Erich Helmer hat als Pfarrer im Heim Freistatt gearbeitet

Sechs Wochen lang hat Erich Helmer 1968 als Pfarrer im diakonischen Heim in Freistatt im Kreis Diepholz gearbeitet. Dort waren Jugendliche untergebracht, die als kriminell galten, und Jugendliche, die von ihren Eltern abgeschoben worden waren.

Helmers Auftrag lautete, die Jugendlichen zu betreuen und mit ihnen Wege aus der Kriminalität zu finden. Dazu kam er aber nicht. Die Jugendlichen mussten von morgens bis abends im Moor schuften. Freizeit gab es nicht, Räume für Einzelgespräche oder einen Hauch von Intimsphäre auch nicht.

Helmer erlebte, wie die Jugendlichen geschlagen und getreten wurden, wie sie mit Zahnbürsten den Boden schrubben und sich abends damit die Zähne putzen mussten.

Seine Erinnerungen an diese Zeit fasst er so zusammen:

"Mit Überraschung und mit einem Gefühl der Scham nahm ich Ihren Artikel vom 16. September über die Misshandlung von Kindern in kirchlichen Heimen zur Kenntnis.

Überraschung deshalb, weil die dort geschilderten Misshandlungen erst jetzt nach mehr als vierzig Jahren zur Sprache kommen.

Scham, weil die damals verantwortlichen kirchlichen Institutionen einen Mantel des Schweigens über die Ereignisse ausgebreitet haben.

Die geschilderten Ereignisse kann ich nur bestätigen, denn auf Votum meines damaligen Militärbischofs wurde ich 1968 für eine kurzfristige Tätigkeit in eins der genannten Heime entsandt. Die Behandlung der dort untergebrachten Jugendlichen kann man kaum wiedergeben.

Die damals tätigen Diakone sahen in den Jugendlichen nicht mehr den Menschen als Geschöpf Gottes, sondern betrachteten sie als den Abschaum der Menschheit. Ich kritisierte seinerzeit die Heimleitungen und Diakone.

Aufgrund der Vorkommnisse beendete ich eigenmächtig meine dienstliche Beauftragung und trug meine in dem Heim erlebten Erfahrungen sowohl dem Militärbischof als auch meiner damaligen Kirchenleitung vor. Ich wies darauf hin, dass dort im Namen der Kirche Verbrechen an jugendlichen Menschen vorgenommen werden.

Meine Kritik wurde zurückgewiesen mit der Begründung, die dort untergebrachten Jugendlichen müssten äußerst hart angefasst werden, mir fehle sicher eine entsprechende Erfahrung im Umgang mit kriminellen Jugendlichen.

Ich schäme mich, nicht schärfer und lauter protestiert zu haben."