Viel Gedöns um Hermann Löns: Ein Ort, schön wie eine Heckenrose

WINKEL. "Die Holunderblüten sind wunderbar", sagt Richard Dieterichs, zieht einen Ast mit einer prallen, weißen Dolde unter seine Nase, riecht genüsslich, steckt sich ein paar Blüten in den Mund und freut sich auf den nächsten Eierpfannkuchen. "Mit Holunderblüten schmeckt der ganz ausgezeichnet", weiß der 88-Jährige. Wenn Dieterichs durch Winkel, der kleinen Ortschaft nahe Gifhorn am äußersten Rand der Südheide spaziert, kennt er jeden Strauch, jeden Baum, jeden Winkeler sowieso. Nichts entgeht ihm. "Die Linde blüht, das gibt einen schönen Tee", freut er sich.

Dieterichs liebt die Natur, und davon gibt es in und um Winkel herum reichlich. Dass in dem Ort rund 900 Menschen leben, mag viele Besucher, die am Wochenende beispielsweise aus Braunschweig kommen, überraschen. Nicht, dass sie sich verstecken, die Winkeler das könnte in früheren Jahrhunderten der Fall gewesen sein, als es dort nur wenige Häuser, Bauern und auch Wilderer gegeben hat , doch es mag an der Größe der Grundstücke liegen, die nicht kleiner als 1500 Quadratmeter sein dürfen. Vielleicht kommen deshalb die Großstädter so gern. Die Winkeler leben eben in anderen Dimensionen und haben die Schweiz vor der Haustür. Die Gifhorner Schweiz, nicht wirklich alpin, aber ein schönes Fleckchen Heide, das seit langem unter Naturschutz steht.
"Die Heide brennt"
Der Reiz der Natur war es wohl auch, der Anfang des 20. Jahrhunderts Hermann Löns nach Winkel führte. Im Dorfkrug logierte er. Schrieb, trank mal mehr, mal weniger, schrieb weiter manchmal laut Dieterichs Überlieferungen sogar nächtelang und war Gast diverser Jagdgesellschaften. Ein Stück von Löns lebt in Winkel immer noch. Im Löns-Weg oder im Lönskrug und demnächst beim "Heidenspaß mit viel Gedöns", um wie naheliegend Hermann Löns. Zwischen dem 1. und 16. Juli sind eine Vielzahl von Veranstaltungen dem Heidedichter gewidmet (Weitere Informationen unter der Telefonnummer 0 53 71/ 5 30 38). Premiere hat am 7. Juli das Theaterstück "Löns' erster Tag in Winkel", geschrieben von Heimatforscher Dieterichs.
Gar lustig wird es unter dem Motto "Hermann Löns, die Heide brennt", einem Fest in der Halle des Winkeler Reitvereins St. Georg. Weniger begeistert sind die Reiter momentan allerdings von den Plänen, dass das Gelände nahe der Reitanlage der Wohnbebauung geopfert werden soll. Reihenhäuser könnten es unter Umständen werden, befürchten die Lokalpolitiker. Nun soll ein Bebauungsplan den Ortskern vor Schlimmerem schützen. Politik wird übrigens in Winkel auch im Lönskrug gemacht. Der Unterhaltungswert ist manchmal nicht weit entfernt von den Kurzgeschichten des Heidedichters, beispielsweise, wenn der Dackel des Bürgermeisters unbedingt gekrault werden möchte, während gerade über eine marode Brücke am Allerkanal diskutiert wird.
Den schmalen Kanal, einst zum Hochwasserschutz des Allertals gebaut, säumt Winkel im Süden, nur wenige Meter entfernt von der ICE-Strecke. "Dahinter liegt bereits Sibirien", wie Dieterichs schmunzelnd erzählt. 25 Jahre betrieb er zusammen mit seiner Frau das einzige Lebensmittelgeschäft in Winkel. 1972 gab er auf, kümmerte sich nur noch um Pensionsgäste, Heimatgeschichte, Schützenverein und Feuerwehr, zu deren Gründern er ebenfalls gehört. Auch die musste sich inzwischen auflösen.
Zünftig: Ein Bett im Heu
Dafür gibt es jetzt ein "Heuhotel" in Winkel. Direkt an der Aller am Rand endloser Wiesen kann man im Heu von Stallboxen zünftig übernachten. 800 Schafe gibt es da, doch die sind meist mit dem Schäfer unterwegs während Familie Wollschwein grunzend die Gäste begrüßt. Die Störche auf den Wiesen sind selten geworden, erklärt Dieterichs. Birkhühner gibt es schon lange nicht mehr und auch Pilze sowie Heidel- und Preisselbeeren sind selten. Das macht ihn nachdenklich, den 88-Jährigen. "Winkel muss eine Oase der Ruhe und Erholung bleiben." Der Ort sei bereits an die Grenzen der Zerstörung seiner Eigenarten geraten. "Wenn der Mensch in die Natur eingreift, schadet er letztlich sich selbst." Doch Winkel soll Winkel bleiben "wie eine Heckenrose, die in ihrer Ursprünglichkeit schön ist und keinerlei Kosmetik bedarf", sagt Dieterichs. Das hätte Naturfreund Hermann Löns wohl kaum besser sagen können.