf, würdig und ehrfürchtig behandelt zu werden – auch wenn sie krank oder alt sind. Wir möchten ihnen ihre Zeit so angenehm wie möglich machen, egal, ob es noch einige Jahre oder nur noch ein paar Wochen sind.

Viele Menschen behandeln Tiere wie Gegenstände: Die Tiere müssen ihnen dienen, und wenn es Probleme gibt, werden sie ausrangiert und weggeschmissen. Ich sehe das anders: Ich diene den Tieren.

Gab es ein bestimmtes Ereignis, das Sie zu dieser Haltung gebracht hat?

Ich bin in der Landwirtschaft groß geworden und habe schon damals kranke und behinderte Katzen nach Hause gebracht. Mein Vater hatte erst einen Milchbetrieb, später einen Reitbetrieb. Ich bin auf Turnieren geritten, und mein Pony musste unter meinem jugendlichen Ehrgeiz auch leiden. Irgendwann kam der Punkt, wo ich es hätte abgeben müssen, um auf ein Großpferd umzusteigen. Das wollte ich aber nicht. Ich habe das Pony behalten – bis Januar dieses Jahres. Im Alter von fast 32 Jahren ist Bingo gestorben, davon haben wir 29 Jahre gemeinsam verbracht. Ich hatte immer den Wunsch, ihm etwas von dem zurückzugeben, was er mir Gutes gab.

Hat der Gemeinsam-Preis Ihre Arbeit verändert?

Er hat sie gestärkt. Ich habe viele positive Reaktionen bekommen, von Tierschutzverbänden, Tierheimen, Tierärzten – alle haben sich riesig gefreut. Es war fast so, als hätten wir alle diesen Preis bekommen. Es kommt selten vor, dass Tiere in der Öffentlichkeit so eine Wertschätzung erfahren. Das Gegenteil ist häufiger der Fall.

Gab es auch negative Reaktionen?

Ja, leider. Einige äußerten sich abfällig – nach dem Motto: Es ist schade um das Preisgeld. Aber das sind Einzelmeinungen.

Mit dem Großteil des Geldes haben wir übrigens die Physiotherapie für unsere Hündin Cara finanziert. Cara stammt aus Griechenland. Man hatte sie und ihre Schwester dort in ein Erdloch geworfen – offenbar um die beiden zu entsorgen. Über Umwege kamen die Hunde nach Deutschland und schließlich zu uns. Caras Hinterlauf war stark verkrüppelt, die Kniescheibe zertrümmert. Dank des Gemeinsam-Preises konnten wir sie nun endlich operieren lassen, und jetzt kann sie das Bein wieder belasten und richtig laufen. Das ist ein großer Erfolg!